Führungskraft sein ist manchmal anstrengend. Führungskraft sein ist manchmal befriedigend. Führungskraft sein heißt manchmal aber auch: mit dubiosen Angeboten der Leadership-Industrie konfrontiert zu werden. Das ist eine Anstrengung, die wir den Führungskräften ersparen sollten.
Das Phänomen Führung leidet unter einem seltsamen Paradox. Einerseits wird es seit hundert Jahren intensiv erforscht. Andererseits halten sich in kaum einem anderen Gebiet in den Unternehmen so viele Halbwahrheiten, Unkenntnis und nackter Blödsinn wie hier. Dabei sind Warnzeichen in der Regel offensichtlich. Zwei Beispiele:
- Wenn Ihnen jemand „Führung“ darstellen will, ohne auf den theoretischen und praktischen Zusammenhang zu „Geführten“ und „Kontext“ einzugehen, können Sie ihn von Ihrer Dienstleisterliste streichen. Das betrifft zum Beispiel alle Anbieter, die in ihrer Eigenwerbung immer noch auf „Führungsstile“ oder spezielle Charaktereigenschaften von Führungskräften hinauswollen.
- Wenn Ihnen jemand zwar beliebte, aber wissenschaftlich widerlegte Persönlichkeitstest wie MBTI, DISG© oder ähnliches verkaufen will, streichen Sie ihn ebenfalls von Ihrer Liste. Solche Anbieter wissen entweder, dass ihre Ansätze wirkungslos sind und verkaufen sie trotzdem – oder sie sind ahnungslos. In beiden Fällen sollten sie nicht auf Unternehmen losgelassen werden.
Als Führungskraft müssen Sie hier die Personalabteilung in die Pflicht nehmen. HR ist der Gatekeeper, wenn es darum geht, Instrumente zur Führungskräfte-Entwicklung einzukaufen. Und gerade hier haben wir oft ein Kompetenzproblem. In der HR sitzen eben nicht selbstverständlich Psychologen und andere Fachleute, die solche Modelle und Instrumente beurteilen können, sondern durchaus auch Juristen, Marketingleute, Kaufleute etc. Die sind für Fachbeurteilungen wie Validität, Reliabilität, Objektivität von Instrumenten nicht ausgebildet.
Wir brauchen bestens ausgebildete Personaler
Wenn Ihr Personaler nicht weiß, was ein Konfidenzintervall ist oder was die interne Konsistenz einer Persönlichkeits-Skala ausdrückt, sollte er sich selbst nachschulen. Wir brauchen bestens ausgebildete Personaler, damit diese ihrerseits Führungskräften nur Instrumente und Weiterbildungen an die Hand geben, die wissenschaftlich begründet sind. Damit würden wir übrigens auch auf die Debatte um den Wertbeitrag von HR zum Organisationsergebnis einzahlen.
Liebe Führungskräfte: Nageln Sie Ihre Personaler darauf fest. Fordern Sie Wissenschaftlichkeit ein. Denn letztlich spart es auch Ihnen selbst Zeit und Nerven, wenn Sie so in der Führung ausgebildet werden, dass Zusammenarbeit wirksam funktioniert. Überlegen Sie mal: Nirgendwo wird mit Qualität so „sloppy“ umgegangen wie im Bereich Mensch, nicht in der Produktion, nicht im technischen Bereich, nicht einmal in der Verwaltung. Nur im Personalbereich leisten wir uns Buzzwords, Bullshit und Augenwischerei.
Weniger Mode, weniger Chichi, dafür mehr Wissenschaftlichkeit und solide Instrumente: Das wünsche ich mir für die Personal- und Führungsarbeit in Deutschland.