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Daimler Zetsche geht, Källenius kommt: „Wir sind Wagniskapitalgeber“

Ola Källenius
Ola Källenius
© Patrick Slesiona
Dieter Zetsche hat heute seinen letzten Arbeitstag als langjähriger Vorstandsvorsitzender von Daimler. Sein Nachfolger wird Ola Källenius. Capital sprach schon Ende 2017 mit Källenius, der damals Fragen nach seinen persönlichen Ambitionen noch zurückwies

Capital: Herr Källenius, 2017 war ein aufregendes Jahr für die Autoindustrie – Stichwort Fahrverbote, Autokartell, Elektromobilität. Von vielen wird die Autoindustrie schon abgeschrieben. Trotzdem steuert Daimler auf ein Rekordjahr zu. Wie passt das zusammen?

Ola Källenius: Am Ende zählt, was die Kunden kaufen. Wir erleben beim Händler und beim Kunden ein hohes Maß an Vertrauen – auch für Dieselautos. Per Oktober sind nicht weniger Dieselfahrzeuge in Deutschland zugelassen worden als letztes Jahr. Auch in Europa haben wir mehr verkauft.

Haben Sie dafür eine Erklärung?

Weil der Diesel nach wie vor viele Vorteile gegenüber anderen Antrieben hat. Und gerade unsere neuen Dieselmotoren verbrauchen nicht nur wenig, sie sind auch auf der Straße emissionsarm.

Trotzdem steht der Diesel immer wieder in der Kritik. Wie viele Tage haben Sie sich in Ihrem Terminkalender für 2018 schon für neue ­Dieselgipfel freigehalten?

Ich stehe immer zur Verfügung, wenn jemand den Dialog sucht. Wichtig ist aber eine ruhige Hand. Wir stehen vor einer Transformation, in der wir unser eigener Wagniskapitalgeber sein müssen. Das funktioniert nur, wenn wir ein starkes Kerngeschäft haben. Und das läuft gut. Aber keiner ruht sich aus: Wir fahren unsere Ausgaben für Forschung und Entwicklung deutlich hoch. Weil wir wissen, dass der ­Kunde künftig andere Konzepte und Antriebe braucht.

Wir brauchen innovative Verbrennungsmotoren noch viele, viele Jahre
Ola Källenius

Ist die Dieselaffäre nicht in Wahrheit ein Glück für Sie, weil sie Ihnen einen Innovationsschub bringt?

Wir haben uns schon mit der Zukunft des Diesels beschäftigt, lange bevor die aktuelle Diskussion einsetzte. Schon 2011 haben wir begonnen, eine neue Motorengeneration zu entwickeln, so etwas braucht ja vier bis fünf Jahre. Dieser Motor ist 2016 mit der neuen E-Klasse in den Markt gegangen.

Wir meinten den Innovationsschub jenseits des Verbrennungsmotors.

Klar ist: Wir brauchen innovative Verbrennungsmotoren noch viele, viele Jahre . Aber wir waren 2007 die Ersten, die im deutschen Markt ein Elektroauto in Serie gebaut haben, mit der ersten Generation Smart. Jetzt fahren wir die Forschung hoch, die Entwicklungsarbeit wird noch intensiver – wir haben den Hebel umgelegt. Nicht nur aus regulatorischen Gründen. Wir glauben, dass die Kunden bei höheren Reichweiten das E-Auto mehr akzeptieren werden, die Nachfrage wird steigen. In die sogenannte EQ-Familie, unsere neue Flotte an Elektromodellen, werden wir 10 Mrd. Euro investieren. Das erste Auto kommt 2019 auf den Markt. Dafür machen wir unser globales Produktionsnetzwerk fit für die Elektromobilität.

Wo sitzt die Kompetenz für diese Technologie? Es gibt ja die Angst, dass hierzulande Zehntausende Jobs wegfallen …

Die Entwicklung findet hier in Sindelfingen und in Untertürkheim statt. Das ist unsere „Mission Control“. Aber die Auslandsstandorte werden immer wichtiger. Der größte ist Bangalore, mit fast 2 000 Menschen. Im Silicon Valley arbeiten wir viel an den Themen ­Connectivity, autonomes Fahren und User-Experience. In China bauen wir ein Entwicklungszentrum aus, in ­Seattle haben wir ein Center für Cloud-Computing, in Tel Aviv arbeiten wir mit vielen Start-ups zusammen.

Technologisch ist das E-Auto einfacher als ein Auto mit Verbrennungsmotor. Was sagen Sie jenen, die Angst um Arbeitsplätze haben?

Ist ein Elektroauto wirklich weniger komplex? Eine Hightech-Batterie zu entwickeln, die leicht und hochwertig ist und deutlich höhere Energiedichten hat als heute, ist nicht trivial. Aber es stimmt, neue Technologien verschieben immer Industriestrukturen. Nur passiert dieser Wandel nicht schlagartig, sondern über 20 bis 25 Jahre.

Es hieß ja immer, Deutschland könne irgendwann ein Leitmarkt für Elektromobilität werden. ­Davon ist bisher wenig zu sehen.

