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Chefwechsel Adidas, Volkswagen, Fresenius – die erfundene Dax-Dämmerung

Volkswagen-Chef Herbert Diess steigt in die Regierungsmaschine
Bald ist Schluss für Herbert Diess, in dieser Woche flog der Volkswagen-Chef aber noch mit Kanzler und Vizekanzler nach Kanada
© picture alliance/dpa | Kay Nietfeld
Innerhalb weniger Wochen fliegen drei Dax-CEOs abrupt raus. Ist das ein Trend? Ein Vorbote für die große Krise? Warum die drei Fälle so unterschiedlich sind – und dennoch ein Lehrstück

Wenn zwei gleiche Dinge geschehen, heißt es halb scherzhaft im Journalismus: Suche ein drittes Ereignis, und wir haben einen Trend. Der Vorspann über solchen Geschichten beginnt dann so: „Immer mehr…“. Insofern könnte man sagen: Immer mehr Dax-Chefs fliegen abrupt raus. Herbert Diess bei VW, Stephan Sturm bei Fresenius – und zuletzt Kasper Rorsted bei Adidas. Wer nicht liefert, muss gehen. Aufsichtsräte schauen nicht zu lange zu, wie ihnen oft vorgeworfen wird, sie fackeln nicht mehr lange. Und erleben wir vielleicht ein Vorbeben der großen Krise, die ab dem Winter kommt? Die Dax-Dämmerung. Die CEO-Reise-nach-Jerusalem?

Man kann auf den ersten Blick gute Argumente für solche Muster finden, viele sind aber auch konstruiert. Bei genauerer Betrachtung sind die Fälle bei Volkswagen, Adidas und Fresenius sogar recht unterschiedlich. Das fängt beim zuletzt genannten Konzern an, bei dem die meisten vermutlich nochmal googlen müssten, was Fresenius eigentlich genau alles macht. Und wie das hessische Gesundheitsunternehmen mit dem Dialysespezialisten Fresenius Medical Care – an dem man rund ein Drittel hält – zusammenhängt.

Die Krise bei Fresenius gärt schon länger. Der Konzern kämpft zwar wie viele andere mit Problemen in den Lieferketten, höheren Kosten und auch Personalengpässen. Fresenius wächst zwar, aber der Gewinn kommt nicht so richtig vom Fleck, die Schulden sind dafür sportlich – und seit einigen Jahren fehlte ein bisschen die Vision (eine Analyse dazu können Sie in Folge 12 des Podcasts „Aktien fürs Leben“ hören.) Der Wechsel ist logisch, er lag in der Luft.

Die Demission von Herbert Diess wiederum hatte etwas so speziell Wolfsburghaftes, weil man schon ein paar Jahre zurückgehen muss, um einen turnus- und ordnungsgemäßen Chefwechsel bei Volkswagen zu finden. Der Autokonzern pflegt seit Jahren eher den Abgang statt den Übergang, was an der Machtkonstruktion in und um Wolfsburg liegt: ein zu mächtiger Betriebsrat, ein überfordertes Bundesland als Großaktionär und ein Industrieclan, bei dem auch Intrigen in Serie produziert werden. Nirgendwo liegen Mitbestimmung und Diktatur näher beieinander, ja bekämpfen und verbünden sie sich sogar in einem Sitzungsraum. Da erscheint es manchmal einfacher, die Transformation von Mordor in Mittelerde zu gestalten. Allein die Compliance-Komplexität von Volkswagen könnte eine kleine Bibliothek füllen. Aber Diess war schon seit Monaten angezählt.

Soll man Oliver Blume gratulieren?

Es heißt dann immer eilig, Diess, ja, der sei zwar als Visionär gestartet, aber er hatte halt ein Umsetzungsproblem. Was wie immer nicht ganz falsch, aber eben doch grob analysiert ist – genauso könnte man sagen, Diess war einfach in seinem Tempo und Change-Duktus eine Zumutung und wurde ein bisschen vom Hof gejagt. Insofern weiß man auch nicht, ob man Oliver Blume gratulieren oder kondolieren soll. Er hat etwas erstaunlich Unwolfsburghaftes, stammt aus dem System (die Karriere lief über Seat, Audi bis Porsche), wirkt aber nicht wie aus dem System. Seine Doppelfunktion – er bleibt vorerst Porsche-Chef – indes wirft Fragen auf.

