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Uhren „Jede Krise beschert den stärksten Marken mehr Platz“

Sylvain Dolla, CEO von Tissot
Sylvain Dolla, CEO von Tissot
© PR
Die Uhrenmarke Tissot bleibt auch in der Corona-Krise einer der Umsatzgaranten im Portfolio der Swatch Group. Dementsprechend optimistisch blickt CEO Sylvain Dolla in die Zukunft – auch dank einer neuen Smartwatch

Die 1853 gegründete Manujfaktur wagte sich mit dem neuen Modell „T-Touch Connect Solar“ jüngst erstmals ins Segment vernetzter Uhren vor – nicht mit Lösungen wie Wear OS von Google, sondern im Alleingang. Der Ansatz ist typisch für den Konzern Swatch Group, zu dem neben Tissot unter anderem Omega, Longines und Breguet gehören. Im exklusiven Interview mit Capital erläutert CEO Sylvain Dolla die Gründe für diese Entscheidung gegen Silicon-Valley-Lizenzen und verdeutlicht zudem, dass starke Marken trotz aller Herausforderungen durch die Pandemie an Marktanteilen gewinnen könnten.

Sylvain Dolla, das Jahr 2021 fängt so turbulent an wie das vergangene aufgehört hat. Wie erleben Sie die momentane Lage bei Tissot?

Oh ja, aber ich bin dennoch voller Zuversicht. Sicher, der europäische Markt bleibt für die Uhrenbranche schwierig. Andererseits haben wir insbesondere in Deutschland eine große Chance, wenn ich mir beispielsweise die Performance unseres Onlineshops betrachte. In China und ein Stück weit auch in den USA lief und läuft es besser, und diese weltweite Präsenz ist gerade jetzt unsere Stärke. Irgendwo auf der Karte sind immer Lichtblicke.

Anfang 2017 startete bei Tissot die Entwicklung eines eigenen Betriebssystems für Smartwatches, statt etwa Wear OS von Google einzusetzen. Wieso dieser Alleingang?

Natürlich hat auch eine Marke, die 1853 gegründet wurde, heute oft mit Software zu tun. Für das CRM-System, bei der Maschinensteuerung. Zugleich bleiben wir aber definitiv ein Hersteller feiner Uhren. Das sollte auch rund um die neue T-Touch Connect Solar so bleiben: Ich will keinem Kunden etwas anbieten, das nach zwei Jahren veraltet und nicht mehr zu aktualisieren ist. Ganz entscheidend war zudem, dass die Uhr nicht jede Nacht aufgeladen werden muss, damit ihr Träger größtmögliche Unabhängigkeit genießen kann, gerade in der Natur. Das konnte kein Betriebssystem auf dem Markt leisten, also haben wir selbst eines geschaffen, optimiert für ein extrem niedriges Energiebedürfnis. Dafür haben die Programmierer jede Codezeile akribisch durchforstet.

Heißt auch, ich kann mir nicht meine Lieblingsapps aufspielen, weil Ihr OS ganz anders arbeitet, oder?

Genau, wir verkaufen keine Smartwatch, sondern eine hochwertige Outdoor-Uhr mit innovativer Solar-Technik und nützlichen Funktionen wie Schrittzähler, Höhenmesser, Wetterinformationen und Kompass. Außerdem werden eingehende Nachrichten und Anrufe auf dem per App gekoppelten Smartphone angezeigt. Da werden über die Zeit immer neue Möglichkeiten hinzukommen, aber das Ökosystem bleibt geschlossen. Wir wollen weder medizinische noch andere kritische Daten unserer Kunden speichern, deren Sicherheit und Privatsphäre ist uns extrem wichtig.

Drei Jahre Entwicklungszeit, das klingt im Tech-Sektor wie eine halbe Ewigkeit. Was hat so lange gedauert?

