In ihrem 101. Jahr hat die Baselworld, die „weltweit wichtigste Messe für Uhren, Schmuck und Edelsteine“, eine Achterbahnfahrt der Gefühle geboten. Passend für eine Branche, die sich – je nach dem wen man fragt – auf gutem Weg im Prozess der digitalen und demografischen Transformation befindet oder sich zu sehr auf ihrer glorreichen Vergangenheit ausruht und die Zukunft verschläft oder unaufgeregt „watches as usual“ feilbietet. Allerdings, und daran ließen die Ausstellerzahlen keinen Zweifel, in deutlich reduzierter Form. Genauer gesagt mit einem Portfolio von 650 statt noch 2017 etwa 1300 Uhrenmarken in den Messehallen.
Über Wochen wurden die Folgen dieser Quasi-Halbierung weltweit heiß diskutiert. Um so erstaunlicher, dass Baselworld-Chefin Sylvie Ritter zur Eröffnung lediglich von einer notwendigen Konzentration sprach und davon, dass die verbliebenen Marken die Spitze ihrer Zunft repräsentierten. Sie versprach weitere Anstrengungen bezüglich neuer Formate und Darstellungsoptionen für die Aussteller. Was genau? Man wird sehen. Fragen seitens der versammelten Fachpresse? Waren nicht zugelassen. Dafür trommelte am Schluss traditionsgemäß ein kleiner Spielmannszug, der wohl letzte Skepsis mit dramatischen Salven übertönen sollte. Kaum jemand im Saal, der nicht kurz mit hochgezogenen Brauen seinen Sitznachbarn anblickte.
Uhrenbranche im Aufwärtstrend
Dabei hätten Ritter und ihr Team zweifelsfrei viel Sympathie geerntet für Klartext, eingeräumte Versäumnisse und mutige Initiativen für die kommende Messeausgabe. Gerade von Change-erfahrenen Medienmachern. Das verkniffene „Alles nach Plan“ – eine Lehrstunde missglückter Krisen-PR. Wo die Messechefin sicherlich richtig liegt, ist der menschliche Drang, sich persönlich zu treffen, sich auszutauschen, neue Kontakte zu knüpfen, Uhren anzufassen, Deals auszuhandeln und zu feiern. In welcher Form diese Rituale jedoch zukünftig ablaufen, das entscheiden Markttrends, Markenmacher und Marketingstrategien.
Immerhin präsentierte die Schweizer Uhrenindustrie erfreuliche Zahlen: Das satte Export-Plus im Januar und Februar von 12,8 Prozent über Vorjahr macht der Branche Mut. Allerdings würden die Ergebnisse für März 2018 deutlich „bewölkter“ ausfallen, munkelten Kenner auf der Messe. Immerhin ist damit die Delle der Geschäftsjahre 2015 und 2016 rein rechnerisch nahezu aufgefangen.
Lange Gesichter oder gar Panikanwandlungen gab es während der auf sieben Tage verkürzten Baselworld nicht, nahezu jede der in Basel vertretenen Uhrenmarkeen hatte etwas zu feiern – ein Firmenjubiläum, einen Modell-Geburtstag, ein neues Werk, eine spannende Partnerschaft oder einfach „nur“ gute Geschäfte.
Die Top-Neuheiten der Baselworld 2018:
Top-Neuheiten der Baselworld 2018

Blancpain Villeret Quantième Complet GMT: Die Datumsanzeige dieses Vollkalenders, den man in einer „renovierten“ Optik präsentierte, übernimmt ein geschwungener, gebläuter Zeiger am Zifferblattrand. Die zweite Ortszeit ist um die Mitte platziert, von wo des Nachts auch der Mond den Träger anlächelt. Circa 14.750 Euro, blancpain.com

