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Projektjuristen Highend-Zeitarbeit: Neuer Jobtrend für Juristen

Neuer Arbeitsmarkttrend: Gut ausgebildete Rechtsexperten lassen sich für kurzfristige Projekte bei Unternehmen oder Kanzleien anheuern
Neuer Arbeitsmarkttrend: Gut ausgebildete Rechtsexperten lassen sich für kurzfristige Projekte bei Unternehmen oder Kanzleien anheuern
© Adobe Stock/Kzenon
Der Arbeitsmarkt für Juristen ist im Umbruch. Nun schwappt ein US-Trend nach Europa: Gut ausgebildete Rechtsexperten lassen sich für kurzfristige Projekte bei Unternehmen oder Kanzleien anheuern

Das Schweizer Start-up Flex Suisse expandiert nach Deutschland und will hierzulande den umkämpften Arbeitsmarkt für Juristen aufmischen. Die Firma vermittelt Rechtsexperten auf Projektbasis für zeitlich begrenzte Aufträge an große Unternehmen. „Der Bedarf ist riesig“, sagt Flex-Suisse-Gründer Richard Ossen im Capital-Interview. Vor allem große Banken und Pharmakonzerne suchten dringend Dutzende bis Hunderte Juristen und Compliance-Experten. „Die Nachfrage ist da, das Angebot rar“, so Ossen.

Der 37-jährige Deutsche hat Flex Suisse vor drei Jahren in der Schweiz gegründet und ist dort Marktführer für die Vermittlung sogenannter Projektjuristen. Mit 150 Experten im Einsatz hat die Agentur 2022 einen Umsatz von 20 Mio. Euro erzielt. Nach dem Einstieg eines Investors und der Fusion mit dem Frankfurter Wettbewerber Perconex vor gut einem Jahr buhlt Ossen nun auch hierzulande um Aufträge und Bewerber. 2023 will Ossen 300 Projektjuristen unter Vertrag nehmen, davon 120 in Deutschland. 1500 Bewerber hat er nach eigener Aussage bereits intensiv durchleuchtet und in seine Vermittlungskartei aufgenommen.

Richard Ossen, 37, gründete 2019 gemeinsam mit Reto Picenoni den Personaldienstleister Flex Suisse nach dem Vorbild der US-Firma Axiom. Er hat Jura in Passau, Köln, Paris und Fribourg sowie Management an der Pariser ESCP studiert
Richard Ossen, 37, gründete 2019 gemeinsam mit Reto Picenoni den Personaldienstleister Flex Suisse nach dem Vorbild der US-Firma Axiom. Er hat Jura in Passau, Köln, Paris und Fribourg sowie Management an der Pariser ESCP studiert
© PR

Flex Suisse gehört in Europa zu den Pionieren eines jungen, lukrativen Marktsegments, das vor rund zehn Jahren in den USA entstanden ist: Projektjuristen offerieren ihre Dienste neben Anwälten in Kanzleien und Juristen in den Rechtsabteilungen von Unternehmen. Als freischaffende Rechtsexperten übernehmen sie einzelne Aufträge von Kanzleien und Unternehmen – etwa standardisierte Aufgaben wie Vertragsmanagement, Großprojekte wie sogenannte Masseverfahren oder Umsetzungen von politischen Regularien etwa im Datenschutz.

Solche Projekte sind in der Regel auf sechs bis zwölf Monate angesetzt. Die Auftraggeber können durch dieses Outsourcing Auftragsspitzen abfedern, den Fachkräftemangel unter Juristen überbrücken und Kosten sparen. Das Auftragsvolumen für alternative Rechtsdienstleister wird laut Ossen weltweit auf 120 Mrd. Dollar taxiert. „Von diesem neuen Markt wollen viele etwas abhaben“, so Ossen. 

Erst 1000 Jura-Zeitarbeiter in Deutschland

Den Trend bestätigt Patrick Schroer, Geschäftsführer des Center of the Legal Profession an der Bucerius Law School: In den USA seien derzeit rund 30.000 Projektjuristen im Einsatz, in der Schweiz seien rund 500 aktiv – mit steigender Tendenz. „Auf den deutschen Markt übertragen bedeutet dies ein Potential von rund 5000 Projektjuristen“, so Schroer. Zudem seien auch Compliance-Experten gefragt. Bislang seien in Deutschland aber erst 1000 temporär überlassene Mitarbeiter im Einsatz. „Somit sehe ich da noch einiges Potential“, so Schroer.

