Capital: Herr Klock, Sie sind CEO der Rightmart Group, des größten deutschen Legaltechs. Was sind die größten Unterschiede zu anderen Kanzleien?
MARCO KLOCK: Dazu muss man ganz kurz einen Blick auf den Rechtsmarkt in Deutschland werfen. Der teilt sich in zwei Bereiche: Die B2B-Großkanzleien, die Unternehmen beraten, und den kleineren Verbrauchermarkt, der aber immer noch milliardenschwer ist. Im Verbrauchermarkt sind wir tätig. In diesem Markt muss man sehr effizient sein. Man arbeitet nicht wie in den Riesenkanzleien für 500 Euro pro Stunde, sondern wir werden pro Mandat bezahlt. Um profitabel zu sein, müssen wir schnell viele Rechtsprobleme bearbeiten. Diese Effizienz erreichen wir durch digitale Lösungen. Seit der Gründung von Rightmart wollen wir alles digital lösen. Wir haben damals auch eher als Softwareentwickler angefangen und weniger als Kanzlei. Es gibt aus dieser Zeit eine E-Mail meines Mitgründers, in der er schreibt: „Wir brauchen ein Jahr, dann haben wir den Anwalt ersetzt.“
Und?
Das war natürlich totaler Quatsch und diese Arroganz ist mir heute auch ein bisschen unangenehm, aber im Kern ist das immer noch unsere Denkweise.
Welche digitalen Lösungen kommen in Ihrem Arbeitsalltag zum Einsatz?
Alles, was an analoger Post von Behörden oder Unternehmen bei uns eingeht, wird digitalisiert und mittlerweile auch von einer künstlichen Intelligenz ausgelesen. Unsere Mitarbeiter können digital auf alle Dokumente, die sie für einen Vorgang benötigen, in einer digitalen Akte zugreifen und unser System unterstützt sie bei fast allen Aufgaben. Wenn ein Mandant zum Beispiel gegen seinen Bürgergeldbescheid vorgehen will, dann kann unsere Software diesen Bescheid auswerten und Schwachstellen darin erkennen, auf deren Basis man einen Widerspruch formulieren könnte. Dieser Vorschlag muss dann von einem unserer Anwälte bestätigt werden, damit der Schriftsatz automatisch erstellt und per Fax an das Jobcenter oder Gericht gesendet werden kann.
Sie benutzen Faxgeräte?
(Lacht) Das liegt weniger an uns als am Stand der Technik bei den Gerichten und Behörden.
Mit wie viel Komplexität können denn diese Abläufe umgehen? Werden Anwälte bald, wie Ihr Mitgründer schrieb, tatsächlich durch Software ersetzt?
Als wir mit Rightmart angefangen haben, waren wir stark auf Sozialrecht und speziell, wie oben in dem Beispiel schon angedeutet, auf Bürgergeld- beziehungsweise früher Hartz IV-Bescheide fokussiert. Mittlerweile decken wir viele Rechtsbereiche ab und verarbeiten im Jahr 750.000 Anfragen. Dadurch entstehen immer mehr strukturierte Daten, mit deren Hilfe wir durch Prozessautomatisierung immer komplexere Rechtsprobleme lösen können. Aber je nach Rechtsbereich und wie die einzelnen Rechtsprobleme gelagert sind, bleibt ein kleinerer oder größerer Teil, der individuell bearbeitet werden muss. Insbesondere wenn es vor Gericht geht und es auf Argumentation und Auslegung ankommt, arbeiten wir nicht mehr in dem Maße automatisiert. Aktuell sieht es also nicht so aus, als ob wir Anwälte durch Software ersetzen könnten. Wir versuchen eher, Anwälte erst später im Prozess effizient einzusetzen. Das sind dafür aber auch die Momente, an denen es für sie richtig spannend wird und sie sich nicht mit irgendwelchen Formfehlern beschäftigen müssen.
Wie wird künstliche Intelligenz die Arbeitsweise verändern?