Wenn ich mir die Produktpipelines anschaue, bin ich vorsichtig optimistisch. Nicht nur wir planen eine breite Palette, auch andere Hersteller. Das Angebot an Elektroautos aus der deutschen Autoindustrie wird also groß und gut sein.

Daimler wird aber bisher wenig mit Elektromobilität assoziiert …

Wir sind einer der Pioniere dieser Technologie. Und wir fahren jetzt hoch. Die Wahrnehmung wird steigen, wenn mehr Autos auf der Straße sind. Und die werden kommen.

Sehen Sie sich als Treiber oder eher als Getriebener des Trends?

Wir müssen immer auf den richtigen Zeitpunkt achten, schließlich haben wir wirtschaftliche Ziele. Deswegen müssen wir immer die Balance finden zwischen Marktentwicklung, Kosten und der Energiedichte der Batterien. Heute sind Elektroautos in der Herstellung weit teurer als klassische Verbrenner. Wenn wir von Zehntausenden Autos auf Hunderttausende gehen, müssen wir sicher sein, dass wir Geld damit verdienen können.

Die Prognosen für E-Mobilität explodieren geradezu. Haben Sie den Markt zuvor falsch eingeschätzt, oder sind Sie heute zu euphorisch?

Zumindest sind solche Prognosen keine exakte Wissenschaft. Wir wissen einfach nicht, wie viel Prozent batterieelektrische Fahrzeuge wir 2025 haben werden. Also sind wir flexibel. Unsere Planungsgrundlage ist eine Spanne zwischen 15 und 25 Prozent im Jahr 2025.

Nur für E-Autos?

Ja, reine batterieelektrische Fahrzeuge. Dazu kommen die Plug-in-Hybride. Alle anderen Verbrennungsmotoren werden auch elektrifiziert, mindestens mit 48 Volt. Das heißt, wir reden eigentlich von einer flächendeckenden Elektrifizierung in unterschiedlicher Ausprägung.

Um Elektroautos ist ein großer Hype entstanden, trotzdem werden sie kaum gekauft. Wie vermeiden Sie teuren Aktionismus?

Wir müssen Elektro- und verbrennerbasierte Autos im gleichen Werk bauen können. Damit Fabriken und Lieferketten atmen können. Aber auch wir können nicht zu hundert Prozent wissen, wie sich der Markt entwickelt. Ich bin mir aber sicher: Je mehr Modelle kommen, desto stärker wird die Nachfrage sein.

Warum spiegelt sich die Zuversicht nicht im Aktienkurs von Daimler?

Das müssen Sie die Finanzmärkte fragen. Wir werden auf jeden Fall daran arbeiten, dass Daimler eine attraktive Anlage ist und bleibt.

Was ist das größte Problem für ­einen Konzern wie Daimler: die technologische Seite oder tragfähige Geschäftsmodelle zu finden?

Technik ist in unserer DNA. Die Herren Daimler und Benz haben ja vor 131 Jahren nicht gefragt, wie man Hufeisen besser machen kann, sondern sie haben darüber nachgedacht, wie man das System verändert. Das ist die Mentalität von Daimler, deshalb herrscht hier Aufbruchstimmung. Die technologischen Herausforderungen werden wir lösen.

Neben der E-Mobilität haben Sie noch mit anderen Megatrends zu kämpfen: Sharing, Connected Cars und autonomes Fahren. Welcher Trend ist am anstrengendsten?

Das Spannende ist ja genau das Zusammenspiel zwischen den vier Trends. Man kann nicht sagen: Ich mache nur das eine und lasse den Rest außen vor. Die größte He­rausforderung im industriellen Sinn ist sicher die Elektromobilität, da sie Werke und Lieferketten berührt. Im technischen Sinne ist es das autonome Fahren, da braucht man die kreativsten Ingenieure und wahrscheinlich den meisten Gehirnschmalz. In der Connectivity wiederum sind wir schon sehr weit. Die neue Generation unserer Autos wird viele Fähigkeiten haben, die Sie ansonsten von Smartphones kennen.

Gerade in diesem Bereich begeben Sie sich ja in Konkurrenz zu ganz neuen Wettbewerbern wie ­Google oder Apple. Es geht um die Frage, wer die erfolgreichste Plattform baut. Was macht Sie so sicher, dass am Ende Ihre Plattform überlebt?

Natürlich brauchen Autos eine ­eigene DNA, ein eigenes Nervensystem. Das entwickeln und kontrollieren wir. Aber wir docken es an andere Ökosysteme an. Wir konkurrieren nicht unbedingt mit Techfirmen; in einigen Feldern arbeiten wir mit ihnen zusammen, auf anderen Gebieten beobachten wir sehr genau, was sie tun.

Beim Kartendienst Here arbeiten Sie bereits mit anderen Wettbewerbern zusammen, ebenso beim Aufbau von Ladestationen für ­E-Autos. Sind wir auf dem Weg zu ­einer deutschen Automobil AG?