Breguet Classique Tourbillon extraflach Ref. 5367: Elegant und aufgeräumt, das sagt der erste Blick auf diese Neuheit mit Emaille-Zifferblatt, die mit dem Tourbillon auf 5 Uhr und leicht nach oben verschobenem Zeigerstand überrascht. Das Manufakturkaliber 581 im inneren ist drei Millimeter flach und hat Energiereserven von 80 Stunden. Circa 142.300 Euro, breguet.com

Carl F. Bucherer Manero Tourbillon Double Peripheral: Das neue Manufakturkaliber CFB T3000 der Marke kombiniert eine extern aufgehängte Schwungmasse mit einem brückenlos montierten, „schwebenden“ Tourbillon – sichtbar von beiden Gehäuseseiten. Anker und Ankerrad der Hemmung sind aus schmierungsfreiem Silizium. Circa 59.700 Euro, carl-f-bucherer.com

Bulgari Octo Finissimo Tourbillon Automatic: Der vierte Rekord in Folge für den italienischen Juwelier, diesmal in Form der flachsten Automatikuhr mit Tourbillon: Nur 3,95 Millimeter ist das sandgestrahlte Titangehäuse hoch, das Werk (Kaliber BVL 288) gerade mal 1,95 Millimeter! Circa 125.000 Euro, bulgari.com

Chopard L.U.C All-in-One: Für die vierzehn Komplikationen, die in dieser Uhr stecken, reicht das Zifferblatt nicht aus, weitere Anzeigen befinden sich auf der schmucken Rückansicht. So steckt im Handaufzugskaliber 05.01-L ein ewiger Kalender, eine Mondphase, Sonnenaufgang, ein Tourbillon und 170 Stunden Gangreserve. Circa 374.500 Euro, chopard.de

Glashütte Original Senator Excellence Ewiger Kalender – Limitierte Edition: Was wie eine stilisierte Weltkarte aussieht, ist dank ausgeschnittenem Zifferblatt bloß eine aufwändig guillochierte Deckplatte des Werkes. Und ein Hingucker! Auch ein Blick durch den Glasboden auf das Manufakturkaliber 36-02 lohnt, während die gebläuten Zeiger bestens mit dem blauen Alligatorband harmonieren. Ab 32.900 Euro, glashuette-original.com

Nomos Glashütte Autobahn Neomatik Datum: Mit verdientem Stolz stellte man das elfte hauseigene Werk vor, das Automatikkaliber DUW 6101. Für dessen funky Zuhause sorgte der bekannte Designer Werner Aisslinger – in einem vierjährigen Kreativprozess. Auch im Dunkeln ziemlich cool: die Leuchtmasse-Tachobalken im Zentrum des Zifferblatts. Circa 3800 Euro, nomos-glashuette.com

Seamaster Diver 300 M Omega Co-Axial Master Chronometer: Vor einem Viertaljahrhundert tauchte dieser Klassiker zum ersten Mal auf, jetzt präsentierte man das Modell runderneuert. Von der Keramiklünette mit Emaille-Inlays über das Wellenrelief auf dem Zifferblatt, ein neues Heliumauslassventil – bis zum Werk, dem Master Chronometer 8800. Ab circa 4400 Euro, omegawatches.com

Patek Philippe Weltzeit-Minutenrepetition Referenz 5531R: Dank des neuen Werkes R 27 HU erklingt der klassische Gong dieser hochkomplizierten Uhr aus 462 Einzelteilen am jeweiligen Aufenthaltsort seines Besitzers, denn auch eine Weltzeit-Funktion ist integriert. Eine Premiere für die Marke! Das Zifferblatt zeigt den Genfer See in Emaille. Preis auf Anfrage, patek.com

Rolex Oyster Perpetual GMT-Master II: Uhren mit GMT-Funktion, also zweiter Zeitzone, erleben ein Beliebtheitshoch. Erstmals ist dieses Modell mit einem Jubilé-Armand aus Edelstahl und der blau-roten „Pepsi“-Lünette (ähnelt dem Farbschema der Brausedosen) erhältlich. Das Werk Kaliber 3285 ist mit dem Paraflex-Antischocksystem geschützt. Circa 8400 Euro, rolex.com

