Der Immobilienmarkt in Stuttgart
Stuttgart - Büros sollen Wohnungen werden
Von Fritz Schwab
Weit schweift der Blick von Architekt Martin Kohler aus seinem Büro in Stuttgart-Degerloch über die Halbhöhenlagen im Süden der Stadt. Karlshöhe, Haigst oder Bopser heißen die Sehnsuchtsadressen der Bauwilligen. Immobilien sind hier rar und teuer. Doch selbst in weniger gefragten Lagen bleibt für die meisten der Traum vom Eigenheim ein Traum. „Vor allem ein Grundstück zum Bauen zu ergattern wird immer mehr zum Glücksspiel“, so Kohler.
Das knappe Angebot spiegelt sich in den Zahlen des Gutachterausschusses: Gerade einmal 5162 Immobilien-Kaufverträge wurden 2019 in Stuttgart registriert – ein historischer Tiefststand. Die Preise entwickeln sich in die Gegenrichtung: Neue Eigentumswohnungen verteuerten sich laut iib-Institut um 1,4 Prozent auf durchschnittlich 6700 Euro, Bestandswohnungen um 2,7 Prozent auf 4600 Euro. Die Mieten liegen im Mittel bei 15 Euro (Bestand) beziehungsweise 18 Euro (Neubau) pro Quadratmeter.
Marc Bosch, Vorstand des Verbands IWS Immobilienwirtschaft, hofft, in einem Pilotprojekt Mietwohnungen für 12,50 Euro pro Quadratmeter zu errichten. „Mit der Stadt führen wir Gespräche über ein Grundstück am Neckarpark.“ Bis die Bagger anrollen, werden jedoch mindestens drei Jahre vergehen.
Wohnraummangel gilt als Haupthindernis für die weitere Entwicklung Stuttgarts. Dem im Herbst scheidenden Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) werfen Kritiker vor, das Thema während seiner achtjährigen Amtszeit verschlafen zu haben. Der Druck auf den Kessel wird wohl sogar noch zunehmen. Laut aktuellen Prognosen steigt die Einwohnerzahl bis 2030 um weitere 40.000 Menschen auf 654.000.
Rasche Entlastung könnte eine Nachverdichtung bringen. „Das Schließen von Baulücken, die Umnutzung von Bürogebäuden oder das Aufstocken sind eine sinnvolle Ergänzung zu Neubaukonzepten“, sagt IWS-Vorstand Bosch. Allein: In Citylagen wie Stuttgart-West oder -Süd lässt sich kaum nachverdichten. Diese von Gründerzeitbauten dominierten Quartiere zählen schon heute zu den am dichtesten besiedelten Vierteln in ganz Europa.
Größere Entlastung erhoffen sich die Stadtplaner vom Wegzug zweier Versicherungsriesen: Die W&W-Gruppe mit der Bausparkasse Wüstenrot wird wohl demnächst ihren ehemaligen Hauptsitz am Feuersee komplett räumen. Die Allianz Leben verlagert ihr Hauptquartier unterhalb der Karlshöhe nach Stuttgart-Vaihingen. Ein neues Stadtviertel entsteht auf dem sogenannten Eiermann-Areal – auch als IBM-Campus bekannt – in Vaihingen. Seit dem Wegzug der deutschen IBM-Zentrale vor elf Jahren liegt hier die teuerste Brache Stuttgarts. An diesem Ort sollen Wohnungen, Kitas, Schulen und Geschäfte für bis zu 5000 Menschen entstehen. Allerdings bis 2030.