Immer höher, schneller, weiter? Nicht unbedingt. Die jahrzehntelangen Paradigmen unserer Arbeitswelt wandeln sich. Immer weniger Arbeitnehmer legen Wert auf einen schnellen Aufstieg und mehr Gehalt. Stattdessen sehnen sie sich nach mehr Sinn in ihrer Arbeit – und fordern gleichzeitig eine ausgewogenere Work-Life-Balance.
Dieses Phänomen beschreibt der Autor Aaron Hurst in seinem 2014 veröffentlichten Buch „The Purpose Economy“, zu Deutsch „Sinnökonomie“. Hurst glaubt, dass die Sinnökonomie innerhalb der nächsten 20 Jahre die Informationsgesellschaft ablösen wird. In ihr ist die wichtigste Ressource, die es zu verteilen gibt, der Sinn. Denn die Millennials wünschen sich eine Arbeit, die etwas bewegt – ob auf persönlicher Ebene oder für einen höheren Zweck.
Dass dieser Ansatz nicht nur Spinnerei ist, zeigen aktuelle Trends wie New Work oder das Konzept der Gemeinwohlökonomie. Die Unternehmen reagieren unterschiedlich auf die sich verändernden Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter. Denn was ein erfülltes Arbeitsleben ausmacht, muss jeder für sich entscheiden. Hier sind vier ganz unterschiedliche Beispiele, wie Unternehmen ihre Mitarbeiter glücklich machen wollen:
#1 Upstaalsboomweg
Die Hotelbranche ist hart. Unangenehme Arbeitszeiten, wenig Geld und steile Hierarchien. Als Bodo Janssen 2010 die Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung erhält, ist der Geschäftsführer der Upstalsboom Hotels und Ferienwohnungen an der deutschen Nord- und Ostsee dennoch geschockt: Die Mitarbeiter fordern einen anderen Chef. Janssens Antwort ist radikal: Eineinhalb Jahre lang geht er regelmäßig ins Kloster, beschäftigt sich mit positiver Psychologie und Neurobiologie. Am Ende der Kontemplationszeit steht eine neue Unternehmensphilosophie in deren Mittelpunkt Werte wie Wertschätzung, Achtsamkeit und Vertrauen stehen.
Die Mitarbeiter sollen bei ihrer Arbeit die Freiheit haben, sich persönlich weiterzuentwickeln, ob als Putzkraft oder Führungspersonal. Kritik soll ernst genommen, starre Managementstrukturen aufgebrochen werden. Die Mitarbeiter erhalten größere Entscheidungskompetenz. Zudem bietet das Unternehmen konkrete Benefits an. Dazu zählen Seminare zur menschlichen Weiterentwicklung, eine Entwicklungswerkstatt zur Weiterentwicklung der Unternehmenskultur und Teamreisen. Zwei Tage im Jahr wird jeder Mitarbeiter freigestellt, um sich freiwillig sozial zu engagieren.
Und der wertebasierte Neuanfang scheint Früchte zu tragen: Eigenen Angaben zufolge haben sich die Unternehmensumsätze von Upstalsboom innerhalb von drei Jahren verdoppelt und die Zufriedenheit der über 600 Mitarbeiter ist auf über 80 Prozent gestiegen.
#2 Vaude
Wie Produkt und Konsum ressourcenschonend gestaltet werden können, zeigt das Unternehmen Vaude. Der deutsche Bergsportausrüster produziert seit 2001 Produkte mit nachhaltigen Materialien und in umweltschonenden Produktionsabläufen. Gegründet wurde das Vaude 1974 von Albrecht von Dewitz, seit 2009 ist seine Tochter Antje von Dewitz die Geschäftsführerin. Unter ihrer Führung verstärkte Vaude seine Bestrebungen im grünen Wirtschaften: 2018 erschien die erste Kollektion, deren Materialien zu 90 Prozent aus biobasierten, recycelten oder Naturmaterialien bestehen.
Im selben Jahr gründete von Dewitz eine Upcycling-Werkstatt, in der Geflüchtete aus Materialresten neue Produkte fertigen. Auch in der Personalpolitik zeigt sich das Unternehmen nachhaltig und modern: Die Firmenzentrale im baden-württembergischen Tettnang ist klimaneutral, viele der 500 Mitarbeiter vor Ort arbeiten in Teilzeit. Schon seit 2001 gibt es ein betriebseigenes Kinderhaus für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
7 ungewöhnliche Benefits für Mitarbeiter
Kaffeemaschine, Firmenwagen und Parkplatz waren gestern – heute bieten immer mehr Unternehmen ihren Mitarbeitern ganz besondere Leistungen an. Das sind sieben ungewöhnliche Benefits für Mitarbeiter.
7 ungewöhnliche Benefits für Mitarbeiter
Auf Wunsch des Chefs Spaß haben, anstelle zu arbeiten? Klingt nach einem Traum, ist aber für die Mitarbeiter des US-amerikanischen Outdoorausrüsters REI Realität. Denn das Unternehmen bietet seinen Beschäftigten zwei Mal pro Jahr die Möglichkeit einen sogenannten Yay Day zu nehmen: einen Tag bezahlten Urlaub, der für spaßbringende Outdooraktivitäten verwendet werden soll – von Wandern bis zu Marathonlaufen. Allein in der ersten Yay Day-Phase haben Angaben des Unternehmens zufolge 75 Prozent der rund 12.000 Mitarbeiter das Angebot in Anspruch genommen.
