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Rubel-Turbulenzen Kommt jetzt die Finanzkrise in Russland?

Wladimir Putin
Russlands Machthaber Wladimir Putin hat die Wirtschaft ganz auf den Krieg ausgerichtet
© Mikhail Metzel, Sputnik, Kremlin Pool Photo via AP / Picture Alliance
Die neuesten Sanktionen der USA gegen Russland treffen gezielt den Bankensektor und den Wertpapierhandel in Moskau. Für die russische Wirtschaft allerdings könnte ein anderer Schritt größere Folgen haben

Es waren Meldungen, die in Moskau böse Erinnerungen wach werden ließen: Am Donnerstagmorgen rauschte der Rubel-Kurs im Verhältnis zum Dollar in die Tiefe, die Werte an der Moskauer Börse waren tief im Minus. Viele Banken, so hieß es, zahlten keine westlichen Fremdwährungen mehr an ihre Kunden aus, oder wenn, dann nur zu absurd hohen Wechselkursen. Ein Hauch von 1998 lag in der Luft, dem Jahr, in dem eine Kapitalflucht die russische Währung so stark unter Druck brachte, dass der Internationale Währungsfonds eingreifen musste.

Was war passiert? Mitte der Woche hatten die USA eine neue Sanktionsrunde gegen das in der Ukraine Krieg führende Russland verkündet – und die hatte es in sich. Die Amerikaner belegen jetzt die Moskauer Börse, aber auch den Zahlungsabwickler NSD und die nationale Clearingstelle NCC mit Strafmaßnahmen, was de facto zur Folge hat, dass an der Börse nicht mehr in Dollar oder Euro gehandelt werden kann. „Das Finanzministerium zielt auf die Struktur des russischen Finanzsystems”, hieß es in einer Mitteilung der US-Behörde. „Die ist darauf ausgerichtet worden, Investitionen in den Verteidigungssektor ebenso zu erleichtern wie den Kauf von Gütern, die für die Aggression gegen die Ukraine gebraucht werden.“

Reserven für Kredite an die Ukraine

Für den russischen Finanzsektor ist es der nächste Schlag nach dem weitgehenden Ausschluss aus dem Swift-System, den Strafen für russische Banken und den Sekundärsanktionen gegen ausländische Institute, die mit Russlands Rüstungsindustrie zusammenarbeiten. Vor allem der letzte Schritt hatte in den vergangenen Monaten für Probleme gesorgt, da sich auch eine Reihe chinesischer  Banken gezwungen sah, die Geschäfte in Russland einzustellen – also Institute aus einem Land, das sehr eng mit dem Kreml zusammenarbeitet. Hinzu kommt, dass die G7 sich nun auch auf einen Weg geeinigt haben, die eingefrorenen russischen Reserven im Ausland zu nutzen, um die Ukraine zu unterstützen: Dabei werden zukünftige Erträge de facto als Sicherheit für einen Kredit an das von Russland attackierte Land eingesetzt.

Was aber bedeutet die Lage für die russische Wirtschaft? Ist das der Schlag, der das Regime wirklich in die Bredouille bringt, droht dem Land möglicherweise eine neue Finanzkrise?

Bank Run bleibt aus

Die ersten Signale nach den Turbulenzen vom Donnerstag sprechen eher dagegen. Der Rubelkurs erholte sich vergleichsweise rasch, die Moskauer Börse war nur noch geringfügig im Minus, und es gibt nach wie vor eine Menge Möglichkeiten, in Moskau an westliche Devisen zu gelangen. Ein Ansturm auf die Banken, wie ihn manche schon befürchtet hatten, fand nicht statt und dürfte auch in den kommenden Tagen ausbleiben.

Ein wichtiger Grund: Die russische Wirtschaft ist trotz aller Sanktionen nach wie vor stark in die Weltwirtschaft integriert. „Man sollte keinen Kollaps im Stil der 90er-Jahre erwarten”, sagt Alexandra Prokopenko, ehemalige Mitarbeiterin der Russischen Zentralbank, die jetzt am Russland-Eurasien-Zentrum des Carnegie-Instituts forscht.  „Russland hat bedeutende finanzielle Reserven, seine Wirtschaft ist diverser und offener nach außen. Auch wenn das Land seine Beziehungen zum Westen beschnitten hat, so werden seine Handelsverbindungen mit Asien immer enger.“

Strafen für den IT-Sektor

Allerdings beschränken sich die neuen Sanktionen der USA nicht auf den Finanzsektor, sondern treffen auch eine Branche, die bisher eher weniger im Fokus stand: „Das Finanzministerium hat Maßnahmen ergriffen, um den Zugang des russischen militärisch-industriellen Komplexes zu bestimmten Software- und IT-Dienstleistungen zu begrenzen“, heißt es in der Mitteilung der Behörde. Konkret heißt das: Bestraft wird jeder, der russischen Unternehmen oder Einzelpersonen Zugang zu IT-Dienstleistungen, Entwicklertätigkeiten und Cloud-basierten Angeboten verschafft. Im Kern ist damit jegliche Zusammenarbeit mit der russischen IT-Szene für westliche Firmen im Grunde höchst riskant, ein Schritt, den die USA bereits im Konflikt mit China gegangen waren. Welche Folgen das im Falle Russlands hat, dürfte sich erst in den kommenden Monaten zeigen.

Überhaupt spielt die Zeit eine Rolle: Während die meisten Experten für die russische Wirtschaft in diesem Jahr ein stabiles Wachstum von mehr als zwei Prozent vorhersagen, ist der Blick auf die mittlere Frist eher trübe. Russland erkauft sich sein Wachstum durch massive Investitionen in die Rüstungsindustrie und in den Krieg. Acht Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) macht diese Kriegswirtschaft bereits aus. Das ist noch weit entfernt von den 13 Prozent aus Sowjetzeiten, aber doch der höchste Wert seit deren Ende. Das aber bedeutet auch: weniger Investitionen in die zivile Infrastruktur sowie Arbeitskräftemangel und Stagnation im nicht-militärischen Bereich.

Fast alle Ökonomen, die Russland von außen beobachten, sind sich sicher, dass sich dieses Missverhältnis irgendwann rächen wird, die Frage ist nur wann. „Die russische Wirtschaftspolitik richtet sich zunehmen an den Anforderungen des Krieges aus“, sagt die Carnegie-Wissenschaftlerin Prokopenko. „Je länger das so ist, desto schlimmer wird der Kater danach sein.“

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