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Abfindung „Das Höchste, was ich mit verhandelt habe, waren eine Million Euro“

Mitarbeiter einer Firma gehen durch eine Tür
Tausende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden derzeit gekündigt. Doch nicht für alle ist eine Abfindung drin
© Zoonar | Robert Kneschke / Picture Alliance
Tausenden Beschäftigten droht zurzeit die Entlassung. Ein Anwalt erklärt im Interview, was Arbeitnehmern an Abfindung zusteht – und welche Unternehmen am meisten zahlen
Dr. Alexander Bourzutschky ist Fachanwalt für Arbeits- und Sozialrecht und Associate Partner bei der Kanzlei Rödl & Partner in München. Er verhandelt seit über 20 Jahren Abfindungen und Aufhebungsverträge für Arbeitgeber- und Arbeitnehmer. 

Capital: Herr Bourzutschky, Konzerne wie Bayer, BASF und der Autozulieferer ZF dünnen derzeit ihre Belegschaften aus. Auch in Deutschland trifft das tausende Beschäftigte, einfache Angestellte, Führungskräfte. Ist diese Entlassungswelle bereits bei Ihnen angekommen?
ALEXANDER BOURZUTSCHKY: Die Kündigungswelle baut sich bereits langsam auf. Viele Unternehmen haben Stellen erstmal nicht neu besetzt, dann auf Leiharbeitnehmer verzichtet und sie greifen nun in der letzten Stufe zu Kündigungen. Diese Vorstufen, die die Entlassungswelle ankündigen, laufen alle schon und ich rechne jetzt mit einer größeren Welle. 

Der Pharmakonzern Bayer trennt sich in Deutschland von hunderten Mitarbeitern. Wer geht, soll das 1,2 -Fache eines Bruttomonatsgehalts mal den Dienstjahren plus Sozialzuschläge für Kinder bekommen. Wer schnell geht, dem zahlt der Konzern eine Sprinterprämie mit dem Faktor 1,5 der Monatsgehälter bis maximal 35 Dienstjahre – macht bei einem fiktiven Bruttogehalt von 7000 Euro im Höchstfall 367.500 Euro. Aus Sicht des Abfindungsprofis – ist das üppig oder knauserig?
Bayer hat auch schon höhere Abfindungen bezahlt. In der letzten größeren Abbauwelle 2019 hat Bayer bis zu 1,9 Bruttogehälter als Sprinterprämie geboten, um sich von Mitarbeitern zu trennen. Aber die Höhe der Abfindungen orientiert sich natürlich auch an der wirtschaftlichen Lage und den Aussichten. Aber im Prinzip macht Bayer das, was ich allen Arbeitgebern rate. Lieber großzügig abfinden als viel Geld in einen langen Rechtsstreit zu stecken. Und mit einer Sprinterprämie verabschieden sie einfach viele Führungskräfte ohne größeren Zwang und Konflikte. 

Aber was raten Sie den Beschäftigten in so einer Situation – Geld nehmen oder abwarten?
Das kommt drauf an. Generell gilt: Je besser meine Kündigung ist als Arbeitgeber, umso weniger bin ich natürlich bereit, eine Abfindung zu bezahlen, weil ich mir sage: Wenn die standhält, dann muss ich gar nichts bezahlen. Wenn ich andersrum genau weiß, meine Kündigung wird nie im Leben halten, dann muss ich eben mehr Geld in die Hand nehmen, wenn ich den Beschäftigten trotzdem loswerden möchte. 

Sie vertreten oft Führungskräfte gegenüber ihrem Arbeitgeber, was springt denn da raus?
Das Höchste, was ich mal mit verhandelt habe, waren eine Million Euro. Aber das ist schon ein Ausreißer. Höhere sechsstellige Beträge allerdings gibt es oft.

Welche Branche zahlt am besten? Und gibt es Unterschiede zwischen Konzern und Familienunternehmer?
Regelmäßig habe ich bei BMW sehr hohe Abfindungen gesehen. Auch regionale Familienunternehmen sind teilweise sehr großzügig.

Hat eigentlich jeder, der gekündigt wird, einen Anspruch auf eine Abfindung?
Da muss ich Sie enttäuschen. Es gibt keinen gesetzlichen Anspruch. Im Gesetz wird diese Möglichkeit überhaupt nur an einer einzigen Stelle angedeutet, nämlich dann, wenn der Arbeitnehmer auf eine Kündigungsschutzklage verzichtet. Da kommt die sogenannte Faustformel mit einem halben Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr her. Die kann der Arbeitgeber freiwillig anbieten, wenn der Beschäftigte im Gegenzug darauf verzichtet, seinen Arbeitsplatz einzuklagen. Aber es ist freiwillig und die Höhe sowieso.

Aber viele orientieren sich doch an diesem halben Monatsgehalt pro Berufsjahr als Abfindung. 
Bei normalen Beschäftigten ist das die Faustformel. Führungskräfte landen dann in ganz anderen Sphären. 

Gerade erschüttert der Zusammenbruch von René Benkos Immobilien- und Handelsimperium die Republik. Tausende Beschäftigte von Kaufhof-Filialen fürchten um ihren Arbeitsplatz. Welche Chancen hat eine Kaufhof-Angestellte, im Insolvenzfall noch eine Abfindung zu bekommen? 
Ich mache Arbeitnehmern in Insolvenzfällen selten Hoffnung, dass da noch irgendwo Reserven für eine Abfindung übrig sind. Und wenn die gesamte Unternehmensgruppe schief hängt, wie das eben im Fall Benko der Fall ist, wo alles wie ein Kartenhaus zusammengefallen ist, da werden nicht viele finanzielle Möglichkeiten übrig sein. Insolvenz und Abfindung ist meistens eine ganz, ganz traurige Geschichte.

