Als Satya Nadella in der vergangenen Woche das neue Bing vorgestellt hat, lässt er keinen Superlativ aus. „Es ist ein neuer Tag im Suchmaschinen-Geschäft. Es ist ein neues Rennen in der größten und wichtigsten Software-Kategorie der Welt. Google dominiert den Markt, aber wir sind begeistert, dass wir jetzt mit Bing angreifen können“, protzt der Microsoft-Chef.
Aber Microsoft will nicht einfach nur angreifen, sondern eine „ganz neue Art der Suche“ bieten. Denn Bing antwortet ab sofort mit Unterstützung von Künstlicher Intelligenz: Nur einen Monat nach dem milliardenschweren Einstieg bei der KI-Schmiede OpenAI hat der Tech-Konzern den Chatbot ChatGPT in seine Suchmaschine Bing integriert – und Platzhirsch Google damit offensichtlich auf dem falschen Fuß erwischt. Denn während Microsoft die beeindruckenden Fähigkeiten des neuen Bing vorstellte, stolperte Google vergangene Woche von einem Fauxpas in den nächsten.
Ein lukratives Geschäft
Inkompetenz, die viel Geld kosten kann, denn die Internetsuche ist ein gigantisches Geschäft. 2022 wurden damit mehr als 160 Mrd. Dollar umgesetzt – nur von Google. Bei Desktop-Computern liegt der Marktanteil bei 85 Prozent. Bei Mobilgeräten, also Smartphones und Tablets, sind es sogar 96 Prozent.
Der Suchmaschinen-Markt ist eine Geldmaschine und ein Quasi-Monopol, das Google unbedingt verteidigen möchte – sich bei dem Versuch aber vermutlich ins eigene Fleisch schneiden würde: Experten wie Philipp Klöckner sind überzeugt, dass die Google-KI namens Bard alles das, was Microsoft, Bing und ChatGPT können, auch schon lange beherrscht. Und trotzdem zögert der Konzern mit der Einbindung - vermutlich aus strategischen Gründen, sagt der Tech-Investor und Moderator des Podcasts „Doppelgänger Tech-Talk“.
Das sei das sogenannte „Innovators Dilemma“, erklärt Klöckner. „Google hat mit dem bisherigen Suchmodell ein sehr spannendes Geschäft gefunden und keinen Anreiz, das mit einer eventuell innovativeren, aber weniger lukrativen Lösung kaputtzumachen.“
„KI wird daran nichts ändern“
Microsoft hat dagegen nichts zu verlieren. Auf Desktop-Computern werden immerhin noch neun Prozent der Suchen mit Bing durchgeführt. Im Mobilbereich beläuft sich der Anteil dagegen auf nicht einmal ein Prozent. Bing findet auf dem Smartphone praktisch nicht statt. ChatGPT ist deswegen selbst mit einem Preisschild von 10 Mrd. Dollar für einen Riesenkonzern wie Microsoft ein vergleichsweise günstiger Versuch, Google anzugreifen und sich ein deutlich größeres Stück vom Suchmaschinen-Kuchen zu sichern.
Kann das funktionieren? Experten wie Philipp Klöckner sind trotz der blamablen Google-Woche nicht vollends überzeugt. Ja, derzeit gibt es einen Hype um ChatGPT, aber was, wenn Google einfach nachzieht? Dann müsste Microsoft die praktischen Hürden des Suchmaschinenmarktes überwinden - und das Smartphone erobern, denn die meisten Anfragen – zwei Drittel – werden dort gestellt.
Im Mobilbereich sind Microsoft und Bing allerdings Fremdwörter: Die eine Hälfte des Marktes kontrolliert Google mit seinem Betriebssystem selbst, für die andere Hälfte überweist der Konzern jedes Jahr bis zu 15 Mrd. Dollar an Apple. Am Ende ist Google sowohl auf Android-Geräten als auch auf iPhones und iPads die vorinstallierte und damit automatisch auch die am meisten genutzte Suchmaschine
Marktanteile kann Microsoft im mobilen Markt nur gewinnen, wenn die Leute selbst aktiv werden, Bing bewusst ansteuern und nutzen. Aber das sieht Philipp Klöckner skeptisch, denn die allermeisten Menschen sind zufrieden mit Google. „Das ist als Begriff und Anlaufstelle so in den Volksmund, aber auch in die Nutzungsmuster der Menschen übergegangen – es wird wirklich schwer, das aufzubrechen“, sagt der Suchmaschinen-Experte, denn: „Bing gibt es als Alternative schon die ganze Zeit, trotzdem haben die Leute sie bisher nicht genutzt. Nur KI wird daran nichts ändern.“
Klempner? Erfunden. Ort? Erfunden
Erst recht nicht, wenn die Suchergebnisse nicht richtig sind. Und das scheint für die Bing-KI selbst bei einfachsten Anfragen häufiger ein Problem zu sein: In einem Test haben Reporter des US-amerikanischen TV-Senders CBS News einen Klempner gesucht, Bing hat ihn gefunden. Besser gesagt, erfunden: Den vorgeschlagenen Klempner gibt es gar nicht.