Um den Markt buhlen neben spezialisierten Vermittlern wie Flex Suisse oder EQWAL auch Zeitarbeitsfirmen und Personaldienstleister wie Michael Page oder Hays. Zudem haben einige Großkanzleien und Wirtschaftsprüfer separate Geschäftsbereiche für Projektjuristen gegründet. „Mit dem Einsatz von Projektjuristen können wir die Arbeit in der Kanzlei effizienter aufteilen und für unsere Mandanten differenzierter abrechnen“, sagt Ulrich Sittard, Partner bei der Großkanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer und Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses Arbeitsrecht beim Deutschen Anwaltverein.

So könnten etwa auch junge Juristen, die im Ausland studiert haben und nicht als deutsche Rechtsanwälte zugelassen sind, in Großkanzleiteams integriert werden – teilweise auch, um die Zeit bis zur Anerkennung ihrer Abschlüsse zu überbrücken. „Das sind sehr geschätzte Mitarbeiter mit internationalem Know-how, die wir gut auch im Projektmanagement einsetzen können, ohne dafür die höheren Stundensätze unserer Associates zu berechnen“, so Sittard. „Da ist wirklich ein Markt. Diese Entwicklung ist auch nicht mehr zurückzudrehen.“

Für die standesbewusste Branche ist diese Art der akademischen Leiharbeit gewöhnungsbedürftig. Viele Topjuristen streben nach dem zweiten Staatsexamen eine Karriere mit Aufstieg bis zum Partner bei einer Großkanzlei an. Die Einstiegsgehälter liegen heute bereits bei 150.000 Euro. Doch diese Kosten lassen sich nicht mehr bei jedem Auftrag an die Mandanten weitergeben. Alternative Rechtsdienstleister werben deshalb mit günstigen Angeboten: „Wir sind mit dem Einsatz unserer Projektjuristen 30 bis 40 Prozent günstiger als Großkanzleien und Wirtschaftsprüfer“, so Flex-Suisse-Chef Ossen. Ein hochdotierter Compliance Officer werde mit einem Tagessatz von 900 bis 1200 Euro berechnet. Großkanzleien rufen durchaus Stundensätze von 300 bis 500 Euro auf.

Juristen wollen bessere Work-Life-Balance

Flex Suisse könne günstigere Honorar kalkulieren, weil das Start-up mit 20 Angestellten in der Verwaltung und vielen digitalisierten Prozessen schlank aufgestellt sei. Mit einer Gewinnmarge von 27 Prozent ist das Geschäft für den Vermittler lukrativ. Die eingesetzten Projektjuristen bekommen zwar nicht die Spitzengehälter, die Topkanzleien zahlen, aber durchschnittlich zehn Prozent mehr als die festangestellten Juristen in Unternehmen.

Grundsätzlich vermittle Flex Suisse Juristen in allen Senioritätsstufen vom jungen Dokumentenprüfer bis zum erfahrenen Anwalt für Übernahmen und Fusionen und Compliance-Experten auf Partnerstufe, die für ihre Projekteinsätze durchaus mit Jahresgehältern von 200.000 bis 250.000 Euro eingestuft werden. In der Schweiz sei das Profil der Projektjuristen längst etabliert. „In Deutschland müssen wir das Bewusstsein dafür noch schärfen“, so Ossen.

Doch ein Umdenken findet offenbar ohnehin auch bei Juristen statt, die bislang hohe Arbeitsbelastungen und überdurchschnittliche Wochenarbeitszeiten hingenommen haben. Laut einer aktuellen Studie von Wolters Kluwer, für die über 750 Juristen in Europa und den USA befragt wurden, hat die Work-Life-Balance inzwischen oberste Priorität: 58 Prozent der Anwälte in Kanzleien und 70 Prozent der Unternehmensjuristen hadern demnach mit ihrem aktuellen Job und gehen davon aus, dass sie ihre Position innerhalb der nächsten Monate aufgeben.

Damit gerät der Arbeitsmarkt für Juristen in Bewegung. „Kanzleien, Rechtsabteilungen und die Justiz haben einen sehr hohen Bedarf an gut ausgebildeten Nachwuchskräften“, sagt Experte  Schroer. Während man früher von einer Juristenschwemme gesprochen habe, gebe es heute eine Juristenlücke. Bis 2020 war die Zahl der jährlich zugelassenen Rechtsanwälte stetig auf rund 165.000 angestiegen. 2021 waren die Zulassungszahlen dann erstmals rückläufig.

Der Trend dürfte sich verschärfen – im Jahr 2021/2022 haben sich im Fach Rechtswissenschaften 14 Prozent weniger Studenten eingeschrieben als noch sechs Jahre zuvor. „Das Ringen um den Nachwuchs wird deutlich zunehmen“, so Schroer.

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