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Arbeitsplatz Schlechte Führung: Ist Cheffing das Mittel gegen autoritäre Chefs?

Team und Führungskräfte sitzen an einem Tisch im Büro
Experten halten beim Cheffing vor allem die Ursachen für problematisch – und die liegen meist bei den Führungskräften
© Addictive Stock / IMAGO
Beim Cheffing lenken Mitarbeitende subtil ihre Führungskräfte, um bessere Entscheidungen herbeizuführen. Aber so weit sollte es gar nicht erst kommen müssen, sagen Experten

Hier einen Vorschlag machen, da einen Hinweis geben, bereitwillig eine Zusatzaufgabe in einem bestimmten Fachbereich übernehmen. Mit diesen simplen Mitteln können Mitarbeitende auf subtile Art und Weise die Aufmerksamkeit ihrer Vorgesetzten lenken und ihre Entscheidungen beeinflussen. Denn auch wenn Führungskräfte am längeren Hebel sitzen mögen, haben auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Macht – und die nutzen sie. Vor allem wenn die Führungskultur nicht stimmt. 

Beim sogenannten Cheffing manipulieren Mitarbeitende ihre Vorgesetzten sogar, allerdings mit guter Absicht. Experten stellen sich dabei auf die Seite der Beschäftigten, denn sie sagen: Wo Cheffing auftritt, haben Führungskräfte versagt. 

Führungskräfte loben und selbst gegensteuern

Cheffing ist ein neuer Begriff für etwas, das es schon viele Jahre gibt: Die Führung von unten. Mitarbeitende halten dann etwa Informationen zurück, die für ihre Chefs eigentlich wichtig wären, kommunizieren sie für ihr Team anders oder loben den Vorgesetzten für sein Handeln, während sie selbst schon heimlich Gegenmaßnahmen ergreifen. Dabei geht es ihnen nicht darum, sich selbst einen Vorteil zu verschaffen, sondern um ein besseres Ergebnis für das Unternehmen oder Team.

Insbesondere wenn Mitarbeitende im operativen Geschäft einen besseren Überblick haben als ihre Vorgesetzten oder Alltagsprobleme eher erkennen, kann das durchaus positiv sein. Michael Fallgatter vom Lehrstuhl für Personalmanagement an der Bergischen Universität Wuppertal lobt am Cheffing deshalb die Eigeninitiative und Leidenschaft der Mitarbeitenden – selbst wenn sie manipulativ vorgehen. „Beim Cheffing geht es um etwas, von dem man überzeugt ist, das es für die eigene Abteilung oder das Unternehmen relevant ist“, sagt Fallgatter im Gespräch mit Capital. „Wenn wir eine Führungskraft haben, die meint, alles am besten zu wissen und sich nicht auf die Vorstellungen der Mitarbeitenden einlässt, dann gibt es vielleicht keinen anderen Weg als die subtile Beeinflussung.“ 

Cheffing als Gegenbewegung zu autoritärer Führung

Auch Arbeitspsychologe Stefan Diestel von der Uni Wuppertal sieht die Ursache des Cheffing als das größere Problem. Wie der Begriff schon andeute, gehe es auch um Machtdiskurse. „Wenn eine Führungskraft genügend Kontrollspielräume und Autonomie gewährt, dann ist Cheffing gar nicht erforderlich“, sagt Diestel Capital. Allerdings stelle er in Befragungen und Führungskräftetrainings zunehmend fest, dass sich die Führungskultur in vielen Unternehmen verschlechtere und Führungskräfte viel Druck ausüben. „Wenn sich eine Führungskultur in Richtung autoritärer oder abusive Leadership verschärft, dann ist das Cheffing eine Art Gegendiskurs.“

Die Reaktion der Mitarbeitenden sei dann: Wir erledigen die Dinge lieber selbst und entscheiden, wie wir es für richtig halten, um Schaden von uns und unserem Unternehmen abzuwenden. Das habe er in der Vergangenheit etwa bei Banken beobachtet, wo der Wettbewerb besonders hart ist. 

Allerdings liegt die Folgerung nahe, dass Beschäftigte, die Cheffing in ihrem Unternehmen als notwendig erachten, auch etwas riskieren. „Wenn eine Organisation sehr hierarchisch strukturiert ist, ist es für die Beschäftigten gefährlich, so zu handeln“, sagt Diestel. Es sei deshalb ratsam, sich mit Kolleginnen und Kollegen zu solidarisieren. „Wenn man sich untereinander abstimmt, nimmt man die anderen auch ein Stück weit in die Pflicht im Sinne von: Du wusstest ja auch Bescheid und fandest es richtig, dem Kunden dieses Angebot zu schicken und nicht jenes, was der Chef besser fand.“

Offener Diskurs steigert Überlebenschancen für Unternehmen

Seriöse Daten dazu, wie oft Cheffing auftritt, gibt es nicht. Aus Unternehmenssicht sind dann aber laut Personalexperte Fallgatter mindestens Schulungen für Führungskräfte notwendig. „Ich würde nicht pauschal sagen, dass Unternehmen sonst keine Überlebenschance haben“, sagt er. „Aber die Überlebenschance steigt, wenn offene Diskussionen stattfinden.“ 

Forschung zur Beziehung von Vorgesetzten und Mitarbeitenden habe gezeigt, dass es verschiedene Phasen der Annäherung gibt. „Man spricht von Role-Making, Role-Taking und Role-Routinization”, sagt Fallgatter, also dem Schaffen, Einnehmen und Routinisieren einer Rolle. „Wenn das erfolgreich war und eine stabile Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden besteht, dann ist aus meiner Sicht gar kein Cheffing mehr möglich.“ Er verweist außerdem auf die Ambitionen vieler Unternehmen Hierarchien abzubauen und Führungssituationen kollegialer zu gestalten. Dazu seien die Angestellten heute oft zu so gut qualifiziert, dass man ihnen durchaus Verantwortung übertragen könne.

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