Man sollte sich die Etiketten, die ihm nun umgehängt werden (Teamspieler) gut merken, falls er nicht reüssieren sollte. Man sollte auch nicht glauben, dass da jetzt jemand kommt, der softer ist. Entscheidend scheint mir eine andere Qualität: Ich konnte ihn bei einigen Terminen und Interviews erleben, und da fiel mir auf, mit welcher Konsequenz er die E-Strategie bei Porsche umgesetzt hat. Bei Porsche stand ja viel auf dem Spiel: ein 911er mit Batterie? Undenkbar. Porsche hat eine Antwort gefunden, nicht nur im Taycan oder dem Macan, sogar der 911er soll eine elektrische Version bekommen. Vier von fünf Autos sollen 2030 elektrisch sein, das Unternehmen klimaneutral sein. Gleichzeitig hat Blume es vermocht, seine Truppe auf das Projekt einzuschwören, sie mitzunehmen, nicht vor den Kopf zu stoßen, dann aber auch zu liefern (mehr dazu finden Sie in meinem Buch, das Ende September erscheint, da ist Porsche ein Beispiel. Infos dazu finden Sie hier.)

Der Quell der Unruhe bei Volkswagen liegt aber nicht in der Kabale, sondern in der Wucht der Transformation, die die Autoindustrie seit Jahren erfasst hat. Die Megatrends – E-Mobilität, Vernetzung, autonomes Fahren – verbinden und überlagern sich mit Krisen seit 2020 zu einem perfekten Sturm. Aus Vorreitern in China werden plötzlich Gefangene ihrer Strategie, aus dem größten Markt das größte Risiko. Bei den Lieferketten fragt man sich, wann man das Wort das erste Mal wieder ohne den Zusatz -probleme schreiben wird.

Bleibt Kasper Rorsted. Ich muss vorwegschicken, dass ich etwas befangen bin, weil er 2013 der erste Dax-Chef war, den ich, damals noch bei Henkel, als neuer und junger Chefredakteur traf. Er beeindruckte mich. Man ging durch kein Vorzimmer, er kam auf dem Gang entgegen, machte selbst einen Espresso. Wir sprachen über ein etwas abstraktes Thema: Kulturwandel. Wie man aus einem ordentlichen ein sehr gutes Unternehmen macht.

Henkel war immer ein wenig das, was in der Schule früher „mündlich zwischen 2- und 3+“ war. Ich traf Rorsted einige Mal auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, er gehörte zu den Menschen, die einen wiedererkennen (oder zumindest so tun und dann den Gesichtsdatensatz innerhalb weniger Sekunden hochladen können). Der wichtigste Rat, den er im Leben bekommen habe, sagte er einmal, lautete: „Wenn du etwas machst und es dir wichtig ist, dann mach es richtig. Nur so wirst du Erfolg haben.“ Im Rückblick heißt es, er habe Henkel zwar hübsch gemacht und durchoptimiert, aber eben nicht nachhaltig erfolgreich.

Einige Jahre später kam er zu Capital in die Redaktion. Nie werde ich vergessen, wie er während des Gesprächs plötzlich seinen Fuß auf den Tisch legte und anhand seines Schuhs, ein Adidas Ultraboost Ocean Plastic, über neue Linien, Sneakertrends, Editionen und Nachhaltigkeit sprach. Adidas war nämlich, trotz des Reebok-Klotzes am Bein, zuvor erfolgreich geführt worden, 2016 war ein Rekordjahr gewesen. Die Sportkonzerne stiegen damals immer tiefer in die Archive, „entdeckten“ ein Retro-Modell nach dem anderen und hauten sie im Akkord raus: Stan Smith, Gazelle, Superstar. Deshalb interessierte mich eine andere Frage: Wie bleibt man erfolgreich? Rorsted ist jemand, der sich auf solche Metafragen gern einlässt, und nicht nur Wir-müssen-in XY-weiter-wachsen-Sprechblase abspult. Er ist verbindlich und unnahbar zugleich.

