Es gibt sie also doch noch – heiß begehrte Fachkräfte, die derzeit so rar sind, dass viele Restaurants zeitweise schließen oder ganz aufgeben mussten. Hier stehen drei von ihnen in einer stahlblechglänzenden Großküche des Leonardo Royal Hotels in Berlin: ein Chefkoch mit 16 Jahren Berufserfahrung, eine frisch ausgebildete Jungköchin und ein Berufseinsteiger, der vor wenigen Wochen seine Ausbildung gestartet hat.
Die drei brennen für ihren Job und verteidigen ihn gegenüber Kritikern. „Es ist schade, dass unser Beruf dermaßen in Verruf geraten ist“, sagt Chefkoch und Ausbilder Markus Silbernagel. Die Vorurteile würden sich hartnäckig halten: anstrengende Schichtdienste, schlechte Bezahlung, physisch und psychisch aufreibende Dauerbelastung, permanenter Stress und Druck. Und dann gebe es ja noch die Geschichten über die cholerischen Vorgesetzten, die mit Pfannen um sich schmeißen. „Das war vor 30 Jahren mal so, und es mag wie in jeder Branche auch noch negative Ausreißer geben“, so Silbernagel. „Aber die Regel ist es nicht. Für mich ist Koch der schönste Beruf, den es gibt.“ Zudem seien die Rahmenbedingungen verbessert worden: Es gibt mehr Geld und klare Freizeitregelungen.
Details nennen die Leonardo-Mitarbeiter nicht. Es gibt auch keine einheitliche Ausbildungsvergütung für Köche. Die Unternehmen sind laut Berufsbildungsgesetz lediglich verpflichtet, angemessen zu bezahlen. In tarifgebundenen Betrieben verdienen Lehrlinge im ersten Lehrjahr nach Angaben der Talentplattform Ausbildung.de je nach Bundesland 460 Euro (Sachsen-Anhalt) bis 770 Euro (Hessen) brutto. Hinzu kommen Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge. Leonardo zahle marktgerechte Gehälter, die teilweise auch über dem Tariflohn liegen, teilt das Unternehmen mit. Hinzu kämen Zuschläge und weitere Extras. So werde etwa ab Oktober das Jobrad eingeführt. Die Einstiegsgehälter für Köche liegen laut Ausbildung.de bei 1670 bis 2000 Euro brutto.

Die drei in der Leonardo-Küche sind nicht blauäugig in diesen Job hineingestolpert. Silbernagels Vater hat schon Koch gelernt, seine Mutter betreibt die Kantine in einem Finanzamt. Jungköchin Stella Nagel ist ebenfalls mit Küchengeschichten groß geworden: Ihr Vater und ihr Onkel sind beide Köche. Auch Azubi Jannik Brunzel kennt viele Interna von seinen Bekannten aus der Gastronomie.
All diese Erfahrungen wurden in den vergangenen beiden Jahren auf die Probe gestellt: In der Coronapandemie haben Hotels und Restaurants den Betrieb heruntergefahren, Mitarbeiter wurden monatelang in Kurzarbeit nach Hause geschickt. Viele haben sich in dieser Zeit neue Jobs in anderen Branchen gesucht: 2020 gaben laut Institut der deutschen Wirtschaft 216.000 Köche, Kellner und Hotelangestellte ihren Beruf auf. 60 Prozent der Betriebe suchten nach Angaben des Branchenverbands Dehoga zuletzt noch immer Fach- und Hilfskräfte.
„Der Arbeitsmarkt ist komplett leer gefegt“
Das Problem hat Silbernagel nicht. Der 32-Jährige hat sein Küchenteam im Vier-Sterne-Superior-Haus Leonardo Royal in diesem Jahr von zehn auf 22 Mitarbeiter aufgestockt. Einige Kollegen sind ihm gefolgt, als er im vergangenen Jahr vom Konkurrenten Hilton zu Leonardo wechselte. „Ich habe klare Regeln und Strukturen, aber ich arbeite mit meinem Team auf Augenhöhe ohne hierarchische Sperenzchen“, so Silbernagel.
Gutes Arbeitsklima allein hilft aber offenbar nicht. Leonardo hat in seinen 60 Häusern in Deutschland momentan 350 offene Stellen – auch in der Küche. 200 Mitarbeiter fehlen allein in München. „Der Arbeitsmarkt dort ist komplett leer gefegt“, sagt Personalleiterin Anke Maas. „Es gibt in manchen Regionen einfach keine Menschen mehr, die wir rekrutieren könnten, egal was wir ihnen bieten.“
Sie sucht mittlerweile permanent im Ausland: in Polen, Rumänien, Usbekistan. In diesen Ländern versucht sie Fachkräfte zu gewinnen, die die verbliebenen Kollegen in den deutschen Hotels unterstützen. „Ich überlege ständig, wie wir unsere vorhandenen Mitarbeiter und Auszubildenden entlasten können. Denn bei permanenter Personalnot steigt das Stresslevel, und davor müssen wir unsere Mitarbeiter schützen“, so Maas.
