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Pipeline-Leck Beschädigte Gaspipeline: War eine Explosion die Ursache?

Ein Schiff des finnischen Grenzschutzes hält in der Nähe der beschädigten Balticconnector-Gaspipeline Wache
Das Patrouillenschiff „Turva“ des finnischen Grenzschutzes hält in der Nähe der beschädigten Balticconnector-Gaspipeline im Finnischen Meerbusen Wache
© Finnish Border Guard/Lehtikuva via AP / Picture Alliance
Eine Gaspipeline zwischen Finnland und Estland wird schwer beschädigt. Beide Staaten sprechen von „äußeren Einwirkungen“ und Vorsatz, das seismologische Institut Norwegens von einer „mutmaßlichen Explosion“. Aber wer steckt dahinter?

Der Fall erinnert an den von Nord Stream: Die Gaspipeline Balticconnector zwischen Estland und Finnland war am Sonntag wegen eines ungewöhnlichen Druckabfalls geschlossen worden. Der Gastransport zwischen den beiden Ostsee-Anrainerstaaten wurde daraufhin unterbrochen. Die Pipeline ist seitdem außer Betrieb. Die Ursache war zunächst unklar.

Am Dienstag äußerten sich Politiker aus beiden EU- und NATO-Staaten zu den Schäden am Balticconnector. Der finnische Präsident Sauli Niinistö sagte am Nachmittag, die Schäden an der Pipeline und an einem Telekommunikationskabel seien höchstwahrscheinlich durch „äußere Einwirkung“ entstanden. Ähnlich äußerte sich der finnische Premierminister Petteri Orpo auf einer Pressekonferenz am Dienstagabend. Nach einer ersten Einschätzung könne der Schaden weder durch die normale Nutzung der Pipeline noch durch Druckschwankungen entstanden sein.

Estlands Regierung zu Schäden an Gaspipeline: von Menschen verursacht

Sowohl Niinistö als auch Orpo vermieden es jedoch, einen möglichen Schuldigen zu benennen. Es sei zu früh, um darüber zu spekulieren, sagte Orpo. „Es ist wichtig, den Fall gründlich zu untersuchen und keine voreiligen Schlüsse zu ziehen.“ Die Kriminalpolizei habe die Ermittlungen aufgenommen. Nach Angaben der Regierung liegt das Leck in der Wirtschaftszone Finnlands. Eine Reparatur könne Monate dauern, die Energieversorgung in Finnland sei aber stabil, so Orpo weiter.

Auch auf estnischer Seite wollte die Politik vorerst keinen Schuldigen benennen. Bilder würden zeigen, dass der Schaden an der Gaspipeline vorsätzlich von Menschen verursacht worden sei, sagte Verteidigungsminister Hanno Pevkur am Dienstag. Die Untersuchungen seien aber noch nicht abgeschlossen.

Die Inspektion der Schäden an der Balticconnector-Gaspipeline deute darauf hin, dass die Pipeline an der Seite gebrochen sei, sagte der Befehlshaber der estnischen Marine, Jüri Saska, dem estnischen Rundfunk ERR. „Die Pipeline selbst ist mit Beton ummantelt, und es sieht so aus, als ob die Ummantelung an einer Seite weggerissen wurde und der Beton gebrochen oder abgeplatzt ist.“

Der estnische Außenminister Margus Tsahkna bestätigte, dass der Schaden mechanisch und somit von Menschen verursacht wurde. Wie Finnland betonte auch die estnische Regierung, dass die Gasversorgung des nördlichsten der drei baltischen Staaten nicht beeinträchtigt sei.

„Sabotageakt dieses Kalibers erfordert Know-how und Spezialausrüstung“

Das beschädigte Telekommunikationskabel liegt laut Pevkurs in der estnischen Wirtschaftszone. Ob der Schaden im Zusammenhang mit der Pipeline stehe, sei noch nicht geklärt. Beide Schadenstellen befänden sich an unterschiedlichen Orten.

Timo Kilpeläinen, Leiter der Ermittlungsabteilung der finnischen Kriminalpolizei, sagte am Dienstag, der Vorfall werde als schwere Sabotage untersucht, die Ermittlungen stünden aber noch am Anfang. Den aktuellen Vorfall am Balticconnector wollte er jedoch nicht mit den Schäden an den Nord-Stream-Pipelines vergleichen. Auch zur Frage, ob ein Staat verantwortlich sein könnte, wollte er sich nicht äußern. Er sagte aber: „Ein Sabotageakt dieses Kalibers erfordert ein gewisses Maß an Know-how und Spezialausrüstung. Dahinter stecken wahrscheinlich keine gewöhnlichen Menschen.“ Bisher habe man aber keine Hinweise auf eine Explosion gefunden.

Der estnische Verteidigungsminister Pevkur schloss am Dienstag die Möglichkeit einer Explosion aus. Weder finnische noch estnische seismische Messstationen hätten in dem Zeitraum, in dem die Balticconnector-Gaspipeline zwischen Estland und Finnland ein mutmaßliches Leck aufwies, etwas registriert, das einer Explosion ähnelte, berichtete ERR.