Grand Seiko Hi-Beat 36000 Special: SBGH266J: Zum 20. Jubiläum des robusten Kalibers 9S erscheint diese auf 150 Stück limitierte Uhr mit einer Ganggenauigkeit von +4 bis -2 Sekunden pro Tag, einem 18 Karat Goldgehäuse. Das schnörkellose Design stammt von Nobuhiro Kosugi. Circa 27.000 Euro, grand-seiko.com

Zenith Defy Zero G: Wo sich zuvor das Saphirglas leicht wölbte, um dem gyroskopischen Modul zur Kontrolle der Schwerkraft den nötigen Raum zu verschaffen, bleibt die Oberfläche jetzt platt. Weil das aus 139 Teilen bestehende Modul auf 30 Prozent seiner Ursprungsgröße minimiert werden konnte! Auch die übrige Optik des skelettierten Kalibers El Primero 8812 S fiel spektakulär aus. Ab circa 96.400 Euro, zenith-watches.com

TAG Heuer Monaco Bamford: Was AMG für Mercedes-Benz ist, das gelang George Bamford für die Uhrenindustrie: Seine Veredelungs-Firma macht begehrte Uhren (von LVMH) zu Kultobjekten. So wie jetzt diese limitierte Version der „Monaco“, die Bamford in ein Karbongehäuse steckte und mit hellblauen Kontrasten auf Zeigern und Zifferblatt versah. Preis auf Anfrage, tagheuer.com

Maurice Lacroix Aikon Automatic Skeleton: Die erfolgreiche Linie wird erwachsen und erhält ein neues Werk mit dem Kürzel ML234, besonders schön zu sehen in der skelettierten, teils schwarz beschichteten Variante, die etwas Steampunk-Charme umweht. Das Band kann auch einhändig gewechselt werden. Circa 5600 Euro, mauricelacroix.de

Hublot Big Bang Unico Red Magic: Rote Keramik herzustellen ist keine leichte Aufgabe, was allein dieses auf 500 Exemplare limitierte Modell zu einer besonderen Leistung macht. Schwarz beschichtete Titanschrauben halten das Gehäuse zusammen, in dessen Innerem der Flyback-Chronograph vom Werk HUB1242 UNICO angetrieben wird. Preis auf Anfrage, hublot.com

