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Geldsegen aus Gewerbesteuer „Marburg-Fonds“: So investiert eine Stadt ihren plötzlichen Reichtum

In der Uni-Stadt Marburg steht nicht nur das Landgrafenschloss, sondern Biontech produziert dort auch Impfstoff
In der Uni-Stadt Marburg steht nicht nur das Landgrafenschloss, sondern Biontech produziert dort auch Impfstoff
© dpa/Nadine Weigel | Nadine Weigel / Picture Alliance
Weil sie auf einen Schlag über Steuereinnahmen in ungeahnter Höhe verfügt, hat die hessische Universitätsstadt Marburg 350 Mio. Euro in einem Spezialfonds angelegt

Das Jahr 2021 neigte sich dem Ende, da wurde Thomas Spies klar, dass er vor einer Herausforderung stand, für die der Begriff „Luxusproblem“ erfunden wurde: Wohin bloß mit all den Millionen? 

Erst freute er sich, dann jedoch wurde ihm ein wenig mulmig. Wie nur, fragte er sich, könnte er jetzt alle im Zaum halten, die das viele Geld gleich wieder ausgeben wollen? Spies ist Oberbürgermeister von Marburg. Und was ihm da per Post angekündigt wurde, war ein geradezu unerhört großer Batzen Geld: Ganze 480 Mio. Euro an Gewerbesteuer sollte die Stadt bekommen. „Ein Geldeingang von fast 500 Millionen ist jetzt nicht unser Standard. Wir hatten alle ein bisschen Sorge um den Leiter des Fachdienstes Kasse“, erzählt Spies. In normalen Jahren seien es 150 Mio. Euro – was für eine Kommune dieser Größe auch schon eine sehr ansehnliche Summe ist. 

Pharmaindustrie bringt Geld: Biontech produziert in Marburg

Der SPD-Politiker ist Rathauschef einer ohnehin sehr reichen Universitätsstadt, und er ist bestens gelaunt. „Wir haben Geld in Dimensionen, davon können andere nur träumen“, sagt Spies. Marburg hat eine traditionsreiche Universität, ein Schloss, das über der Altstadt thront – und eine Pharmaindustrie, die offensichtlich gutes Geld verdient. Das hat damit zu tun, dass Emil von Behring, Erfinder der Impfungen gegen Diphterie und Tetanus, Professor in Marburg war und dort ein Unternehmen zu Produktion der Vakzine gründete. In den einstigen „Behringwerken“ lässt seit 2021 Biontech seinen Corona-Impfstoff herstellen, was der wichtigste Grund für den Geldsegen sein dürfte. 

Porträtfoto Thomas Spies
Thomas Spies (SPD) ist seit 215 Oberbürgermeister der Uni-Stadt Marburg
© Patricia Grähling

„Rund 80 Prozent der Gewerbesteuereinnahmen stammen vom Pharmastandort“, sagt Spies. Über einzelne Unternehmen darf er wegen des Steuergeheimnis‘ nichts sagen. Auch Mainz und Idar-Oberstein, wo Biontech ebenfalls Impfstoff produziert, konnten sich über zusätzliche Steuer-Millionen freuen. Die sprudelten auch 2022 noch, 2023 waren die Einnahmen dann in allen drei Städten wieder deutlich geringer, nachdem auch der Umsatz bei Biontech mit dem Ende der Pandemie massiv zurückgegangen war. Anders als Mainz und Idar-Oberstein muss Marburg mit den Steuermillionen aber keine Schulden tilgen.

U-Bahn für das kleine Marburg oder Geld an Bürger verschenken?

Zwar muss die Uni-Stadt rund zwei Drittel des Geldes an den Landkreis und das Land Hessen als Umlage abgeben – aber selbst danach bleiben noch zusätzliche 350 Mio. Euro. In normalen Jahren, erzählt der Oberbürgermeister, gibt die Stadt rund 25 Mio. Euro aus. Das viele Geld weckte, wie Spies befürchtet hatte, schnell Begehrlichkeiten: Einige wollten eine U-Bahn bauen, was für eine Stadt der überschaubaren Größe von Marburg ein eher überraschender Einfall ist. Außerdem, so sagt Spies: „Dafür reicht das Geld dann nun auch wieder nicht.“ Andere hatten die Idee, den Betrag unter den Bürgerinnen und Bürgern aufzuteilen.