Künstliche Intelligenz ist für uns der nächste große Schritt. Wir verfügen über eine solche Menge an Daten, dass es für uns sehr interessant wäre, auf dieser Grundlage ein Large-Language-Modell zu trainieren, also ein generatives Sprachmodell wie zum Beispiel ChatGPT eins ist. Anwälte könnten dann diese KI befragen, um schneller Lösungen für die nicht automatisierbaren, individuellen Problemstellungen zu finden. Ich denke, dass KI die Branche im Allgemeinen sehr stark verändern wird!
Ist man sich innerhalb der Branche darüber im Klaren?
Auf den ganzen Konferenzen und Treffen wird sehr viel über KI gesprochen. Aber was die Leute nicht verstehen, ist die Geschwindigkeit, mit der sich diese Innovationen entwickeln und auch unsere Branche verändern wird. Mit Rightmart sind wir im Verbrauchermarkt in Deutschland in Sachen Technologisierung mit Abstand die Speerspitze. Die Durchschnittskanzlei in unserem Markt arbeitet noch mit Papier – viele sind also noch nicht einmal digitalisiert. Ich rechne damit, dass einige Kanzleien irgendwann nicht mehr mitkommen werden.
Was bedeutet das zum Beispiel für den Anwalt um die Ecke?
Wenn es so wie jetzt gerade weitergeht, werden wir bei Rightmart irgendwann Rechtsdienstleistungen für noch weniger als heute schon oder sogar kostenlos anbieten können. Dieselben Leistungen kann der Anwalt um die Ecke natürlich auch anbieten, aber er braucht dafür wesentlich länger und muss ein höheres Honorar verlangen. In letzter Konsequenz bedeutet das, dass Wettbewerber, die sich jetzt nicht die technologischen Möglichkeiten zunutze machen, aus dem Markt gedrängt werden.
Angenommen, ich streite mich in Zukunft mit meinem Nachbarn darüber, dass sein Baum auf mein Grundstück ragt, was für viele ein sehr emotionales Thema ist. Muss ich mich dann damit anfreunden, meine Probleme statt mit einem Menschen mit dem KI-Chatbot einer Internet-Kanzlei zu besprechen?
Ich denke nicht, dass es so weit kommen wird. Ich bin überzeugt, dass man Anwälte vor Ort braucht, die sich solchen Themen und auch den damit verbundenen Emotionen widmen. Die Menschen wollen mit einem Anwalt sprechen, teilweise auch, wenn das gar nicht nötig ist. Das kann und darf man nicht einfach ignorieren, weil es ein wichtiger Teil der Dienstleistung darstellt. Beim Arzt habe ich auch den Anspruch, dass ich in einem persönlichen Gespräch ernst genommen werde, auch wenn ich eigentlich gesund bin und mir das auch eine App hätte bestätigen können. Würden wir keine Konsultationen mit menschlichen Anwälten mehr anbieten und nur noch alles digital und automatisiert abwickeln, würden wir keine Mandate mehr erhalten.
Wie geht es denn im Verbraucherrechtsmarkt weiter, wenn kleine Kanzleien den technologischen Wandel nicht überstehen, Sie aber gleichzeitig betonen, dass die persönliche Betreuung vor Ort wichtig bleibt?
Wir sind uns da noch nicht sicher, aber ich denke, es könnte irgendwann sinnvoll sein, wenn wir in eine Art Franchise-System übergehen. Unsere grobe Idee ist, dass wir Anwälten, die sich selbstständig machen wollen, ermöglichen, auf Basis unserer Systeme eine Kanzlei zu eröffnen. Auf diese Weise könnte sich die Marktkonsolidierung eher durch Kooperation als durch Übernahmen durchsetzen. Das ist aber noch Zukunftsmusik. Wir müssen noch genauer prüfen, ob diese Strategie für beide Seiten gut funktioniert. Ich glaube jedoch, dass dies ein interessantes Berufsbild für Anwälte sein könnte, die in kleineren Städten Lust haben, sich selbstständig zu machen. So stelle ich mir die Kanzlei der Zukunft vor.