Frédérique Constant Manufacture Classic Hybrid: Als Nachfolger seiner „Horological Smartwatch“ präsentierte die Marke mit der Kombination des Manufakturkalibers FC-750 und einem elektronischen Modul die vermutlich erste Uhr, die sich selbst beobachtet. Vielmehr ihre Gangwerte, die Schwingungsweite und etwaige Abfallfehler. Ab 3295 Euro, frederiqueconstant.com
Weitere Trends und „Aufgeschnapptes“ hier einmal im Schnelldurchlauf: Grün ist das neue Blau – und Blau bleibt das neue Schwarz, so jedenfalls könnte man die offensichtlichsten Farbtrends beschreiben. Apropos Blau: Kaum eine Marke ohne Taucheruhr, am besten gleich noch mit die Meere schützender Charity-Kooperation. Auch die GMT-Funktion (aka zweite Zeitzone) erlebt ein Revival, optisch flankiert durch ein Comeback der farblich getrennten Pepsi-Lünetten.
Nachhaltiger Luxus
„Wir machen keine Smartwatches“, hieß es bisher von Hublot. Jetzt präsentierte die Marke mit einem Fußball-Freundschaftsspiel im Miniformat (und mit Diego Maradona!) doch eine, und zwar passend zur Fifa-Partnerschaft bei der kommenden Fußball-WM. Die Technik steuerte Konzernschwester TAG Heuer bei.
Bei der Chopard-Pressekonferenz kündigten Caroline und Karl-Friedrich Scheufele an, ab Juli 2018 ausschließlich faires Gold in Uhren und Juwelen verarbeiten zu wollen. Beraten wurde die Marke dabei von Aktivistin und Schauspielergattin Livia Firth, die ebenso wie ihr Mann Colin, Kollegin Julianne Moore und zwei jungen Kämpfern für soziale Gerechtigkeit nach Basel gereist war. Eine deutliche Vorlage, die hoffentlich viele Nachahmer findet, schließlich legen mehr und mehr Studien nahe, dass nachhaltigem Luxus die Zukunft gehört.
Apropos Zukunft, wie eingangs erwähnt feierte sich fast jedes Unternehmen ausgiebig für Jubiläen aller Art. Und sicherlich rührt die Faszination einer Zunft, die ihrer praktischen Notwendigkeit längst beraubt ist, aus eben diesem glorreichen Gestern, den Pionieren, ihren Visionen, Erfindungen und Patenten. Andererseits dürfte mehr und mehr Playern klar werden, dass sie mit ihren peppig inszenierten Histörchen bald nur noch die echten Uhrennerds begeistern werden. Doch nicht jeder kann sich Hollywoodstars, Rennfahrer, Popsänger oder Follower-starke Influencer leisten. Wie diese Mitte der Branche den brutalen Kampf um Aufmerksamkeit gewinnen soll, das dürfte eine echte Consulting-Herausforderung werden.
Asien ist der wichtigste Markt
Überdeutlich war allerorts das offene und wiedererstarkte Bekenntnis zum asiatischen Markt, einige Uhrenmarken verpflichteten dortige Prominenz als Weltbotschafter. Kein Wunder, setzten die Schweizer Uhrenhersteller doch allein in Hongkong im vergangenen Jahr 2,5 Mrd. Franken um – mehr als in den gesamten USA! –, im restlichen China noch einmal 1,5 Mrd. und in Japan, leicht rückläufig, 1,3 Mrd. Franken. Damit ist Asien mit 50 Prozent aller verkauften Schweizer Uhren vor Europa mit 34 Prozent und Amerika mit 14 Prozent weiterhin der wichtigste Markt.
Interessant auch, dass die eidgenössische Horlogerie vor allem bei Uhren jenseits der 3000 Franken (etwa 2800 Euro) punktet: Zwar trifft dieser Preisbereich nur auf sechs Prozent aller hergestellten Schweizer Uhren zu, dafür aber erlöst man gut 65 Prozent des Umsatzes in diesem Bereich. Und zwar mehrheitlich mit mechanischen Uhren, also mit Automatikwerk oder Handaufzug. Noch eine Zahl zum Abschluss: Schweizer Uhren sind mit drei Prozent aller etwa 1,2 Milliarden weltweit hergestellten Modelle ein David bei den Stückzahlen, aber ein wahrer Goliath beim „Share in Value“ von satten 60 Prozent!
Dass fast sämtliche Uhrenmarken der Topriege – abzüglich des Richemont-Portfolios der SIHH in Genf – wohl auch im März 2019 wieder nach Basel reisen werden, verschafft den Messemachern etwas Luft und ist Balsam für die Seele. Darauf ausruhen, dass sich big player auf alle Ewigkeit an ein Format mit gewissem Innovationsstau binden, sollten sich Organisatoren jedoch nicht. Wie man in den letzten zwei, drei Jahren wunderbar in der Modebranche sehen konnte, können sich Marken mit großer Zugkraft durchaus leisten, mit eigenen Präsentationsflächen aus tradierten Kalendern auszuscheren.
Andererseits ist das Metiers exquisiter Zeitmesser deutlich loyaler als die saisonale Fashion-Szene. Und wer auf dem Instagram-Kanal von Jean-Claude Biver, CEO von TAG Heuer und Chef der LVMH-Uhrensparte, das großartige Foto gesehen hat, dass ihn 1976 bei seiner ersten Baselworld zeigt, der sieht kurzfristige Engpässe und Herausforderungen plötzlich in einem neuen Licht. Als temporäres Ereignis. Nicht mehr.