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Recruiting Wie wird Employer Branding weniger peinlich?

Ehe Jürgen Müller die Recruiting-Agentur Suits gründete, war er Chefredakteur des Branchenmediums „Textilwirtschaft“
Ehe Jürgen Müller die Recruiting-Agentur Suits gründete, war er Chefredakteur des Branchenmediums „Textilwirtschaft“
© PR
Unternehmen umwerben neue Talente mit peppigen Slogans, bunten Bildchen und hehren Versprechungen auf Linkedin. Auch Mitarbeiter müssen als Botschafter ran. Bringt das was? Antworten von einem Recruiting-Experten

Wenn Unternehmen sich für potenzielle Bewerber ins rechte Licht rücken wollen, menschelt es gewaltig – von Linkedin bis Instagram. Schnappschüsse von der Kanutour mit der Abteilung, Fragebögen, in denen neue Kollegen ihre Lieblingscocktails preisgeben, überschwängliche Lobeshymnen voller „Ich bin stolz/dankbar/glücklich“-Floskeln – selbst noch im Exit-Post.

Das ist alles Teil eines notwendigen Employer Brandings (erstmals 1996 in einer Studie erwähnt), sagen HR-Profis, erst recht angesichts des oft beklagten Fachkräftemangels. Kritiker bewerten einen Großteil dieser Kommunikationsmaßnahmen derweil eher als oberflächlichen 0815-Content, der zudem gern mal infantil entgleitet. Ohne verlässliche Tiefenwirkung oder wirkliche Garantien für Interessenten.

Doch wie blickt ein erfahrener Recruiting-Experte wie Jürgen Müller, Gründer der auf die Textilbranche spezialisierten Personalberatung Suits, auf diese Formen des Werbens um Talente? Gibt es einen Mittelweg zwischen proaktiv und peinlich? Und: Bringt der ganze „Komm zu uns“-Zirkus überhaupt etwas? Capital hat nachgefragt.

Capital: Was genau versteht man eigentlich unter Employer Branding?
JÜRGEN MÜLLER: Beim Employer Branding geht es für Unternehmen darum, sich als attraktiver Arbeitgeber darzustellen und im Arbeitsmarkt positiv von der Konkurrenz abzuheben. Man will nicht nur von den Kunden, sondern auch von den Mitarbeitenden als Marke wahrgenommen werden.

Wie hieß das, was damit umrissen wird, früher?
Dass Unternehmen sich Konzepte überlegen müssen, wie sie neue Mitarbeitende gewinnen und ihre bestehende Belegschaft halten können, ist nichts Neues. Früher lief das unter Personalmarketing. Neu ist aber, dass Personaler heute wie Marketeers denken und handeln müssen: konzeptionell und abgestimmt, stets mit einem klaren Blick auf das Gesamtbild. Wer sind wir jetzt? Wer wollen wir zukünftig sein? Was tun wir, um dieses Ziel zu erreichen? Was nicht? Und natürlich: Was fordert der Markt – wie agieren die Wettbewerber?

Seit wann prägt dieser Begriff den „War for Talents“?
Im Sprachgebrauch von Personalverantwortlichen ist das Employer Branding seit vielleicht 10, 15 Jahren üblich. So lange wie Arbeitskraft am Markt im Überfluss verfügbar war, besaß das Thema jedoch keine große Priorität. Das hat sich nun im gleichen Maß verändert, wie sich der Arbeitsmarkt zum Arbeitnehmermarkt gewandelt hat und das Ringen um die besten Bewerber härter wurde.

Weil die Geburtenraten höher sein könnten?
Nein, dieser Engpass hat nicht allein demografische Gründe, sondern geht mit einer massiv zunehmenden Spezialisierung in den meisten Unternehmen einher. Entsprechend sind die Anforderungen in vielen Positionen gestiegen, ganz neue Qualifikationen gefragt, und es wird daher immer aufwändiger, freie Stellen adäquat zu besetzen.

Klingt irgendwie bekannt.
Diese Entwicklung beobachten wir in der Tat bereits seit ungefähr zehn Jahren, und die Corona-Pandemie hat die Situation noch einmal deutlich verschärft. Während stark betroffene Branchen wie beispielsweise die Gastronomie und der Einzelhandel die in den letzten drei Jahren verlorenen Mitarbeiter nur schwer ersetzen können, macht der Digitalwirtschaft dagegen bis heute ihr Boom in dieser Zeit zu schaffen. Tja, und dass ausgerechnet jetzt die Generation Z mit ganz neuen Anforderungen und Ansichten auf den Arbeitsmarkt drängt, ist für HR-Abteilungen eine zusätzliche Herausforderung.

Warum ist die nimmermüde und multimediale Selbstdarstellung von Marken und Unternehmen in diesem Kontext so essenziell?
Es geht schlicht darum, mit seinen Botschaften durch den Äther zu dringen. Das ist nicht allein eine Frage der Frequenz, mindestens ebenso entscheidend ist die inhaltliche Qualität, eine zündende Ansprache der jeweiligen Zielgruppe und der passende Kanal. Einmal das ganz große Feuerwerk abzubrennen reicht nicht aus, man braucht einen Willen zur Kontinuität, ein Gefühl für stimmige Storys und eine hohe Wiedererkennbarkeit. Ganz genauso wie gute Markenartikler ihre Produkte entwickeln, promoten und vertreiben.

Ist Employer Branding wirklich unverzichtbar?
Wie heißt es so treffend: Man kann nicht nicht kommunizieren. Das gilt für uns Menschen ebenso wie für ein Unternehmen. Beide werden am Arbeitsmarkt wahrgenommen und beurteilt, da ist es doch klug, sein Image gezielt zu beeinflussen, oder?

