Irgendwie macht jeder heutzutage Yoga. In urbanen Milieus ist es der Volkssport schlechthin. Halb Hollywood macht es. Und sogar die Fußballnationalmannschaft. Fünf Millionen Menschen praktizieren es geschätzt allein in Deutschland. Warum eigentlich? Wir alle sitzen viel. Das macht unbeweglich. Yoga wird nachgesagt den Körper zu dehnen, ihn wieder flexibler zu machen. Genau das also, was viele Menschen in der heutigen Zeit dringend brauchen.
Das gilt nicht nur für den Menschen, sondern auch für Unternehmen. Denn wenn große Firmen heutzutage eine Eigenschaft dringender denn je benötigen, dann ist das: Flexibilität.
Was sind derzeit die ganz großen Herausforderungen für deutsche Großunternehmen? Ein instabiles Makroumfeld, die Digitalisierung und der Aufstieg der Schwellenländer. Und was haben sie alle gemeinsam? Sie machen besonders den Firmen das Leben schwer, die eingerostet und unbeweglich sind.
Zu allererst das Makroumfeld. Seit dem Lehman-Crash befindet sich die Weltwirtschaft in einer Art Dauerkrise. Ausgehend von extrem volatilen Finanzmärkten tauchen regelmäßig neue Risiken im Wirtschaftssystem auf. Die große Unsicherheit ist ein Kern-Merkmal dieser Dekade. Das Tempo der Marktbewegungen ist verglichen mit der Welt vor zwanzig Jahren enorm. Allein die Bewegungen an Rohstoff- oder Währungsmärkten sind rasant. Viele Firmen müssen sich darauf ständig neu einstellen. Fragt man Risikomanager in großen Firmen, klagen sie darüber, dass man heutzutage kaum noch lange im Voraus planen kann. Man fährt auf Sicht. Das fordert von Firmen vor allem eins: Mehr denn je, müssen sie extrem flexibel sein.
Es hilft nur Flexibilität
Auch der Aufstieg der Schwellenländer verlangt Firmen einiges ab. Einerseits – und darin waren die Deutschen zuletzt gut – müssen sie stets neue Märkte erschließen, und zwar schneller als die Konkurrenz. Andererseits strömen ganz neue Wettbewerber in den Markt, aus China, Brasilien oder Indien, die etablierte Preisstrukturen Branchenverhältnisse ordentlich durcheinander wirbeln. Darauf müssen die Etablierten reagieren, mit flexiblen Produktionsketten. Und hat man sich gerade an das alte Muster der Globalisierung gewöhnt, entsteht nun schon wieder ein neues. Die Billigproduktionsländer wandeln sich zu Konsummärkten, die Fabrikstandorte wandern ab in ärmere Länder. Auch hier hilft nur eins: flexibel sein.
Ähnlich sieht es mit dem Einfluss des Internet aus. Die Digitalisierung hat in den letzten zwanzig Jahren mehrfach ihren Charakter geändert. Auf die Pionierphase folgte die Bubble, auf die Bubble die Enttäuschung, dann das Web 2.0., dann das mobile Internet und so weiter. Noch immer werden ganze Branchen durch neue Startups durcheinander gewürfelt. Platzhirschen wird plötzlich von kleinen Newcomern ihr Geschäftsmodell unter den Füßen weggezogen. Wirtschaftsgeschichtlich sind diese Brüche nichts Neues. Und es gilt bis heute dieselbe Regel: Wer von den etablierten Konzernen bei so einem Umbruch überleben will, muss vor allem eins können - sie müssen sich schnell auf die neuen Bedingungen einstellen können, sie müssen beweglich sein, kurz gesagt: flexibel. Sie brauchen so etwas wie Yoga für Unternehmen.
Nun liegt die Lösung wohl nicht darin, seine Mitarbeiter jeden Morgen Dehnübungen machen zu lassen. Die Maxime für Firmen lautet anders: Große Unternehmen sollten heutzutage einfach ein bisschen mehr Startup werden. Wer in diesen Zeiten wie eine Behörde funktioniert, der hat verloren. Eingerostete Strukturen, Trägheit beim Überdenken von Geschäftsmodellen, Vertriebswegen und Preisstrukturen, Überheblichkeit gegenüber den neuen Wettbewerbern - all das ist der sichere Weg, um von den hungrigen Aufsteigern überholt zu werden. Startups dagegen sind das genaue Gegenteil, von all diesen giftigen Eigenschaften. Die neuen Mitspieler sind oft wendiger, motivierter und innovativer. Da können die Großen von den Kleinen lernen. Anders gesagt: Startups sind die Yoga-Lehrer der Unternehmenswelt. Bei einigen von ihnen bekommen Mitarbeiter übrigens tatsächlich auch Gratis-Yoga-Kurse.
Martin Kaelble schreibt an dieser Stelle montags über Innovationen, Makro- und Techtrends aus der Weltwirtschaft. Seine letzten Kolumnen: Lang leben die BRICS, Der Süd-Süd-Club, und Wachstum im Schleichgang.
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