Am vergangenen Wochenende machte in den sozialen Netzwerken ein Video die Runde, das die Aufregung an Bord eines Flugzeugs am Flughafen von San Francisco eingefangen hat. Die Maschine der Fluggesellschaft Emirates war schon startbereit, die Türen verschlossen, als sich unter den Passagieren die Nachricht verbreitete, US-Präsident Donald Trump wolle künftig von hochqualifizierten ausländischen Arbeitnehmern eine Einreisegebühr von 100.000 Dollar verlangen.
Man hört in dem Video aufgebrachte Stimmen von Passagieren, die eigentlich nach Dubai fliegen wollten – für viele wahrscheinlich eine Durchgangsstation auf dem Weg nach Indien – und schließlich die Durchsage des Kapitäns: Alle, die angesichts der Nachrichten lieber in den USA bleiben wollten, könnten jetzt noch aussteigen, man werde die Türen wieder öffnen. Mit mehr als drei Stunden Verspätung hob der Flieger schließlich ab.
Es war ein ungewöhnlicher Vorgang, der sehr eindrucksvoll die aktuelle Lage und Stimmung in den USA beschreibt. Wer sich das Video etwa auf dem Kurznachrichtendienst X anschaut, sollte sich auch die Kommentare darunter durchlesen. „Sie sind alle unerträglich, ich will keinen einzigen Inder mehr in den USA“, schreibt da ein Nutzer, und ein anderer: „Sie haben uns lange genug die Arbeit weggenommen.“ Es sind nicht einige wenige, sondern hunderte solcher Botschaften.
Trump schottet das Land zunehmend ab
Vor drei Monaten interviewten wir bei Capital den bekannten konservativen Ökonom Kenneth Rogoff, der an der Elite-Uni Harvard lehrt. Damals war Trump erst wenige Monate im Amt, aber er versuchte bereits, ausländische Studenten und Einwanderer aus dem Land zu drängen. Rogoff war entsetzt: „Ohne Ausländer wären wir nur ein blasser Schatten dessen, was wir sind“, sagte der Ökonom. Der neue Präsident gefährde das gesamte Geschäftsmodell der USA: „Wenn jemand in Deutschland einen innovativen Gedanken hat, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass er damit in die USA geht. Das ist unsere große Stärke, wir sind viel offener für Einwanderer als andere Länder.“
Nun, mit dieser Woche muss man wohl sagen: Die USA waren es. Mit jedem Monat seiner Präsidentschaft schottet Trump das Land zunehmend ab – mit hohen Zöllen auf Importe (ab Anfang Oktober wohl auch auf Medikamente), mit der Ausweisung ausländischer Arbeitskräfte und jetzt auch noch mit neuen Hürden für die Einreise hochqualifizierter Arbeitskräfte.
Viele Amerikaner sind über ihre wirtschaftliche Lage zu Recht frustriert. Aber Trumps Politik wird ihnen nicht helfen, im Gegenteil: Sie wird den USA wahrscheinlich einen gewaltigen wirtschaftlichen Schaden zufügen. Rogoff sagte damals voraus: „Das Schlimme an dieser Politik ist, dass wir die Folgen der meisten Maßnahmen von Trump erst in den nächsten zehn oder 20 Jahren sehen werden: die falschen Investitionen, die falschen Forschungsansätze, die falsche Migrationspolitik.“
Irrationale Visapolitik
Jedes Jahr vergeben die USA rund 85.000 sogenannte H-1B-Visa an hochqualifizierte Arbeitskräfte, in der Vergangenheit überstieg die Zahl der Bewerbungen die Zahl der Visa regelmäßig um das Vier- bis Fünffache. Nach einer aktuellen Statistik der US-Einwanderungsbehörde arbeiteten Ende Juni knapp 11.000 von ihnen beim Onlinehändler Amazon, 5500 beim indischen IT-Beratungsriesen Tata Consulting, 5200 bei Microsoft und weitere etwa 13.000 Arbeitskräfte bei Apple, Meta und Google.