Seismologisches Institut registrierte „mutmaßliche Explosion"“

Ein anderes seismologisches Institut registrierte nach eigenen Angaben allerdings eine „mutmaßliche Explosion“. Das Norwegische Seismologische Institut (Norsar) „hat am 8. Oktober 2023 um 1.20 Uhr (Ortszeit, 0.20 Uhr MESZ) eine mutmaßliche Explosion vor der finnischen Ostseeküste registriert“, teilte das unabhängige Institut am Dienstag auf seiner Webseite mit. Die seismischen Signale wurden demnach etwa 40 Kilometer nördlich von Paldiski in Estland geortet.

Die lokale Magnitude des Ereignisses wurde auf 1,0 geschätzt und liegt damit deutlich unter der im September 2022 an der Nord Stream entdeckten Explosion, so Norsar weiter. Sowohl die Lokalisierung als auch die Magnitudenschätzung seien jedoch mit großen Unsicherheiten behaftet.

Während sich die Regierungen Estlands und Finnlands noch mit Schuldzuweisungen zurückhalten, weisen finnische Medien bereits auf einen Akteur in der Region hin: Russland.

Die finnische Zeitung „Iltalehti“ berichtete unter Berufung auf Quellen in Regierung und Streitkräften, dass Moskau hinter dem Pipeline-Vorfall vermutet werde.

Die Helsinkier Zeitung „Helsingin Sanomat“ berichtete, ein russisches Frachtschiff habe sich das ganze Wochenende über im Finnischen Meerbusen in der Nähe des mutmaßlichen Pipelineschadens aufgehalten. Demnach handele es sich um das Schiff „SGV Flot“, wie aus Daten des Ortungsdienstes Marine Traffic hervorgehe.

Kritische Infrastruktur im Visier Russlands

Nach Angaben des estnischen Außenministers Tsahkna gibt es Informationen darüber, welche Schiffe sich während des Vorfalls in der Nähe der Pipeline bewegt haben. Es sei aber noch zu früh, diese bekannt zu geben. Der Vorfall zeige jedoch, dass der Sicherung kritischer Unterwasserinfrastruktur besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden müsse.

Tatsächlich wurden in der Vergangenheit russische Schiffe in der Nähe kritischer Infrastrukturen in Nord- und Ostsee registriert. So berichteten vier nordeuropäische Rundfunkanstalten im Frühjahr über russische „Geisterschiffe“, die mutmaßlich Pipelines oder Offshore-Windkraftanlagen ausspionieren. Experten sagten damals dem Stern, solche Aktivitäten Russlands hätten in den vergangenen Jahren zugenommen.

Moskau sei an Strom- und Kommunikationskabeln, Gaspipelines und Verteidigungsanlagen interessiert, sagte etwa Jukka Savolainen von der Organisation Hybrid CoE, die sich mit hybriden Bedrohungen beschäftigt. Wenn man wisse, wo sie sich befänden, könne man sie leicht sabotieren. Eine solche Sabotage könne dann auch die Gesellschaft hart treffen, so Jens Wenzel Kristoffersen, Oberstleutnant und Militäranalyst an der Universität Kopenhagen.

Stoltenberg: NATO bereit, „geschlossen und entschlossen“ zu reagieren

Estland und Finnland sind beide Mitglieder der NATO. Deren Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach mit dem finnischen Präsidenten über die Schäden, wie er am Dienstag auf X, ehemals Twitter, mitteilte. Die Nato stehe in engem Kontakt mit Estland und Finnland.

Das nordatlantische Verteidigungsbündnis sei bereits dabei, die Sicherheit kritischer Infrastruktur unter Wasser zu verstärken. „Wir beobachten die Lage weiterhin sehr genau.“ Unter anderem als Reaktion auf die Havarie sind die Preise auf dem europäischen Erdgasmarkt stark gestiegen – liegen aber immer noch unter dem Niveau, das sie während des russischen Krieges gegen die Ukraine erreicht hatten.

Sollte sich herausstellen, dass die Pipeline angegriffen wurde, „wird die NATO geschlossen und entschlossen reagieren“, sagte Stoltenberg am Mittwoch in Brüssel.

Der Balticconnector war Anfang 2020 in Betrieb genommen worden. Die rund 150 Kilometer lange Pipeline verläuft vom finnischen Inkoo durch den Finnischen Meerbusen bis nach Paldiski in Estland. Der betroffene Offshore-Abschnitt im Meer ist gut 77 Kilometer lang. Die Pipeline ist deutlich kürzer als die Gasleitungen Nord Stream 1 und 2, die vor rund einem Jahr durch Sabotageakte in der Nähe der dänischen Ostseeinsel Bornholm schwer beschädigt wurden. Wer hinter den Anschlägen auf Nord Stream steckt, ist bis heute unklar.

Der Beitrag ist zuerst bei stern.de erschienen

Mit dpa

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