Welche Botschaften, Formate und Taktiken kommen dabei zum Einsatz?
Oh, Gott. Da gibt es so vieles, womit man experimentieren kann...

Dann bitte einen Best Case aus jüngster Vergangenheit.
Spontan fällt mir die Linkedin-Kommunikation von Hugo Boss ein, wo Vorstände und Personalverantwortliche regelmäßig über interne Events, Meilensteine und Erfolge berichten. In Wort, Bild und vielfach mit professionell gedrehten Videos. Das ist schon extrem gut gemacht, weil es nicht nur extern wahrgenommen, sondern auch von Mitarbeitenden kräftig gelikt wird.

Was sind drei Grundregeln bzw. Leitlinien, die Firmen bei ihrem Employer Branding unbedingt beherzigen sollten?
Als Erstes muss das Job-Produkt stimmen. Unternehmen sollten intern für Bedingungen sorgen, die sie für Mitarbeitende – jetzige und zukünftige – tatsächlich attraktiv machen. Klar, das ist oft leichter gesagt als getan und hat Grenzen. Ein Rüstungskonzern wie Rheinmetall wird allein mit seinem Sortiment vermutlich bei wenigen Bewerbern echte Sympathiepunkte sammeln. Ist nicht zu ändern, folglich sind dann andere Anreize gefragt. Generell sollte man dabei aber nicht über jedes Stöckchen springen, das einem New-Work-Gurus hinhalten. Wer braucht schließlich einen Tischkicker im Foyer der Deutschen Bank?

Keine Ahnung.
Zweitens ist eine glaubwürdige Kommunikation wichtig, die keine haltlosen Versprechungen gibt und nichts schönredet. Sonst fehlt dem Employer Branding schlicht die Bodenhaftung, denn es geht ja um ein authentisches, attraktives Gesamtbild. Eines, das sich drittens langfristig kommunizieren und weiter ausbauen lässt.

Wie klopft ein Interessent den schönen Schein auf Linkedin auf seinen Wahrheitsgehalt ab?
Im besten Fall bittet man „Betroffene“ um ihre Einschätzung, etwa Vorgänger in der vakanten Position, andere Kontakte im Unternehmen – vielleicht persönlich und vor Ort? – oder dessen Geschäftspartner. Da ist ein möglichst große persönliches Netzwerk definitiv ein Plus. Auch Bewertungsplattformen wie Kununu oder Glassdoor liefern Entscheidungshilfen, wobei sich dort tendenziell eher unzufriedene (Ex-)Mitarbeiter zu Wort melden. Ohnehin wird sich jeder seriöse Personalberater bemühen, ein möglichst wahrheitsgetreues Profil der Position oder Aufgabe zu skizzieren. Inklusive Hinweisen auf etwaige Risiken sowie Nebenwirkungen. Kurz: Tun Sie alles, um das Employer Branding auf Plausibilität abzuklopfen!

Apropos: Auf Instagram sind #teamtuesdays weit verbreitet, wo Mitarbeiter als „Firmenbotschafter“ ihre Lieblingskneipen in Kreuzberg und aktuelle Gym-Hits posten. Müssen. Mit Bild.
Wie schon erwähnt: Was zu welcher Arbeitgebermarke passt, sollten sich die Verantwortlichen gut überlegen. Da gibt es kein one size fits all. Als gelernter Journalist hoffe ich zunächst einmal, dass das Einverständnis zur Veröffentlichung eingeholt wurde und so das Recht am eigenen Bild gewahrt bleibt. 

Vielleicht lockt manche Kollegen auch ein Funke Berühmtheit, wenn sie den Arbeitgeber in sozialen Medien offiziell – und euphorisch – über den grünen Klee loben.
Kann schon sein, dass es dem einen oder anderen Ego schmeichelt, auf einer Plakatwand oder in Tiktok-Clips präsentiert zu werden. Allerdings ist bei Sprüchen wie „I make you famous“ äußerste Vorsicht geboten, würde ich raten, denn damit versuchte früher mancher Fotograf an der Bartheke ein Date zu ergattern...

Das Mantra vom Angestellten als Superfan seines Unternehmens gipfelt in meiner Beobachtung oft in linkischen Intranet-Beiträgen à la „Was macht Stefan aus der Buchhaltung eigentlich den ganzen Tag?“
Grundsätzlich verleiht der Auftritt von Mitarbeitenden einer Kampagne durchaus besondere Glaubwürdigkeit. Außerdem spart man das Geld für richtige Models, was Controller verzückt. Trotzdem zählt einzig die Kongruenz von Botschaft, wahrgenommenem Image und erlebtem Arbeitsalltag. Mein Tipp: Ruhig einmal überlegen, welche Kollegin, welcher Kollege auf eine für das Kampagnenziel relevante Weise besonders und deshalb für ein breiteres Publikum interessant ist. Ohne die Person auf unangenehme Weise „vorzuführen“, natürlich. Ob Stefan aus der Buchhaltung hier der richtige ist? Das kann ich nicht wissen.

Jürgen Müller ist Gründer und CEO der Münchner Personalberatung Suits, eine der ersten Adressen für Recruiting-Mandate in der Mode- und Lifestylebranche. Zuvor war er jahrelang Chefredakteur der „Textilwirtschaft“. Sein Webportal profashionals.de gehört seit 2010 zur Pflichtlektüre für viele Entscheider aus dem Mode- und Einzelhandel.

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