Die Deutschen haben eine Leidenschaft für „den Crash“, jedenfalls als Buchkäufer. Findet sich ein Wirtschaftsbuch in der Bestsellerliste, so geht es meist und das schon seit mehr als einem Jahrzehnt um einen bevorstehenden Zusammenbruch – nicht nur des Aktienmarktes, denn früher hieß der Börsencrash ja mal Börsenkrach und das Leben ging danach weiter. Heutzutage macht es kaum ein Buchautor ohne den kompletten Zusammenbruch von Finanzsystem, Gesellschaft und Staat. Titel wie „Der finale Kollaps“ verkaufen sich, vielleicht weil sie wie ein guter Krimi sind: Sie verbreiten ein angenehmes Gruseln, auch wenn sie wenig mit der Realität zu tun haben.
Denn es ist durchaus riskant, sein Geld auf die Empfehlungen der Crash-Propheten hin zu verwetten. Nicht selten liegen sie grundfalsch mit ihren Prognosen, verdienen aber hartes Geld mit Büchern, gebührenpflichtigen Newslettern oder Auftritten. Selbst diejenigen, die eine Krise zutreffend prognostizieren, sind meist One-Hit-Wonder, man könnte auch von Zufallstreffer sprechen. Eines der berühmtesten Beispiele aus jüngerer Zeit dürfte der Hedgefonds-Manager John Paulson sein, der die Subprime-Krise kommen sah und seine Investoren damit reich machte. Einige Jahre späten verlor er das Geld wieder bei Gold-Spekulationen.
Mit ihrer Vorliebe für das Crash-Gruseln sind die Deutschen also nicht alleine. In den USA hat dieser Tage ebenfalls eine öffentliche Diskussion darüber eingesetzt, ob der Aktienmarkt nun nicht irgendwann einmal richtig einbrechen müsste. Es sind weniger die Sorgen vor einer Überhitzung angesichts von Rekordstände des Leitindexes S&P 500 oberhalb von 3000 Punkten oder der anhaltenden Rally von Tech-Schwergewichten wie Apple und Microsoft. Auslöser der Diskussion sind nicht Aktien-Bewertungen, Fundamentaldaten oder politische Ängste, sondern ein Blick auf das Kalenderblatt.
Wird sich 1929 wiederholen?
Vor 90 Jahren, am 29. Oktober 1929, ging der am berühmten „Schwarzen Freitag“ (jedenfalls nach europäischer Zeit, in den USA war es ein Donnerstag) begonnene Kursrutsch in den freien Fall der Aktienmärkte und nackte Panik über. Zwar sackten die US-Aktienkurse im Oktober 1987 prozentual noch stärker ab, doch die Ereignisse aus dem Herbst 1929 haben sich tief ins kollektive Bewusstsein eingebrannt – wohl auch, weil sie wegen des anschließenden Versagens von Geld- und Fiskalpolitik direkt in die große Depression mündeten.
Steht dem US-Markt ein ähnlicher Börsencrash bevor? Schließlich hat der Leitindex S&P 500 sich seit dem Jahr 2000 in etwa verdoppelt, seit seinem Tief während der globalen Finanzkrise sogar mehr als vervierfacht. Wäre es nicht Zeit für eine Korrektur, die vielleicht sogar eine „gesunde Korrektur“ wäre?
Meist wird mit einer „gesunden Korrektur“ ein Abbau einer im historischen Vergleich hohen Bewertung von Aktien bezeichnet. Aber sind US-Aktien überhaupt teuer? Denn die steigenden Kurse sind ja nur ein Teil jener Kennzahl, die Auskunft über die Bewertung des Aktienmarktes gibt. Denn der zweite Teil sind die Unternehmensgewinne, die ebenfalls deutlich gestiegen sind. Aktuell liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis bei rund 20. Das bedeutet, dass der Index mit dem 20-Fachen der für die kommenden zwölf Monate erwarteten Unternehmensgewinnen bewertet wird. Im deutschen Dax liegt das KGV sogar nur bei 16,6 und damit etwas oberhalb des Durchschnitts der vergangenen Jahrzehnte.
