Kolumne Die neuen Zahlmeister

Reiche Industrieländer, armer Rest der Welt? Dieses Schema hat ausgedient. Die Finanzkraft verschiebt sich mit hohem Tempo.

Chinesische Investoren, die deutsche Mittelständler kaufen. Russische Milliardäre, die deutsche Immobilien kaufen. Investoren aus Singapur, die Geld in deutsche Forschungscluster anlegen. Solche Meldungen häufen sich - und sind Ausdruck einer großen globalen Veränderung: Wer in den Industrieländern Kapital braucht, muss immer öfter in die Schwellenländern fahren, um es dort einzusammeln. Die finanzielle Abhängigkeit der alten Welt von den neuen Aufsteigern wächst in einem rasanten Tempo und dürfte in den kommenden Jahren noch zunehmen. Die Finanz- und Schuldenkrise hat diese Entwicklung beschleunigt.

Zwar mögen die Schwellenländer beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf vom Wohlstand des Westens noch deutlich entfernt sein. Doch in Punkto Finanzkraft, sieht das anders aus. Hier wachsen im Eiltempo mächtige globale Player im Investorenzirkus heran, auf privater wie auf staatlicher Ebene. Dieser Wandel wurde seit langem vorhergesagt. Neu ist allerdings das Tempo, mit dem er sich seit der Schuldenkrise vollzieht.

Eindrucksvoll zeigt das eine jüngst erschienene Studie der Boston Consulting Group (BCG) - der neue „Global Wealth Report 2013“. Einmal im Jahr wird darin die Entwicklung der weltweit verwalteten Privatvermögen untersucht. Und BCG stellt klar: Die Entwicklung der Privatvermögen in der alten Welt und die in den aufstrebenden Märkten der neuen Welt laufen mit höchst unterschiedlichen Geschwindigkeiten.

Immerhin legte dank des Aktienbooms das Privatvermögen in den Industrieländern immerhin wieder zu, was seit der Finanzkrise 2008 nicht immer so war. In Nordamerika wuchs das Privatvermögen um 7,8 Prozent, in Westeuropa um 5,2 Prozent und in Japan um 2,4 Prozent. In Deutschland lag das Plus bei 6,2 Prozent.

Kein Vergleich jedoch zum Tempo in der neuen Welt: in Asien ohne Japan lag das Plus bei 13,8 Prozent, in Osteuropa bei 13,2 Prozent und in Lateinamerika bei 10,5 Prozent. Die Vermögenswerte im Nahen Osten und Afrika nahmen um 9,1 Prozent zu. In den kommenden fünf Jahren werden laut BCG Märkte der neuen Welt für rund 70 Prozent des globalen Wachstums der Vermögenswerte verantwortlich sein. Und schon ab diesem Jahr werden sich die zweitmeisten Millionärshaushalte der Welt wohl nicht mehr in Japan sondern in China befinden.

So viel zu den privaten Kapitalgebern. Auf staatlicher Seite ist die Entwicklung noch krasser. Klar, nach drei Jahren Schuldenkrise in Europa hat sich halt ein bisschen was verschoben in den globalen Verhältnissen. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass die Devise galt: Staatsbankrotte sind was für Schwellenländer - Industrieländer haben damit nichts zu tun. Vorbei!

Das zeigt der Blick auf die Staatsbilanzen. Selbst in Lateinamerika, jahrzehntelang ein Hort von Schuldenkrisen, ist die Staatsverschuldung heute in einer Reihe von Ländern niedriger als in den meisten Industrieländern: Chile verfügt mit rund zwölf Prozent vom BIP über einen der geringsten Schuldenstände der Welt, in Kolumbien sind es rund 30 Prozent und auch das einstige Dauersorgenkind Mexiko schlägt sich mit rund vierzig Prozent gut im Vergleich zu vielen Industrieländern. Hätte das jemand in den 80ern prophezeit, wäre er ausgelacht worden. Ähnlich sieht es in Asien aus: Indonesien verbucht rund 20 Prozent, ebenso China.

Während sich der Schuldenstand in den meisten Industrieländern mittlerweile bei siebzig Prozent aufwärts bewegt, liegt er in vielen Ländern der weniger entwickelten Welt eher darunter. Hohe Devisenreserven machen Länder wie Russland oder Singapur reich. Allen voran China mit den größten Devisenreserven der Welt.

All das macht die Schwellenländer zu immer wichtigeren Geldgebern der industrialisierten Welt. Vor allem als institutionelle Anleger, in Form Staatsfonds und Pensionsfonds. Und als private Investoren dank stark wachsender verwalteter Privatvermögen. Wenn es darum geht, Investoren für Großprojekte oder Fonds zu gewinnen oder einfach neue Staatsanleihen zu verkaufen, wird man immer häufiger auf China und die anderen aufstrebenden Länder zurückkommen. Wie schnell diese Abhängigkeit in Punkto Finanzkraft von den Schwellenländern wächst, macht sich noch nicht jeder bewusst. Und noch weniger die Frage, was diese neue Abhängigkeit von vielen nicht-demokratischen Ländern politisch bedeutet.

Martin Kaelble schreibt an dieser Stelle montags über Innovationen, Makro- und Techtrends aus der Weltwirtschaft.

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