Die größten, wichtigsten und wertvollsten US-Techkonzerne wären nicht da, wo sie heute sind, ohne ihre hochqualifizierten Fachkräfte aus dem Ausland – die meisten von ihnen aus Indien. Dazu zählen übrigens auch einige ihrer Chefs – etwa die CEOs von Microsoft und Alphabet, Satya Nadella und Sundar Pichai, heute längst US-Bürger. Sie kamen einst mit einem H-1B-Visum in die USA, ebenso wie Tesla-Boss Elon Musk. Allein diese drei Manager und Unternehmer haben mit den Konzernen, die sie führen, in den vergangenen 15 Jahren Billionen Dollar an Wert geschaffen – ein Vermögen, das heute auch in den Aktiendepots vieler Trump-Wähler steckt. Als Trump vor Monaten schon einmal erwähnte, er könne die H-1B-Visa einschränken, versprach Musk noch großspurig, wenn das geschehe, ziehe er in den Krieg. Heute schweigt er.
Wahrscheinlich werden die Tech-Bosse sich denken: Notfalls zahlen wir eben das Geld an den Paten in Washington, Hauptsache, wir bekommen weiter unsere jungen IT-Genies aus Bangalore. Aber die Frage ist eben, ob die überhaupt noch in die USA kommen wollen, wenn ein großer Teil der amerikanischen Gesellschaft sie gar nicht mehr will.
Trumps Visapolitik ist so irrational wie seine Zoll- und Handelspolitik und auch seine Ausweisungen einfacher Arbeiter, die meist billige Dienstleistungsjobs in Hotelküchen und im Service oder als Erntehelfer in der Landwirtschaft übernehmen. Der Schaden wird schon sichtbar: Die Inflation zieht an, die Zahl der neu geschaffenen Jobs fällt auf historische Tiefststände – im August gab es nur 22.000 neue Stellen. Die US-Wirtschaft verliert das, was sie in den letzten 20 Jahren vom Rest der Weltwirtschaft dramatisch unterschieden hat: Wachstum und Dynamik.
Mag sein, dass der Investitionsboom bei Rechenzentren und KI einen Teil dieser Rückschläge ausgleichen kann. Aber nicht mal das ist sicher – denn auch für die Installation der Technik in den neuen Rechenzentren brauchen die Amerikaner vor allem ausländische Fachkräfte. Die willkürliche Verhaftung von mehr als 300 Südkoreanern auf der Baustelle einer Batteriefabrik des koreanischen Hyundai-Konzerns – Teil eines großen Investitionsprogramms für die USA – wird nicht nur in Südkorea Spuren hinterlassen.
Der deutsche Botschafter in Indien nutzte die Situation sogleich und postete ein eigenes Video auf X. Darin versprach er indischen Fachkräften, Deutschland sei ein zuverlässiges Land, das nicht permanent seine Einreiseregeln ändere und attraktive Arbeitsbedingungen biete. Das war natürlich ein netter Gag. Aber wer einmal versucht hat, in Indien ein deutsches Visum als Fachkraft oder auch nur als Au-pair-Mädchen zu beantragen, der ahnt, was sie oder ihn in Deutschland wirklich erwartet.
Deutschland kann profitieren – aber nur mit Reformen
Es stimmt schon, dass in Trumps wildem Isolationismus eine Chance für Europa und besonders für Deutschland steckt. Gerade in den Bereichen Digitalisierung und Künstliche Intelligenz können wir einen Schub von außen sehr gut gebrauchen. Aber damit es dazu kommt, muss in Deutschland weit mehr passieren als ein freundliches Video des deutschen Botschafters – oder auch die Installation eines Chief Investment Officers, der ebenfalls neuerdings bei ausländischen Investoren für den Standort Deutschland werben soll.
Zuallererst bleiben die Aufgaben für die Regierung von Kanzler Friedrich Merz die, die er seit seinem ersten Tag im Amt auf dem Schreibtisch hat – und um die er nun schon seit Wochen und Monaten herumeiert: eine steuerliche Entlastung hiesiger Arbeitnehmer, um Arbeit und Mehrarbeit attraktiver zu machen; und zugleich grundlegende Reformen in den Sozialsystemen, um den absehbaren dramatischen Kosten- und Beitragsanstieg in der Renten- und Krankenversicherung einzubremsen. Außerdem eine radikale Entbürokratisierung staatlicher Strukturen.
In allen drei Bereichen hört man seit Wochen leider nichts – außer leeren Ankündigungen. Das beste Mittel für mehr wirtschaftliche Dynamik hierzulande, die wir so dringend brauchen, wäre, diese drei Baustellen endlich anzugehen (eine aktuelle Analyse meines Kollegen Jannik Tillar zur deutschen Konjunktur lesen Sie übrigens hier).
Den Rest der Arbeit für den Standort Deutschland können wir dann tatsächlich getrost Donald Trump überlassen.