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Kolumne Lang leben die BRICs

Der Abgesang auf die Schwellenländer macht die Runde. Er scheint etwas übertrieben. Eine Abschwächung muss noch nicht das Ende der Erfolgsstory bedeuten. Von Martin Kaelble

Vom Ende der BRICs ist derzeit vielerorts zu lesen. Viele Aktienstrategen empfehlen die Umschichtung weg von Emerging Markets, hin zu Industrieländern. Bei den Aussagen einiger Analysten, gewinnt man den Eindruck, als hätte die Wachstumslokomotive der vergangenen Jahre nun plötzlich keinen Diesel mehr.

Bekanntermaßen neigen die Finanzmärkte zu Übertreibungen. Jahrelang hieß es: Alles auf BRICs. Jetzt geht es ruckartig in die andere Richtung. Strukturelle Probleme in einigen Ländern (die in den vergangenen Jahren auch schon da waren), werden nun plötzlich betont und in den Vordergrund gerückt. Die Stärken sind schnell vergessen. Das Ganze gleicht der Überreaktion eines enttäuschten Liebhabers. Die Märkte leben nun einmal von Stories. Und die Story ist derzeit: Schwellenländer taugen nichts, wenn sie nicht am obersten Limit wachsen.

Bei genauerem Hinschauen scheint die Lage in vielen Ländern dabei gar nicht so dramatisch. Fraglos: Das Wachstum schwächt sich vielerorts offenkundig ab. Doch es verpufft nicht plötzlich (von Brasilien einmal abgesehen). Und es wird wohl so schnell auch nicht auf die niedrigeren Raten der Industrieländer sinken.

Man könnte von Normalisierung sprechen

Man darf nicht vergessen: Die Phase zwischen Dotcom-Bubble und Lehman-Krise war in Punkto Wachstum ein absoluter Ausreißer nach oben. Eine Phase, in der die Weltwirtschaft von Übertreibungen gekennzeichnet war, die dann in den Lehman-Crash mündeten. Die nun prognostizierten Wachstumsraten ähneln vielerorts hingegen dem was in den 90ern üblich war. Und die 90er waren auch kein schlechtes Jahrzehnt. Man könnte von einer Normalisierung sprechen. Darüber sollte man nicht enttäuscht sein, nur weil man ein paar Jahre lang durch Ausnahmeraten verwöhnt wurde. In einigen Fällen könnte die Normalisierung vielmehr zu mehr Stabilität führen.

Ohnehin sind die Schwellenländer viel zu heterogen, um sie über einen Kamm zu scheren. Jedes Land hat eine etwas andere Wachstumsstory, andere Chancen und Probleme. Sie nun pauschal in die Tonne zu treten, ist völlig fehlgeleitet.

Ziemlich schlecht steht es fraglos um Brasilien. Hier droht wirklich Ungemach. Brasilien ist aber ein völlig anderer Fall als die meisten Schwellenländer in Asien. Auch die russische Wirtschaft hat in ihrer Struktur mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten mit den meisten anderen Schwellenländern. Russland steht und fällt mit den Rohstoffpreisen. Das belastet nun schon seit fünf Quartalen, kann aber auch relativ schnell wieder drehen, wie die vergangenen Jahre gezeigt haben.

Indien hat strukturelle Probleme. Die existierten aber auch in den vergangenen Jahren und verhinderten nicht das kräftige Wachstum der letzten Jahre. Die derzeitige Schwäche scheint zu weiten Teilen eher konjunkturell. Der Nachholbedarf bei der Infrastruktur bietet weiterhin enormes Wachstumspotenzial, ebenso überfällige Reformen. Was passiert, wenn die Politik diese Kräfte nur ansatzweise freisetzt, hat der Boom der 2000er-Jahre gezeigt.

Ein gemischtes Bild

In China scheinen die Zeiten zweistelliger Zuwachsraten vorerst vorbei. Erst heute kamen offizielle BIP-Zahlen. Das Wachstum hat sich im zweiten Quartal nochmals abgeschwächt – von 7,7 auf 7,5 Prozent. Das birgt Risiken, bei einer so rasant gewachsenen Volkswirtschaft wie China. Es ist von der Regierung in Peking aber so gewünscht. Erstens, um den Wandel von einer Billig-Export-Wirtschaft zu einem balancierten Wirtschaftsmodell hinzubekommen. Zweitens um die Probleme im Bankensektor in den Griff zu bekommen und eine harte Landung der Wirtschaft zu verhindern. Es heißt aber - im Gegensatz zu Krisen in den Industrieländern - nicht, dass plötzlich keine Produkte mehr in China verkauft werden können. Wenn die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt mit sieben Prozent wächst, entwickelt das immer noch Zugkraft. Vor ein paar Jahren legte die Volkswirtschaft zwar kräftiger zu, hatte aber auch einen geringeren Anteil am globalen BIP.

Jenseits der vier großen Schwellenländer wird das Bild noch gemischter. Die Türkei macht Sorgen, die Ungleichgewichte der Leistungsbilanz waren für viele Experten trotz Boom schon seit langer Zeit ein Warnsignal. Doch schaut man in andere Länder, sieht es ganz anders aus: In Indonesien oder Mexiko läuft die Wirtschaft weiter rund. In Korea oder Südafrika ist die Lage keinesfalls dramatisch.

Hinzu kommt: Trotz der aktuellen Schwächephase bieten sich in den meisten Schwellenländern mittelfristig immer noch genug Quellen für kräftiges Wachstum. In Ländern wie Indien oder Brasilien ist der Nachholbedarf bei Investitionen und Infrastruktur immer noch enorm, in Indonesien sowieso. Und schließlich ist der wachsende Wohlstand einer größeren Mittelschicht ein völlig neuer Wachstumstreiber, durch den sich enorme Chancen für westliche Exporteure bieten. Der Übergang zu diesem neuen Wachstumsparadigma trägt nun nach Ansicht einiger Ökonomen zur aktuellen Schwäche bei. Es ist eine Umbruchphase. Danach winkt eine neue Ära, mit immer noch kräftigem Wachstum, so die Prognose von Institutionen wie dem McKinsey Institute.

Nüchtern betrachtet scheint der Abgesang auf die Schwellenländer also etwas übertrieben. Bleibt allerdings ein Haken: Die Märkte haben oft genug bewiesen, dass sie panisch eine Abwärtsspirale nach unten befeuern können. Das hat jüngst erst die Eurokrise bewiesen. Setzt sich also die Negativstory fest, nimmt die Kapitalflucht bei den Schwellenländern an Fahrt auf, könnte der Abgesang am Ende noch zu einer selbst erfüllenden Prophezeiung werden.

Martin Kaelble schreibt an dieser Stelle montags über Innovationen, Makro- und Techtrends aus der Weltwirtschaft. Seine letzten Kolumnen: Der Süd-Süd-Club, Wachstum im Schleichgang, und Die neuen Zahlmeister.

E-Mail: Kaelble.Martin@capital.de

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