Spies und die Stadtverordneten entschieden sich für einen anderen Weg: 350 Mio. Euro sind nun in einem eigens für die Stadt angelegten Spezialfonds mit Aktien und Anleihen investiert. Die Stadt ist die einzige Anlegerin, andere können in den geschlossenen Fonds nicht investieren. Es ist ein Weg, den sonst eher Wirtschaftsmetropolen gehen, Stuttgart und München zum Beispiel, Heimat von Konzernen wie Mercedes-Benz und BMW. Für eine kleine Kommune ist es ein ungewöhnlicher Schritt.

Bisher hatte die Stadt Marburg ihr Geld auf verschiedenen Bankkonten verteilt, als Tages-, Festgeld oder Zertifikate. Doch auf den Konten hätte die neue, ungleich größere Summe nicht bleiben dürfen. „Nach hessischem Kommunalrecht müssen Städte und Gemeinden ihre Rücklagen breit streuen“, erzählt Spies. Zuerst suchten sie Rat bei der örtlichen Sparkasse, die wollte das viele Geld aber auch nicht haben und empfahl den Fonds, dann beauftragten die Marburger die renommierte Großkanzlei Hengeler Müller. „Man muss dann auch erkennen, wo die eigenen Grenzen sind“, sagt Spies. 

„Marburg-Fonds“: Anleihen und Aktien in drei Portfolios

Nach einem europaweiten Vergabeverfahren ist der Fonds im Juni vergangenen Jahres gestartet. Zu 80 Prozent hält er Anleihen und zu 20 Prozent Aktien. Diese sind verteilt auf drei Portfolios, die von der Universal-Investment-Gesellschaft, Oddo BHF Asset Management und Allianz Global Investors verwaltet werden. 

Die Aktien sind fast ausschließlich in Europa angelegt, nur einer der drei Teilfonds investiert zu zehn Prozent in den von renditestarken US-Aktien dominierten Industrieländer-Index MSCI World. Das Renditepotenzial ist also begrenzt, dafür unterliegt der Fonds vergleichsweise strengen Anforderungen zum Beispiel was Nachhaltigkeit angeht. Mit der Entwicklung zeigt sich Spies sehr zufrieden. „Die Kosten für das Verfahren haben wir schon gut wieder drin“, sagt er. 

Und wie wollen die Marburger das viele Geld nun ausgeben? „Wir gehen die Dinge besonnen an“, betont Spies. Und tatsächlich klingen die Investitionspläne der Marburger solide: Kitas sollen aus- und Schulen neu gebaut werden, in den Schulen werden außerdem Glasfaserkabel für die Digitalisierung verlegt. Insgesamt sollen 130 Mio. Euro in Schulen und Kitas fließen. 90 Mio. Euro sind für den Wohnungsbau und Soziales vorgesehen. Das Geld soll zum Beispiel dazu dienen, die energetische Sanierung von Sozialwohnungen zu fördern und Mieterhöhungen im Anschluss zu vermeiden. Die Stadt will in Erbpacht günstigen Wohnraum zur Verfügung stellen. 

Außerdem soll in Marburg ein Gründerzentrum entstehen, an dem auch die Uni und Pharma-Unternehmen beteiligt sind. Der Bürgermeister spricht über Pläne für ein Museum, ein Theater und – die vielleicht verwegenste Idee – einen Aufzug bis hinauf zum Schloss. Da stehe aber noch die Machbarkeitsstudie aus. Am Geld, so viel ist sicher, wird die Sache jedenfalls nicht scheitern. Nun steht der Bürgermeister vor einer neuen Herausforderung: Er muss Ingenieure und Baufirmen finden, die die Millionen-Pläne umsetzen.

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