Ich habe das Interview nochmal rausgesucht, weil es unabhängig von seinem Rauswurf und der schnellen Bilanz, wo Adidas nun steht, ein Lehrstück ist.

„Jedes Unternehmen kann man verbessern, selbst sehr erfolgreiche“, sagte Rorsted. „Natürlich ist es einfacher, eine Firma, die in Schieflage ist, zu drehen, als eine erfolgreiche erfolgreich zu halten.“ Aber auch Adidas hatte Baustellen. Das Wachstum in den USA – war gut, aber der Marktanteil zu gering. Die Marge – nur halb so groß wie die von Nike! Man hörte plötzlich in der Sprache die recht hohe Optimierungsschlagzahl.

,Identify the gap and close the gap‘

Die größte Gefahr für erfolgreiche Unternehmen sei, sagte Rorsted, dass sie selbstzufrieden würden. „Sie denken dann, dass sie besser sind als alle anderen, und das ist oft der Anfang vom Abstieg. Da muss man als CEO die Balance finden: ausreichend loben – aber auch Kritik üben. Sich über den Erfolg freuen, aber nicht von der Euphorie mitreißen lassen und demütig bleiben. Und man muss darauf bestehen, dass man etwas ändern will. Denn wenn man nur über Erfolg redet, redet man auch Dinge schön, die nicht gut laufen. Lediglich die Differenzierung von Erfolg bringt auf Dauer Erfolg.“

Wie aber gelingt das, wollte ich wissen. Durch Fakten, sagte Rorsted. Er brach Erfolg gnadenlos runter. „Wenn Sie nur allgemein sagen: ,Wir müssen besser werden‘, passiert nichts. Man muss konkret werden. Zum Beispiel: Unser Marktanteil in den USA ist zu niedrig – was also können wir tun? Es gibt einen guten englischen Lehrsatz: ,Identify the gap and close the gap‘.“

Wir machten ein kleines Rollenspiel, spielten einen Adidas-Manager, der zu Rorsted sagt: Wir sind in einem Markt, der gerade um zehn Prozent gewachsen ist. Herr Rorsted, ich weiß nicht, was ich noch tun soll. Zehn Prozent plus, das reicht doch. Rorsted antwortete:

„Ich würde fragen: In welchen Kanälen sind Sie gewachsen? Im Großhandel, im Fachhandel oder online? Haben wir Marktanteile im Fußball, Tennis oder Training gewonnen? Sind Sie nur gewachsen oder auch profitabler geworden? Wer ist Ihr Nachfolger? Haben Sie eine Nachfolgerin? Sie sehen, man kann auch bei zehn Prozent Wachstum noch jede Menge Fragen stellen und immer weiter bohren. Und das tue ich.“

Ich fand das damals interessant, finde es auch heute noch. Aber in genau diesem Erfolgssatz, dass man Erfolg und Wachstum in immer härtere, granulare Fragen und Aufgaben durch eine Organisation treibt, könnte im Rückblick auch der Keim des Scheiterns liegen: Dass man vor lauter Optimieren die Vision verliert, die Kreativität austreibt und all das, was solchen Managertypen zu esoterisch klingt: den Geist eines Unternehmens (den Begriff „Spirit“ würden sie akzeptieren, aber anders verstehen).

Rorsteds Nimbus ging verloren, als Adidas bei den Corona-Staatshilfen ganz vorne stand, keine Mieten zahlen wollte, aber einen Staatskredit bekam. Aber allein sein Beispiel, seine Denkweise, die ja durchaus in einer Case Study Platz finden könnte, zeigt, wie grob die Narrative nach Abgängen sind, und wieviel Grautöne sich zwischen Schwarz und Weiß finden, zwischen Erfolg und Scheitern.

Und es zeigt eben auch, dass drei Ereignisse nicht notwendigerweise einen Trend ausmachen.

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