Das Hauen und Stechen der verschiedenen Gläubiger geht ja erst richtig los. Die Liste ist lang, Investoren, Staat – wo reiht sich denn da der Beschäftigte an?
Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf sogenannte bevorzugte Befriedigung, heißt er kommt schneller dran als andere. Aber das Problem liegt woanders. In einem Insolvenzverfahren wird eine Quote ausgeschüttet, das heißt, man prüft, wie viele Forderungen sind da und setzt diese ins Verhältnis zum vorhandenen Geld. Am Ende bekommt man nur einen Bruchteil dessen, was man eigentlich bekommen sollte. Und das gilt auch für Arbeitnehmer. Allerdings zahlt die Bundesagentur für Arbeit drei Monate lang sogenanntes Insolvenzausfallgeld. Das heißt, die Beschäftigten haben zumindest einen kurzfristigen Schutz. Die drei Monate sind übrigens auch die Kündigungsfrist, die der Insolvenzverwalter einzuhalten hat.

Dieses Sonderkündigungsrecht im Insolvenzfall ist nicht angreifbar?
Das macht wenig Sinn. Hinter den Kulissen wird jetzt ohnehin vermutlich bereits über Sozialpläne und Interessenausgleich verhandelt. Das verhandeln Betriebsrat, Geschäftsleitung und Insolvenzverwalter. Die schnüren ein Gesamtpaket und da ist es für den Einzelnen dann sehr schwer, über dieses Paket hinaus zu kommen. 

Was ist, wenn Gehälter länger nicht gezahlt worden sind, ein Beschäftigter also noch höhere Ausstände hat. 
Das fällt dann alles in die Insolvenzmasse rein und wird dann eben nur prozentual ausgeglichen. Das kann man sich dann auch nicht zurückholen. 

Eine Kaufhausangestellte beklagte jüngst bitterlich, dass die ganzen Manager sich noch Boni ausgezahlt hätten, aber sie und ihre Mitstreiter nun dumm aus der Röhre gucken, weil kein Geld mehr für Abfindungen da ist. 
Da kann der Insolvenzverwalter tatsächlich was tun. Er ist berechtigt, Zahlungen wie Boni wieder zurückzuholen, wenn das Unternehmen in diesem Moment bereits überschuldet oder die finanzielle Schieflage erkennbar war. Das ist dann eine Insolvenzanfechtung. Personen, die das veranlasst haben, sind zur Rückzahlung verpflichtet. Wer das in dem Wissen um die Schieflage getan hat, begeht sogar eine Straftat. Mit dieser Keule kann der Insolvenzverwalter die Masse nach oben treiben, um vielleicht sogar eine Weiterführung oder eine nicht ganz so dramatische Zerschlagung und Auflösung zu erreichen.

Das betrifft dann nicht nur Boni, sondern auch möglicherweise Ausschüttungen an Investoren, die ein bisschen zu üppig geraten sind?
Ja. Alle Zahlungen, die zu einem Zeitpunkt erfolgten, wo man es eigentlich nicht mehr hätte machen dürfen, also bei drohender Zahlungsunfähigkeit. 

Und schwingt auch mal jemand diese Keule? 
Ja, das gehört zum Handwerkszeug eines Insolvenzverwalters. Es ist seine Kernaufgabe, die Finanzmasse zusammenzuhalten und durch Anfechtungen zu vergrößern. Und er profitiert auch selbst davon, da sein Salär aus der Masse errechnet wird.

Was passiert, wenn mein Arbeitgeber im Ausland sitzt. Kann ich da auch mit einer Abfindung rechnen?
Außerhalb unseres europäischen Rahmens ist die Haltung eine andere. Da fragt man sich, warum sollen sie jemandem, den sie gekündigt haben, auch noch was bezahlen müssen. In Österreich gab es mal einen anderen Ansatz. Da musste bei jeder Kündigung eine Abfindung gezahlt werden, wenn das Arbeitsverhältnis länger als drei Jahre bestanden hat. Allerdings brauchten sie als Unternehmer in dem Fall keinen Grund mehr für eine Kündigung. Ich bezweifele allerdings, dass der Arbeitnehmer damit besser fährt. Umschlag auf den Tisch – und das war's jetzt. Das ist ziemlich brutal. Da ist mir unser deutsches System lieber, wo es bestimmte Regeln gibt für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses.

Führungskräfte kassieren mitunter Millionen an Abfindungen, normale Beschäftigten ringen um jedes Monatsgehalt. Ist die Kluft gewachsen?
Die Unterschiede sind schon riesengroß. Da werden einfach viel größere Pakete geschnürt. Läuft so ein Vorstandsvertrag noch ein paar Jahre, wird der komplett ausbezahlt plus alle erdenklichen Versorgungsansprüche. Manche Führungsperson generiert eine erhebliche Wertschöpfung für das Unternehmen, von dem die Firma auch nach dem Ausscheiden profitiert. Wer geschickt verhandelt, lässt sich das teuer abkaufen. Mancher Arbeitgeber zahlt auch lieber mehr, wenn er weiß, dass seine Führungskraft dann keine Geheimnisse ausplaudert oder schmutzige Wäsche wäscht. 

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