Ben Hodges, der ehemalige Kommandeur der amerikanischen Streitkräfte in Europa und heutige Sicherheitsexperte, warnt bereits seit Jahren: „Wir dürfen Putin nicht erlauben, das Schwarze Meer in einen russischen Binnensee zu verwandeln.“ Seit dem Überfall auf die Ukraine ist der bärbeißige General mehr denn je davon überzeugt, dass sich „das Schicksal des Westens“ in der Region entscheiden könnte. Es sei höchste Zeit, dass die USA und die NATO dort „ins Spiel kommen“.
Seit Neuestem mehren sich die Anzeichen, dass die Mahnungen des Amerikaners endlich erhört werden. Während alle Welt die langsamen Geländegewinne der ukrainischen Armee in den besetzten Gebieten im Süden analysiert, tut sich gleichzeitig viel Strategisches zur See abseits der großen Öffentlichkeit: Auf dem Schwarzen Meer hat sich die militärische Lage in den letzten Wochen massiv verändert – mit erheblichen politischen und langfristigen wirtschaftlichen Folgen.
Alles begann am 29. Oktober letzten Jahres mit einem unerwarteten Angriff auf russische Kriegsschiffe im Hafen des Marinestützpunktes Sewastopol auf der Krim – eine Attacke mit Prototypen eines neuen, selbst entwickelten Kriegsgeräts: ferngesteuerte Schiffsdrohnen mit einer gewaltigen Sprengladung im Bug. Seitdem reißen die Einsätze mit den fünf bis sechs Meter langen, kanuförmigen, meist grauen Schiffsdrohnen nicht mehr ab. Die Magura V5, das neueste Modell der 385. Separaten Marinebrigade, trägt 300 Kilogramm Sprengstoff über 800 Kilometer ins Ziel und braust allen russischen Kriegsschiffen mit einer Geschwindigkeit von bis zu 42 Knoten (77 Kilometer pro Stunde) davon.
Die neue Angst der Russen
Mindestens zwölfmal waren die Drohnen seitdem im Einsatz – unter anderem im Juli bei einer erneuten Attacke auf die strategisch entscheidende Kertsch-Brücke, die Russlands Gebiet Krasnodar mit der Krim verbindet. Am 5. August riss eine Magura V5 ein acht Meter großes Loch in die Bordwand des russischen Tankers „Sig“, der gerade Benzin für Wladimir Putins Truppen auf der Krim anlanden wollte. Seitdem geht die Angst um auf russischer Seite.
Kyrylo Budanow, Generalmajor und Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, spricht von einem Durchbruch: Gemeinsam mit westlichen Antischiffsraketen vom Typ Harpoon „paralysieren die neuen Marinewaffen die russische Schwarzmeerflotte“.
Da mag auch Hoffnung mitschwingen, aber tatsächlich verwandelt sich das große Seegebiet westlich der Krim und südlich von Odessa in eine No-go-Area für Putins Kriegsschiffe. Und die Gefahren für jede russische Schiffsbewegung auch in den östlichen Gewässern des Schwarzen Meers wachsen: Die Ukraine testet gerade die Prototypen einer Unterwasserdrohne mit dem Namen Maritschka (auf Deutsch: Mariechen), die Russlands Vorherrschaft auf See endgültig brechen könnte. Putins Flotte verfügt bisher über keine vergleichbaren Waffensysteme und über keinerlei Möglichkeiten, Schwärme von Schiffsdrohnen wirksam zu bekämpfen.
Damit sinkt Putins Erpressungspotenzial, die Weltgemeinschaft weiterhin mit Hunger zu bedrohen. Ende Juli lief das sogenannte Getreideabkommen aus, das eine freie Passage zu ukrainischen Häfen ermöglichte. Doch anders als zunächst gedacht, kann Putin keine Zugeständnisse für eine Verlängerung der Vereinbarung erzwingen. Stattdessen laufen die ersten Schiffe aus ukrainischen Häfen auch ohne russische Nichtangriffsgarantien aus. Die Entfernung zwischen Odessa und den rumänischen Territorialgewässern beträgt keine 200 Kilometer – und die Strecke entlang der ukrainischen Küste lässt sich immer besser schützen. Mitte September starteten Rumänien, die Ukraine und die USA gemeinsame Militärübungen im Schwarzen Meer und Donaudelta. Ein russischer Angriff auf westliche Schiffe in diesem Gebiet käme einem Schlag gegen die NATO gleich – mit militärischen Folgen, die Putin unbedingt vermeiden muss. Seit Monaten fliegen die USA verstärkt Beobachtungsmissionen in diesem Gebiet und senden damit auch ein starkes Signal an Moskau.