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Trotz drohender Rezession Warum der deutsche Arbeitsmarkt weiterhin so stabil ist

Softwareentwicklerin bei der Arbeit: Vor allem bei hochbezahlten Stellen gab es zuletzt weniger offene Stellen
Softwareentwicklerin bei der Arbeit: Vor allem bei hochbezahlten Stellen gab es zuletzt weniger offene Stellen
© IMAGO/YAY-Images
Zentralbanken wollen eine Lohn-Preis-Spirale verhindern, indem sie den überhitzten Arbeitsmarkt abkühlen. Zumindest in Deutschland zeigt sich dieser allerdings erstaunlich robust, wie exklusive Zahlen zeigen

Vor allem in den USA, aber auch in Europa, ist der Arbeitsmarkt nach den Corona-Beschränkungen heiß gelaufen. Jetzt, in Zeiten von Hochinflation und steigenden Zinsen, mehren sich allerdings die Zeichen, dass der Boom zu Ende geht. In den USA ist die Zahl der freien Stellen im September zuletzt so stark gefallen wie seit dem Corona-Ausbruch im Februar 2020 nicht mehr. Ähnlich sieht es in der Eurozone aus, wo die im Einkaufsmanagerindex gemessene Bereitschaft Personal „einzukaufen“ auf ein 18-Monats-Tief gefallen ist. Und in Großbritannien wurde die erwartete Arbeitslosenquote für 2023 zuletzt von 4,1 auf 4,5 Prozent angehoben.

Für Zentralbanker wären das eigentlich gute Zeichen, wenn sich der Arbeitsmarkt tatsächlich abkühlt. Denn sie versuchen, eine Lohn-Preis-Spirale zu verhindern, indem sie Druck aus dem Arbeitsmarkt nehmen – gleichzeitig wollen sie aber nicht das wirtschaftliche Rückgrat angreifen. Diese sanfte Landung aus steigender Arbeitslosenquote ohne größerem Wohlstandsverlust – sprich: mehr Arbeitslose, aber auch nicht zu viele, und wenn, dann in hochqualifizierten Bereichen – ist aber ein Korridor, der sich nur schwer treffen lässt.

Rückgang auf hohem Niveau

Zumindest in Deutschland könnte das allerdings aufgehen. Zwar schätzen Ökonomen, dass die Arbeitslosenquote im kommenden Jahr um 0,6 Prozentpunkte auf 5,5 Prozent steigen könnte. Doch Daten der Jobportale Stepstone und Indeed, die Capital exklusiv vorliegen, zeigen nun ein anderes, weniger dramatisches Bild. Bei beiden Anbietern sind die Aussagen identisch: Der Rückgang der freien Stellen ist real, allerdings gering und auf einem sehr hohen Niveau.

Bei Indeed wird derzeit der 1. Februar 2020 als Referenzwert genommen, also der letzte gemessene Zeitpunkt vor Corona. Verglichen mit diesem Tag liegt die Zahl der offenen Stellen heute um 53,7 Prozent höher. Zum absoluten Höhepunkt im Frühsommer 2022 lag der Wert bei knapp 60 Prozent. „Wir sehen also in keiner Weise einen größeren Einbruch in der Gesamtbetrachtung“, erklärt Sprecher Felix Altmann. „Noch zeigt sich der Arbeitsmarkt robust und resilient.“

Bei Stepstone ist die Situation ähnlich. Auch dort ist die Zahl der offenen Stellen seit 2020 förmlich explodiert (+129 Prozent im August) und nur mit bestimmten Filtern werden überhaupt Bremsspuren sichtbar, etwa, wenn man auf die Sommermonate 2021 und 2022 schaut. In beiden Jahren wurden mehr Stellen ausgeschrieben, doch zwischen Juni und August 2022 (plus vier Prozent) wurden weniger Stellen ausgeschrieben als im Vorjahreszeitraum (plus zehn Prozent). Verwunderlich sei das aber nicht, da die Corona-Lockerungen im vergangenen Sommer für einen massiven Schub gesorgt hätten, sagt CEO Sebastian Dettmers. Sein Fazit: „Der Arbeitsmarkt zeigt sich insgesamt außergewöhnlich stabil. Aber wir befinden uns derzeit in einer extrem volatilen gesamtwirtschaftlichen Lage, in der besonders einzelne Branchen unter Druck stehen.“

Mittel- bis langfristig sei er aufgrund des demografischen Wandels allerdings positiv gestimmt. „Wir beobachten sogar, dass die meisten Arbeitgeber weiter in Personal investieren, um beim Wiederanziehen der Wirtschaft nicht vom Wettbewerb abgehängt zu werden.“

Weniger offene hochbezahlte Stellen

Ein wichtiger Indikator hierfür ist die Zahl der offenen HR-Stellen. Die Idee dahinter: Wer seine Personalabteilung verstärkt, plant offensichtlich Neueinstellungen. Auch dort zeigt sich eine ähnliche Entwicklung wie im Gesamtkontext: „Zuletzt sind die offenen Stellen etwas zurückgegangen, aber wir befinden uns weiter auf einem sehr hohen Niveau“, erklärt Indeed-Sprecher Altmann.

Interessant sei aber ein Blick auf den Bereich Software-Development. Dieser sei weit unterdurchschnittlich gewachsen und in den letzten Monaten bereits zurückgegangen. „Wir interpretieren das so, dass besonders teuer zu besetzende und überdurchschnittlich bezahlte Stellen schon jetzt von Einstellungszurückhaltung betroffen sind“, sagt Indeed-Ökonomin Annina Hering.

Die Sorge der Zentralbanker vor einer Lohn-Preis-Spirale können weder Stepstone noch Indeed nehmen. Im Gegenteil: „Die Arbeiterlosigkeit wird langfristig zu höheren Löhnen in allen Bereichen führen“, sagt Stepstone-CEO Sebastian Dettmers. „Gerade Deutschland war lange ein Niedriglohnsektor. Es führt kein Weg daran vorbei, das Lohnniveau gerade dort anzuheben.“

Indeed beobachtet bereits einen Gehaltsanstieg in den Angaben der Arbeitgeber. Wie hoch dieser ist, lässt sich allerdings noch nicht quantifizieren. „Alles andere wäre aber auch überraschend in Anbetracht des Arbeitskräftemangels“, sagt Altmann.

Gesucht wird vor allem in den Bereichen Bildung, Handwerk, Gesundheit, Logistik und Gastronomie. Allein im ersten Bereich, der Bildung, ist die Zahl der offenen Stellen bei Stepstone gegenüber Januar 2020 um 203 Prozent gestiegen. Und selbst im zyklischen Bereich der Gastronomie werden heute noch immer 85 Prozent mehr Mitarbeiter gesucht. Zur Hochphase im vergangenen Sommer waren es sogar 360 Prozent.

Und so schließt auch Indeed mit einem positiven Ausblick – zumindest aus Sicht der Arbeitnehmer. „Es kann zu einem kurzfristigen krisenbedingten Rückgang kommen. Aber die langfristigen Trends werden dafür sorgen, dass der Arbeitsmarkt robust und auf hohem Niveau bleibt. Unsere größte Sorge in der Zukunft wird nicht das Stellenangebot sein, sondern der flächendeckende Arbeitskräftemangel.“

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