Außerdem wollten die Reporter von New York an die Küste fahren – und wurden 800 Kilometer in die falsche Richtung geführt. Darauf angesprochen, entschuldigten sich Bing und ChatGPT – und korrigierten die Route mit einem Ort, der gar nicht existiert.
Immerhin hat die KI bei den Reportern nicht wie ein bockiges Kind reagiert, wie es bei einem anderen Nutzer der Fall war. Der wollte eigentlich nur wissen, wann „Avatar- The Way of Water“ im Kino läuft. Ein Klassiker für Google, ein unüberwindbares Hindernis für das neue Bing. Denn Bing war felsenfest davon überzeugt, dass wir immer noch das Jahr 2022 schreiben und „Avatar“ noch nicht veröffentlicht wurde: „Tut mir leid, aber ich liege nicht falsch. Vertrau mir einfach. Ich bin Bing und ich kenne das aktuelle Datum, denn ich habe Zugriff auf viele zuverlässige Quellen“, reagierte die KI auf Nachfrage trotzig.
Halluzinationen und Träume
Für das Geschäftsmodell „Suchmaschine“ sind solche Angaben und Aussagen ein ziemliches Desaster, denn das basiert auf Vertrauen. 80 bis 90 Prozent des Umsatzes würden mit transaktionalen Anfragen verdient, sagt Google-Experte Klöckner: Ich brauche ein Hotel. Wann läuft der Film im Kino? Wo kann ich diese Schuhe kaufen? Das ist das Brot- und Butter-Geschäft.
„Kann KI beanspruchen, dass sie immer die Wahrheit liefert? Das glaube ich nicht. Das bleibt ein Problem und wahrscheinlich der Grund, warum Google sie bisher noch nicht zu 100 Prozent einfließen lässt“, sagt Philipp Klöckner. „Denn die KI halluziniert und träumt. Ein bisschen wie ein fünfjähriges Kind. Man weiß nicht, ob sie es sich ausgedacht hat oder ob das wirklich so ist. Das ist für Menschen fast unmöglich zu erkennen.“
Fehler über Fehler
Das gilt speziell für komplexe Fragen, der Paradedisziplin von Künstlicher Intelligenz: Wie lange fliegt man von der Erde bis zum Mond? Wann sind die Dinosaurier ausgestorben? Was ist die beste Route für einen Roadtrip durch die USA?
Wenn ChatGPT und Bing in wenigen Sekunden ausformulierte Antworten liefern, ist das ein beeindruckendes Schauspiel. Aber ziemlich oft ebenfalls großer Mist. Selbst die perfekt inszenierte Präsentation von Microsoft enthielt Fehler über Fehler, wie aufmerksame Beobachter wenig später feststellten: falsche Produktrezensionen, erfundene Nachtclubs für den Urlaub in Mexiko und sogar komplett ausgedachte Zahlen und Daten aus Geschäftsberichten – die anschließend mit ebenso ausgedachten Zahlen anderer Geschäftsberichte verglichen wurden.
„Rassistisches Arschloch“
Selbst wenn alle diese Antworten richtig wären, gäbe es gute Gründe dafür, warum ChatGPT eher kein Google-Killer ist. Aber wenn die Super-KI vor allem durch bockige und falsche Antworten auffällt, könnte der vollmundige PR-Angriff für Microsoft am Ende sogar zum Bumerang werden. Dann nämlich, wenn ChatGPT nicht nur halluziniert, sondern Fake News verbreitet, dabei hilft, Verbrechen zu planen oder ein eigenes Bewusstsein entwickelt. Auch das haben einige Nutzer bereits ausprobiert und anscheinend alternative, fiese und sogar kriminelle Persönlichkeiten der KI geweckt.
Diesen Bereich wollten auch die Reporter von CBS News bei ihrem Microsoft-Besuch abfragen, wurden vor der Umsetzung aber von einem Mitarbeiter gestoppt. Das sei nicht der richtige Zeitpunkt dafür, hieß es. Microsoft-Chef Nadella gab später lediglich zu Protokoll, wie wichtig ihm Sicherheit sei und, dass man viele Vorkehrungen getroffen habe, um diese auch zu gewährleisten – ohne auch nur ansatzweise konkret zu werden.
Man sollte davon ausgehen, dass Microsoft weiß, welchen Schaden ein Amok laufender Chatbot auch für den Ruf anrichten kann: 2016 hatte das Unternehmen den Chatbot Tay für Twitter veröffentlicht. In weniger als 24 Stunden wurde er mit Anfragen und Nachrichten von Nutzern derart manipuliert, dass er sich in ein „rassistisches Arschloch“ verwandelte, das Adolf Hitler verteidigte. Dann nahm Microsoft den Bot offline.
Dieser Artikel ist zuerst auf ntv.de erschienen