Aller Anfang ist schwer – das gilt insbesondere wenn man für den Job in eine neue Stadt zieht. Neben der 40-Stunde-Woche und Umzugsstress neue Freunde zu finden, kann eine Herausforderung sein. Um ihre neuen Mitarbeiter bestmöglich zu unterstützen, hat der Berliner Online-Musikdienst SoundCloud sich deshalb etwas ganz Besonderes ausgedacht: Das New Friends Relocation Program. Dabei sollen Mitarbeiter ihre neuen Kollegen bei der Ankunft in der Hauptstadt unterstützen – und bestenfalls Freundschaften schließen.
Beim schwedischen Musikstreamingdienst Spotify arbeiten Menschen aus 90 Ländern. Entsprechend vielfältig sind deshalb die Religionszugehörigkeiten – und nicht allen sind die gleichen Feiertage wichtig. Das nahm Spotify zum Anlass, um das Konzept der flexiblen Feiertage einzuführen. So kann jeder Mitarbeiter individuell entscheiden, wann er welchen Feiertag nehmen möchte. Gleichzeitig wirkt das der Unterbesetzung an Feiertagen wie Weihnachten entgegen.
Verschuldet ins Berufsleben starten? Für viele Uniabsolventen ist das die Realität. Um ihnen unter die Arme zu greifen, bietet das Beratungsunternehmen PricewaterhouseCoopers International seinen Mitarbeitern ein ganz besonderes Benefit: 1200 US-Dollar jährlich für die Rückzahlung von Studienkrediten.
Der deutsche Sportartikelhersteller Adidas setzt nicht nur für seine Werbung auf berühmte Markenbotschafter wie Fußballer David Beckham oder Tennisspielerin Caroline Wozniacki. Auch für Mitarbeiterevents engagiert das Unternehmen regelmäßig Stars und berühmte Gastredner. Dazu gehörten in der Vergangenheit unter anderem Fußball-Weltmeister Thomas Müller und der US-amerikanische Musiker Pharrell Williams.
Urlaubmachen auf Kosten des Unternehmens? Für die Airbnb-Mitarbeiter in Dublin ist das eine reale Option. Der US-amerikanische Vermittler von Privatunterkünften für Reisende bietet seinen Beschäftigten jährlich rund 1.800 Euro Reisebudget, um die Welt zu erkunden.
Wer für den US-amerikanischen Snowboardhersteller Burton mit Sitz in Vermont arbeitet, darf sich nicht nur über saisonale Skipässe freuen. An besonders schneereichen Tagen erhalten viele Mitarbeiter zudem „schneefrei“ und dürfen anstelle zu arbeiten auf die Piste gehen.
#3 Toms
Wie lassen sich unternehmerische Aktivitäten und soziales Engagement verbinden? Kann man seinen Mitarbeitern und Kunden sinnstiftende Arbeit und Konsum bieten? Als der Amerikaner Blake Mycoskie 2006 durch Südamerika reiste und sah, dass viele Kinder keine Schuhe trugen, kam ihm eine Idee. Er gründete Toms, ein Unternehmen, das mit jedem Paar verkaufter Schuhe wiederum ein Paar Schuhe an ein Kind in Not spendet. One for One nennt sich dieses Prinzip, bisher hat das Unternehmen so nach eigenen Angaben über 86 Millionen Schuhe gespendet.
Zudem verkauft Toms seit 2011 auch Brillen – und stellte bisher rund 600.000 Menschen für jeden Verkauf einer Brille verschreibungspflichtige Brillengläser, medizinische Behandlungen oder augenchirurgische Operationen bereit. Obwohl das One for One-Prinzip entwicklungspolitisch umstritten ist, zeugt es doch davon, dass sich das Verständnis von Unternehmensverantwortung wandelt: weg von blindem Wirtschaften hin zu mehr sozialer Verantwortung – ganz im Sinne der Hurstschen Sinnökonomie.
#4 Semco Partners
Semco Partners ist ein brasilianischer Konzern mit 3000 Angestellten, der in verschiedenen Branchen tätig ist, darunter im Dienstleistungssektor und im produzierenden Gewerbe. So weit, so gewöhnlich. Doch hinter der Fassade verbirgt sich eine bemerkenswerte Personalpolitik. Denn im Unternehmen des Mehrheitseigners Ricardo Semler wird radikale Demokratie gelebt – und das seit über 30 Jahren. Seitdem Semler 1982 das Unternehmen seines Vaters übernahm, gibt es keine Geschäftspläne mehr, keine Personalabteilung, keine Anwesenheitspflicht.
Getreu dem Motto „Behandle deine Mitarbeiter wie Erwachsene, dann verhalten sie sich auch so“ müssen die Mitarbeiter Urlaub weder beantragen, noch Rechenschaft über ihre Arbeitszeiten ablegen. Semler vertraut auf die Freiheit und Integrität des Einzelnen. So sollen die Mitarbeiter selber festlegen, welche Arbeit sie sinnvoll finden – und sich stärker damit identifizieren. Und die Demokratisierung geht noch weiter: Führungskräfte werden auf der Basis von Mitarbeiterbefragungen gewählt, die Gehälter bestimmen die Mitarbeiter entlang der Gewinne des Unternehmens selbst.
Was nach einem absoluten Managerschreck klingt, hat sich ausgezahlt: Zwischen 1982 und 2003 stieg der Umsatz des Unternehmens von 4 Millionen auf 212 Millionen US-Dollar. Semco Partners gehört mittlerweile zu den beliebtesten Arbeitgebern des Landes.