Anleger dürften sich in diesem Jahr gefühlt haben wie in einem Fantasyroman. Denn an der Börse tummelten sich in diesem Jahr zahlreiche Einhörner, auch bekannt unter den Namen Uber, Pinterest, Lyft und Wework . Gemeint sind junge Start-ups, die bereits vor ihrem Börsengang mit mehr als 1 Mrd. US-Dollar bewertet werden. Damit scheinen sie tatsächlich geradewegs einer Fantasiewelt zu entspringen, in der Investoren bereit sind, astronomische Summen in ein Unternehmen zu stecken, das womöglich nie rentabel sein wird.
Das zumindest gab zum Beispiel der Fahrdienstleister Uber freimütig zu, als er im Mai dieses Jahres an die Börse ging. Er wurde zu dem Zeitpunkt mit 75 Mrd. US-Dollar bewertet. Der Optimismus der Geldgeber – vor allem Risikokapitalfonds – rührt daher, dass sie in den Start-ups enormes Potenzial sehen, ganze Märkte zu erobern und eines Tages entsprechend hohe Renditen abzuwerfen.
Doch inzwischen hat in der märchenhaften Welt der Einhörner die Realität Einzug gehalten. Davon ist Olivier de Berranger, leitender Investmentmanager bei La Financière de l’Echiquier (LFDE), überzeugt. Er vermutet, „dass die Flitterwochen zwischen den Anlegern und den Einhörnern vorüber sind“. Grund: Die Marktbewertungen, auf denen die letzten Finanzierungsrunden der Start-ups basierten, „sind mittlerweile wesentlich höher als die an der Börse infrage kommenden Bewertungen.“ Deshalb habe auch der Coworking-Spezialist We Work seinen Börsengang (IPO) auf das Jahr 2020 verschoben: Bei seiner letzten Finanzierungsrunde hatte er noch eine Marktbewertung von 47 Mrd. US-Dollar, die dann jedoch auf etwa 10 Mrd. US-Dollar sank – unter anderem wegen Kritik an der Unternehmensführung. Berranger warnt Anleger deshalb davor, Modetrends hinterherzulaufen: „Schließlich kann der Kurs nicht auf Dauer von der Bewertung abweichen.“
Christian Schmitt, Portfoliomanager bei der Luxemburger Fondsgesellschaft Ethenea, warnt noch vor einer weiteren unguten Entwicklung: Er ist der Ansicht, dass die aggressive Wachstumsstrategie der Einhörner die Marktmechanismen gefährdet. „Die Profitabilität spielt einstweilen keine Rolle und wird teilweise über Jahrzehnte hinweg der Eroberung globaler Märkte untergeordnet“, erklärt Schmitt. Das habe gravierende Folgen für alteingesessene Unternehmen: „Wie sollen andere Unternehmen im Wettbewerb mit den Einhörnern bestehen, wenn die neuen Wettbewerber selbst keine Gewinnabsichten haben?“ Die derzeitige „Einhornplage“ ist für ihn der Hauptgrund, warum sich Value-Aktien, hinter denen Unternehmen mit hohem innerem Wert stecken, sich im Vergleich zu Growth-Aktien zuletzt sehr schwach entwickelt haben.
Diese Marktverzerrung beobachtet auch Bob Baur, Chefvolkswirt bei Principal Global Investors: „Value-Indizes sind zu billig im Vergleich zu Wachstumswerten.“ Er rät Anlegern zu einem ausbalancierten Portfolio. Ob der Einhorn-Trend bald ein Ende hat, ist allerdings fraglich. Schmitt von Ethenea glaubt nicht daran – schließlich flössen noch immer dreistellige Milliardenbeträge in das Segment. Die Frage sei allerdings, wie lange Investoren noch bereit seien, „unprofitables Wachstum so massiv in der Breite zu finanzieren.“