Haben Sie in letzter Zeit mal auf den kleinen weißen Zettel in Ihrer Blackberry-Tasche geschaut? Die Chancen stehen nicht schlecht, dass da ausnahmsweise mal nicht „Made in China“ steht. Sondern „Made in Mexico“, „Made in Hungary“ oder sogar „Made in Canada“. Es ist ein kleines Indiz für die großen Veränderungen, die die Weltwirtschaft gerade umwälzen.
An „Made in China“ auf unseren Elektrogeräten, Spielzeugen und Möbeln haben wir uns ja seit längerem gewöhnt. Doch jetzt müssen wir uns schon wieder umgewöhnen. Die Globalisierung geht in die zweite Runde. Und sie ist komplexer als die erste. Willkommen in der neuen Weltwirtschaft.
Jahrelang ging Globalisierung so: Westliche Firmen bauen Fabriken in Schwellenländern, um dort billiger für die Märkte im Westen zu produzieren. So war das seit den 90ern. Seit der Finanzkrise ändert sich das.
Dass China selbst zum Konsumenten wird, war immer das ewige Versprechen am Horizont. Jetzt wird es eingelöst. Die Löhne in China steigen. Und mit ihnen die Kaufkraft der chinesischen Mittelschicht. Mittlerweile sind die Lohnkosten an der chinesischen Ostküste höher als in Mexiko. (Weswegen Blackberrys jetzt eben auch woanders produziert werden.) Die Blackberrys wiederum werden immer öfter von Chinesen selber gekauft. Aus „Made in China“ wird „Made for China“.
Das hat extreme Auswirkungen für die Weltwirtschaft, die wir gerade erst beginnen zu spüren.
Ein Beispiel: Die globalen FDI-Ströme. Sie dürften einigen Ökonomen zufolge deutlich in Zukunft abflachen. Weil das Outsourcing an seine Grenzen gestoßen ist, die Firmen nun nicht mehr so häufig ganze Produktionsstätten auf die grüne Wiese verlagern, sondern bestehende Fabriken in China ausbauen. Zugleich wandert die Produktion teilweise sogar zurück in den Westen. Der französische Fahrradhersteller Véloscoot hat seine Produktion von China zurück nach LaRochelle verlagert. Und in Wales setzt mit Huit Denim sogar ein Jeanshersteller auf „Made in UK“, wo die Textilbranche eigentlich längst ausgestorben war.
Die Exporte aus China in den Westen könnten im gleichen Zug abnehmen. Denn es wird zunehmend interessanter für den eigenen schnell wachsenden Markt zu produzieren als für die USA und Europa. Was die globalen Ungleichgewichte in den Handelsbilanzen schrumpfen lassen könnte.
Und natürlich ist all das nicht auf China beschränkt: In Ländern wie Brasilien, Indien oder Südafrika wachsen die Mittelschichten ebenso rasant. Das enorme Potenzial verdeutlicht eine Prognose der Weltbank, der zufolge die Mittelschicht der Schwellenländer bis zum Jahr 2030 von 400 Millionen auf 1,2 Milliarden Menschen anschwellen wird, mit einer Kaufkraft von bis zu 17 000 Dollar pro Kopf. Diese Menschen werden Auslandsreisen buchen, Autos, Küchen und Fernseher kaufen.
Noch gigantischer sind die Zahlen, mit denen die US-Denkfabrik Brookings Institution aufwartet. Sie prognostizierte eine regelrechte Explosion der Mittelklasse der Region Asien-Pazifik von 525 Millionen im Jahr 2009 auf 3,2 Milliarden Menschen im Jahr
2030. Der Mittelklassenkonsum der Region werde demnach einen Anteil am globalen Mittelklassekonsum von 59 Prozent haben - nach 28 Prozent im Jahr 2009. Es heißt also in Zukunft nicht nur „Made for China“, sondern auch „Made for India“ und „Made for Brazil“.
Für westliche Firmen bedeutet das: Es ist nicht nur smart sich auf die Emerging Markets einzustellen, es ist unverzichtbar. „Made for China“ gilt schon lange für deutsche Maschinen- und Autobauer. Doch jetzt kommt Phase zwei: Die Konsumgüterherstellern sind dran.
Und die Dienstleister. So baut auch der Berliner Internet-Inkubator Rocket seit einiger Zeit nicht mehr nur auf Zalando - sondern auf Wachstum in den Schwellenländern und entwickelt Startup-Kopien von westlichen E-Commerce-Buden von Ghana bis Peru. Andere folgen bereits. Hier sind deutsche Tech-Firmen teilweise sogar ausnahmsweise mal schneller als ihre US-Konkurrenten.
Und was machen Sie jetzt daraus? Bewahren Sie Ruhe. Legen Sie den Blackberry zur Seite. Wenn Sie eine Firma haben, buchen Sie schnellstens einen Flug nach Asien und erschließen Sie einen neuen Markt. Wenn Sie Kinder haben, melden Sie sie endlich für den Chinesisch-Kurs an. Und wenn Sie einen Fernseher haben, schauen Sie öfter BBC. Mein Gerät ist übrigens auch nicht mehr aus China, sondern „Made in Germany“.
Martin Kaelble schreibt einmal pro Woche an dieser Stelle über Innovationen, Makro- und Techtrends aus der Weltwirtschaft.