Stella Nagel ist geblieben. Kurz vor Ausbruch der Pandemie hatte die damals 16-Jährige ihre Ausbildung gestartet, hat geholfen, bei Großveranstaltungen Banketts für 400 Gäste auszurichten. Dann war Schluss. Nagel wechselte in ein anderes Leonardo-Hotel, das einen Notbetrieb für Geschäftsreisende aufrechterhielt. „Für die habe ich jeden Tag Frühstück gemacht“, so Nagel. Das entsprach nicht annähernd dem, was die Lehrpläne für die dreijährige Kochausbildung vorsehen. Aber sie sei in dieser Zeit selbstständig und selbstbewusst geworden, sagt Nagel stolz. „Als ich in mein Stammhotel zurückkam, haben die früheren Kollegen gesagt: ‚Wow, was ist denn mit dir passiert? Du bist ja total fit.‘“

Seither wird Nagel als Multitalent in allen Bereichen der gehobenen Hotelgastronomie eingesetzt: Sie wuppt im Team mit zehn Kollegen die täglichen Bankettveranstaltungen, kocht aber auch mal die Menüs für das Hotelrestaurant oder übernimmt Schichten für das Frühstücksbuffet. „Zwischendurch habe ich im Service und an der Rezeption ausgeholfen. Ich mache all das und bin hier gerne auch als Springer unterwegs“, so Nagel. Im Juni hat die heute 19-Jährige ihre Ausbildung abgeschlossen und kurz zuvor bei einem renommierten Kochwettbewerb den zweiten Platz belegt.
Nagel stehen alle Karrierestufen offen, die auch ihr Ausbilder Silbernagel durchlaufen hat. Die rattern sie gemeinsam im französischen Fachjargon herunter: von der Commise de Cuisine (Jungköchin) über die Cheffe de Partie (Leiterin einer Menükomponente oder Zubereitungsart) zur Cheffe Tournant (Leiterin für Spezialbereiche wie Desserts) bis zur Demi-Cheffe (stellvertretenden Küchenchefin) und schließlich zur Cheffe de Cuisine (Chefköchin). „Ich will auf jeden Fall irgendwann mal sagen: ‚Ich bin Demi-Cheffe oder Cheffe de Partie‘“, so Nagel.
Neue Ausbildungsordnung
So weit lehnt Berufsanfänger Jannik Brunzel sich noch nicht aus dem Fenster. „Ich laufe gerade erst überall mit und lerne Grundlagen wie Schnitttechniken und effizientes Arbeitsmanagement“, so der 21-Jährige. Einen Küchenspruch hat er gleich am ersten Tag gelernt: „Lauf hin, lauf her, aber niemals leer.“ Da nimmt man auf dem Weg vom Herd zum Kühlhaus halt noch einen bereitstehenden Geschirrwagen mit.
Für alle Neueinsteiger gilt seit Anfang August dieses Jahres eine neue Ausbildungsordnung für die gastgewerblichen Berufe. Die sieht für Köche einen konkreteren und detaillierteren Ausbildungsrahmenplan vor. Der Branchenverband Dehoga verspricht sich davon „mehr Qualität und Verlässlichkeit“. Zudem bekommen die „Pflanzenküche“, also die fleischfreie Zubereitung, sowie Ernährungstrends, Verbraucherschutz und Nachhaltigkeit einen höheren Stellenwert.
Um die Kochausbildung für noch mehr Bewerber attraktiv zu machen, hat Leonardo-Personalchefin Maas 2018 zusammen mit der privaten Universität IU in Bad Honnef den dualen Studiengang Culinary Management ins Leben gerufen: eine Kombination aus Fachausbildung zum Koch und betriebswirtschaftlichem Studium. Über die staatlich anerkannte Uni können an zahlreichen Orten bundesweit in Präsenz oder virtuell die speziell auf Hotel und Gastronomie zugeschnittenen Inhalte erlernt werden: von Qualitätsmanagement und Hygiene über Küchentechnologie, Personalplanung und Marketing bis zur Ernährungslehre. Vom fünften Semester an folgen wahlweise Vertiefungen über Gastronomiemanagement oder Systemgastronomie.
Nach sieben Semestern können die dual Studierenden ihren Bachelorabschluss machen und optional noch ihre Ausbildungsprüfung als Koch vor der Industrie- und Handelskammer. „Ich habe sehr bedauert, dass dieser wunderbare Beruf so ein schlechtes Image hat, und habe nach Wegen gesucht, um in aufzuwerten und den Absolventen auch noch mehr Karriereoptionen zu ermöglichen“, so Personalexpertin Maas.
Die Initiative scheint aufzugehen: Leonardo Hotels hat in diesem Jahr zehn duale Studenten für Culinary Management angenommen, zudem auch alle Kochausbildungsstellen besetzt und für alle Hotelbereiche insgesamt 200 Azubis eingestellt – doppelt so viele wie sonst.