Wir sind einfach kein Start-up aus dem Silicon Valley, sondern eine Uhrenmanufaktur. Die Aufgabe war auch nicht nur ein Betriebssystem von A bis Z zu entwickeln, sondern gleich noch etliche völlig neue Komponenten für den Solarbetrieb. Ganz nebenbei ist es uns gelungen, die Antenne in der Keramiklünette zu integrieren, ein echter Geniestreich. Jedes Teil der Uhr ist bei uns gefertigt und unter Extrembedingungen getestet, nichts haben wir von der Stange geordert. Es mag eine Schweizer Eigenart sein, aber wir geben einem Team lieber zwölf Monate länger, damit am Schluss ein ausgereiftes, verlässliches Produkt steht. Das zahlt sich aus, die Retouren-Rate ist verschwindend gering!

Mit der T-Touch Connect Solar betritt Tissot das Smartwatch-Parkett
Mit der T-Touch Connect Solar betritt Tissot das Smartwatch-Parkett
© PR

Etwas kritisch wurde die noch funktionslose GPS-Einheit in der Presse beäugt. Wann wird der Kunde die nutzen können?

Im Sommer werden wir eine App vorstellen, mit der man zurück zum Startpunkt findet, etwa bei einer Wanderung oder in unbekanntem Gelände. Das wird allein mit der Uhr funktionieren, ohne Smartphone. Auch werden Sportarten wie Radfahren hinzugefügt, die ebenfalls das GPS-Modul nutzen. Schließlich sind wir offizieller Timekeeper von Events wie der Tour de France.

Wie wird es bei diesem Projekt weitergehen?

Wir haben bereits ein komplettes Team an Bord und werden noch weitere Software- und App-Entwickler anstellen. Es wird definitiv ein weiteres Modell mit unserer neuen Technologie geben, aber nicht in der T-Touch-Kollektion, sondern in der Linie T-Sport. Mehr kann ich dazu aber nicht verraten, denn für die nächsten zwei, drei Jahre steht erstmal dieses Baby im Mittelpunkt.

Die Swatch Group ist nahezu vollständig vertikalisiert und kommt bei ihren Uhren ohne Zukäufe von Einzelteilen aus. Gibt es von Kollegen bereits Interesse an dem Tissot-OS?

Grundsätzlich helfen wir uns innerhalb des Konzerns wo immer es möglich und sinnvoll ist. Ob andere Marken das Betriebssystem für eigene Neuheiten nutzen möchten, das müssen sie deren Manager fragen.

In den Medien wird gern die gigantische Zahl der verkauften Apple Watches mit dem Gesamt-Output der Schweizer Uhrenindustrie verglichen, der deutlich niedriger ausfällt. Ist das fair, hat man hier einen wichtigen Trend verschlafen – oder ist das der Vergleich von, äh, Äpfeln mit Birnen?

Es werden auch mehr Kopfhörer verkauft als Schweizer Uhren – und definitiv mehr Smartphones. Wir sind aber nicht im Bereich der Consumer Electronics tätig, wo ich mich aus den Anfängen meiner Karriere recht gut auskenne. Das ist eine andere Welt, eine Welt der Bedarfsartikel, in der Marken ihre Produkte präsentieren und bereits die nächsten vorbereiten, die sie möglichst bald ersetzen sollen. Dieses ständige Update, so das Ziel, soll der Kunde mitmachen. Unsere Strategie ist grundverschieden. Wir fertigen seit 168 Jahren Qualitätsuhren, die uns ihre Besitzer auch Jahrzehnte nach dem Kauf zur Reparatur überlassen können. Interessant finde ich in dem Zusammenhang, dass wir 2019 in den USA ein Rekordjahr für Tissot verzeichnen konnten. Ich bezweifle sehr, dass zur gleichen Zeit keinerlei Smartwatches verkauft wurden. Das kannibalisiert sich also offenbar nicht gegenseitig. Wer schenkt schon zur Kommunion, zum Abitur, zum Studienabschluss oder zur Hochzeit eine Smartwatch? Das ist und bleibt unser Business.