Ein Börsencrash ist kein Weltuntergang
Das ist nicht wenig. Aber es behauptet auch niemand, Aktien seien billig derzeit. Aber sie sind auch nicht richtig teuer. Vor dem Platzen der Dotcom-Blase zu Beginn des Jahrtausends lag das KGV im S&P 500 weit über 30. Und wer erzählt, im Herbst 1929 habe das KGV am US-Aktienmarkt ebenfalls bei rund 20 gelegen, verschweigt die weitere Historie. Denn in den folgenden 90 Jahren wurde dieses Bewertungsniveau immer wieder erreicht, ohne dass ein Kurscrash oder eine Rezession folgten.
KGV im S&P 500 seit 1929

Anleger sollten das im Hinterkopf haben, wenn von hohen Bewertungen die Rede ist. Entscheidend ist nämlich, ob die Unternehmensgewinne steigen oder nicht. Derzeit zeichnet sich eher ein Abflachen des Gewinnwachstums und eine Konzentration auf wenige, die Börse treibende Werte an.
Und ja, die Kurse werden irgendwann einmal kräftig einbrechen. Dies wird wahrscheinlich dann geschehen, wenn etwas passiert, das niemand auf der Rechnung hatte. Wer hätte je gedacht, dass Lehman Brothers pleite geht. Doch selbst dann ist ein Börsenkrach kein Weltuntergang. Da Timing an der Börse erfahrungsgemäß ohnehin nicht funktioniert, können Anleger einen starken Kursrückgang nämlich auch einfach aussitzen.
Füße stillhalten und dabeibleiben
Sonst geht es ihnen wie John Hussman. Der Hedgefonds-Manager sagte in den vergangenen zwei Dekaden zwei starke Kursrückgänge am US-Aktienmarkt voraus. Dann verließ ihn das Glück. US-Medienberichten zufolge blieben von 10.000 Dollar, die vor 19 Jahren in seinen Fonds eingezahlt wurden, nur noch 9300 Dollar übrig. Zur gleichen Zeit hat der S&P 500 sich mehr als verdreifacht, und das trotz des Platzens der Dotcom-Blase, dem Irak-Krieg, der globalen Finanzkrise, der Euro-Staatsschuldenkrise sowie den jüngsten politischen Turbulenzen um US-Präsident Trump, Brexit und den Handelskrieg.
Anleger sollten also, wie es ein Analyst kürzlich sagte, jeden Tag mit einem Börsencrash rechnen und trotzdem die Füße stillhalten, also und nicht bei jedem Kursrückgang aus Aktien fliehen. Denn auf den Crash folgt meist eine deutliche Erholung. Der Vermögensverwalter Putnam Investments aus Boston hat berechnet, was es Investoren gekostet hätte, wenn sie die zehn besten Börsentage in den vergangenen 15 Jahren verpasst hätten. Ihr Aktien-Portfolio wäre heute nur die Hälfte wert im Vergleich zur Strategie einfach investiert zu bleiben. Und wer die 20 besten Tage verpasst hätte, was beim Versuch des Timings schnell passiert, würde sogar ein um zwei Drittel kleineres Portfolio haben.
Die spektakulärsten Börsencrashs

Der Bank Run in New York war ein Schock für die USA: Das Land hatte in der Industrialisierung einen beispiellosen Boom erlebt, was etliche Spekulanten und windige Unternehmer auf den Plan rief. Auslöser des Crashs am 17. Oktober waren denn auch halsbrecherische Geschäfte deutschstämmiger Einwanderer, die mit Leerverkäufen auf ein großes Kupfer-Unternehmen einen Reibach machen wollten. Die Krise wurde unter anderem mit Hilfe des angesehenen Bankers J.P. Morgan im Zaum gehalten. Sie führte in letzter Konsequenz zur Einrichtung der US-Zentralbank, die in Notsituationen eingreifen soll.