Nein, wir haben einen knallharten Wettbewerb, der intensiver ist als jemals zuvor. Aber es gibt Themen, bei denen es sinnvoll ist, gemeinsam zu arbeiten, etwa bei der Lade­infrastruktur. Deshalb haben wir entschieden, mit BMW, Ford und VW ein Schnellladenetz für Europa aufzubauen. Es wäre nicht sinnvoll, wenn jeder das für sich machen würde.

Warum nicht auch bei der Batterietechnik? Am Ende werden die Batterien alle ähnlich sein.

Dieses Argument könnte man bei ­jedem einzelnen Bauteil anbringen. Und es gibt ja vielfältigste Kooperationen zwischen den Herstellern, bei denen man Plattformen teilt. Wir haben bei der neuen X-Klasse einen Pick-up auf den Markt gebracht, der mit Nissan entwickelt wurde, aber voll und ganz ein Mercedes ist. Auch künftig werden wir schauen, was sinnvoll und kartellrechtlich erlaubt ist, und Kooperationen betreiben. Ich schließe da Batterien grundsätzlich nicht aus.

Und die Brennstoffzelle? Irgendwie scheint die im Hype um das E-Auto untergegangen zu sein.

Auf der IAA haben wir die nächste Generation gezeigt, die 2018 in den Markt geht. In kleinen Stückzahlen.

Daimler hat die Brennstoffzelle noch nicht aufgegeben. Vorerst gibt es aber nur eine Kleinserie
Daimler hat die Brennstoffzelle noch nicht aufgegeben. Vorerst gibt es aber nur eine Kleinserie (Foto: Daimler)
© Daimler

Was heißt das?

Es ist eine Kleinserie. Das Auto hat eine gute Performance, eine super Reichweite und kaum funktionale Einschränkungen. Wir mussten uns zwischen beiden Antrieben entscheiden und fragen, was bis 2025 dringlicher ist. Neben dem Elek­troauto auch die Brennstoffzelle im großen Stil zu industrialisieren wäre zu viel gewesen.

Damit wird die Brennstoffzelle zu einem Forschungsspielzeug.

Das würde ich so pauschal nicht sagen. Für unsere Absätze spielen in den nächsten Jahren die batterieelektrischen Fahrzeuge ganz klar die Hauptrolle. Aber wir bleiben an der Technologie dran.

Sind Autos mit Batterie also eher eine Brückentechnologie?

Da wage ich keine Prognose. Die Energiedichte der Batterien wird immer besser. Momentan nutzen wir Lithium-Ionen-Technologie, aber es sind verschiedene andere Technologien wie Festkörper-Batterien, Lithium-Schwefel und Ähnliches in der Vorentwicklung. Die Kosten werden sinken, und die Energiedichte wird zunehmen. Das könnte das Spiel verändern.

Bleibt das Ladeproblem für all jene, die in Hochhäusern und in Wohnungen leben.

Dafür wird es Lösungen geben. Es gibt Unternehmen, die an Modellen für den Laternenparker arbeiten. Da brauchen wir auch die Politik: Wenn ich in einem Mehrfamilienhaus wohne, in dem es keine Garage gibt, dann muss ich heute das Einverständnis aller Parteien haben, wenn ich eine Ladebox an der Wand installieren will. Das ist zu kompliziert. Eine wichtige Rolle wird auch der Arbeitsplatz spielen. Wir investieren an unseren Standorten zig Millionen in Ladestationen. Der Normalfall wird doch sein: Entweder ich lade nachts daheim oder tagsüber im Büro.

Nehmen Ihre Beschäftigten das an?

Ja klar, und ich selbst nutze es ebenso. Ich fahre eine S-Klasse Plug-in-Hybrid. Und ich stöpsele hier ein, wenn ich im Büro ankomme. Und abends dann zu Hause.

Ein anderes Thema ist das autonome Fahren. Wenn es so weit sein wird, werden die Leute viel Zeit haben. Ist das auch ein Markt für Sie, oder bleiben Sie Hersteller?

Das ist auch ein Markt oder zumindest ein Marktplatz für uns. Interieur war immer wichtig für uns, aber jetzt wird es besonders spannend, was man damit alles machen kann.

Auf was können wir uns denn da einstellen?

Da muss ich mich leider zurück­halten, ich möchte nicht zu viel verraten.

Reden wir von Entertainment, Einrichtung oder Massage?

Von allem wird etwas dabei sein.

Die Vision des autonomen Fahrens erfreut nicht alle. Bob Lutz, der Veteran der US-Autoindustrie, hat es als den Totengräber der Branche beschrieben. Es sei ein Abschied vom Freiheitsversprechen …

Niemand sagt, dass man das Fahren nicht mehr genießen darf. Und für ihn hätte ich sicherlich auch etwas im Portfolio, falls er zurzeit untermotorisiert ist.

Ola Källenius - der 49-jährige Manager leitet bisher bei Daimler als Vorstandsmitglied den Bereich Konzernforschung und Mercedes-Benz Cars Entwicklung. Für die Stuttgarter arbeitet er in diversen Funktionen schon seit 1993. Anders als viele Automanager ist Källenius kein gelernter Ingenieur, sondern Betriebswirt. Ab Mai kommenden Jahres soll der Schwede den Vorstandsvorsitz bei Daimler übernehmen.

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