Welche Funktion der T-Touch Connect Solar nutzen Sie privat am häufigsten?

Den Schrittzähler. Ich habe ein Minimum von 6000 Schritten pro Tag eingestellt, und wenn ich das abends noch nicht geschafft habe, gehe ich selbst bei übelstem im Regen noch mal raus. Toll ist auch die Option, Anrufe über die Uhr abzulehnen. Das ist nicht nur respektvoll in einem Meeting, sondern auch hilfreich auf schwieriger Strecke in den Schweizer Bergen. Bei Spaziergängen nutze ich den Kompass, wobei ich mich vor allem mit Boxen fit halte. Sehr gut für den Rücken, den wir ja gerade mit dem Sitzen vor Bildschirm und Webcam ganz schön malträtieren.

Was sehen Sie in Ihrer Glaskugel für Tissot und die Uhrenbranche voraus?

Prognosen sind natürlich aktuell extrem schwer. Doch egal was kommt, ich bin froh, dass wir als Unternehmen in dem Jahr seit Pandemiebeginn deutlich agiler und digitaler geworden sind. Das lässt uns Schwierigkeiten besser überstehen. Mut macht mir auch, dass wir den Umsatz im E-Commerce insgesamt um 43 Prozent steigern und online eine halbe Million Uhren verkaufen konnten. Oder nehmen Sie den Dezember 2020, den haben wir nur zwei Prozent unter Vorjahr abgeschlossen – und das war 2019 ein Rekordmonat, also schwer zu übertreffen. Generell betrachtet sorgt jede Krise dafür, dass die stärksten Marken mehr Platz im Handel eingeräumt bekommen. Dann ist Schluss mit den Experimenten und Juweliere setzen auf ihre Bestseller.

Was sind die wichtigsten To-dos für die Uhrenbranche?

Für mich ist das ein Trio: Produkt, Storytelling und Digitalisierung. Und zwar in dieser Reihenfolge. Beim Produkt muss die Qualität stimmen, das Preis-Leistungs-Verhältnis, die Konzentration auf jedes Detail. Für die nötige Zeit haben wir sukzessive die Zahl der Neuheiten reduziert. Die Geschichte einer Uhr muss authentisch sein, kein Marketing-Konstrukt, und emotional auf irgendeine Weise berühren. Der dritte Punkt ist die digitale Kommunikation, mit der wir mitreißend vom Produkt und seiner Story erzählen.

Das Interieur der neuen Tissot-Boutique in Tokios In-Viertel Ginza
Das Interieur der neuen Tissot-Boutique in Tokios In-Viertel Ginza
© PR

Wie gelingt Ihnen der Spagat zwischen eigenem Onlinegeschäft und der Unterstützung stationärer Handelspartner?

Wir haben gute Partner in den Bestellvorgang auf der Website integriert. Vor dem finalen „Kaufen“-Klick geben wir basierend auf der Postleitzahl die Möglichkeit, die Uhr in einem Geschäft in der Nähe anzuschauen und natürlich auch zu kaufen. Wir haben auch schon Gewinnspiele auf sozialen Plattformen begonnen, die im Store ihre letzte Station hatten. Da muss man viel mehr mit on- und offline spielen. Dass wir an Läden glauben zeigt nicht zuletzt unsere kürzliche Boutique-Eröffnung im Trendviertel Ginza von Tokio.

Gibt es etwas, das Sie kürzlich ein wenig von Absatzzahlen, Lockdown-Regeln und dem Ernst des CEO-Alltags abgelenkt und unterhalten hat?

Zuletzt hat das die Netflix-Serie „Lupin“ geschafft, in der es um einen modernen Meisterdieb in Paris geht. Den großartigen Hauptdarsteller Omar Sy habe ich vor fünf Jahren im Rahmen einer Party kennenlernen dürfen, und er ist der mit Abstand lustigste Mensch, den ich je getroffen habe. Und ein ganz toller Charakter.

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