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Interview „Wir brauchen kurzfristig intelligente Öffnungskonzepte“

Michael Holstein, neuer Chefvolkswirt der DZ Bank
Michael Holstein, neuer Chefvolkswirt der DZ Bank
© PR
Europa hat beim Impfen „einiges vergeigt“, beklagt Michael Holstein, seit Jahresbeginn Chefvolkswirt der DZ Bank. Im Interview erläutert er, was die Politik jetzt tun sollte und warum er den Dax zum Jahresende bei rund 15.000 Punkten erwartet

Herr Holstein, sie sind seit dem 1. Januar neuer Chefvolkswirt der DZ Bank in Frankfurt, dem Spitzeninstitut der genossenschaftlichen Banken in Deutschland. Ich denke, es gibt einfachere Zeiten, um so eine Aufgabe zu übernehmen.

Wir alle erleben durch die Covid 19-Pandemie herausfordernde Zeiten. So etwas hatten wir hier in Europa komplett nicht auf dem Zettel. Wir waren nicht bei allen Punkten gut vorbereitet und sind im Umgang damit nicht geübt. Es ist kein Wunder, dass die asiatischen Staaten bisher besser durch die Krise gekommen sind. Da ich die Bank schon länger kenne und ich mich als Volkswirt regelmäßig mit Krisen beschäftige, war die Umstellung für mich persönlich aber nicht allzu groß.

Und jetzt läuft es hier mit dem Impfen nicht rund. Was wird das für Folgen haben?

Europa hat beim Impfen erhebliche Schwierigkeiten. Die USA und das Vereinigte Königreich haben einfach schneller reagiert und investiert, das brachte ihnen einen Vorteil gegenüber der EU. Die Verzögerung macht es für uns sehr schwierig, schon in diesem Jahr aus der Krise herauszuwachsen.

Waren wir zum Jahresbeginn alle etwas zu optimistisch?

Die allgemeine Erwartungshaltung der Kapitalmärkte war sehr optimistisch, nachdem Biontech und Pfizer einen Impfstoff gefunden hatten. Man muss aber auch sehen, dass zu diesem Zeitpunkt die Mutationen des Corona-Virus noch keine große Rolle gespielt haben. Das erste Quartal wird nun viel schwieriger als wir alle erwartet haben, und auch das zweite Quartal wird noch von der Pandemie und Einschränkungen unseres Alltags geprägt werden.

Hoffnung also erst für den Sommer?

Das zweite Halbjahr wird besser werden, da ist Zuversicht gerechtfertigt angesichts des bis dahin zu erwartenden Impffortschritts. Wir rechnen weiterhin mit einem Post-Corona-Boom in der zweiten Jahreshälfte.

Kann die Politik daran etwas ändern?

Es geht um Impfen, Testen und den Schutz der besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen. Wenn die Alten- und Pflegeheime durchgeimpft sind, werden wir einen deutlichen Rückgang bei den Todeszahlen sehen. Hoffnung macht mir, dass bald schon mehr Schnelltests zur Verfügung stehen. Dann muss nicht mehr generell alles zugeschlossen werden, das wird Branchen wie der Gastronomie, dem Einzelhandel und der Veranstaltungswirtschaft helfen. Wir brauchen kurzfristig intelligente Öffnungskonzepte – sonst wird es für einige Wirtschaftsbereiche extrem schwierig.

„Nicht am falschen Ende sparen“

Was kann getan werden, damit es mehr Impfstoff gibt?

Da ist im Jahr 2020 einiges vergeigt worden, die Politik kann da noch mehr bewegen. Ich denke, dass die Auslobung von hohen Prämien für zusätzliche Lieferungen hier schon noch etwas bewirken könnte. Nicht umsonst erhalten diejenigen Länder wie USA, Großbritannien oder Israel, die deutlich mehr für die Impfstoffe zahlen, auch schnellere und umfangreichere Lieferungen als die EU. Es darf nicht weiter am falschen Ende gespart werden.

Während wir über Impfchaos diskutieren, legt die Wirtschaft in China schon wieder zu. Hilft das letztlich der Wirtschaft in Europa?

Es ist ein gutes Zeichen, dass die Exporte aus Japan nach China zuletzt stark gestiegen sind. Japan ist ein ähnlich industriell geprägtes Land wie Deutschland, China dürfte also auch der deutschen Wirtschaft aus der Krise helfen. Schließlich war China auch im letzten Jahr Deutschlands größter Handelspartner und die Ausfuhren nach China sind im vierten Quartal 2020 bereits wieder kräftig gestiegen. Ein Belastungsfaktor für uns bleiben aber die Exporte in die anderen EU-Staaten, gerade nach Frankreich sind sie stark zurückgefallen.

Die Exporte können ja stärker in die USA gehen, wo der neue Präsident Joe Biden ein gigantisches Konjunkturprogramm auflegen will.

Wir erwarten für die US-Wirtschaft einen mächtigen Wachstumsschub und ein Wachstum von 6 Prozent in diesem Jahr. Das wird auch der deutschen Wirtschaft helfen, die USA ist nach wie vor ihr wichtigster Exportmarkt.

Wenn China und die USA sich so gut entwickeln, gleicht das die Probleme hier bei uns in Europa aus?

Wir sind sehr optimistisch für die deutschen Exporte und rechnen für 2021 mit einem gesamtwirtschaftlichen Wachstum von 2,7 Prozent für Deutschland und von 3,7 Prozent für die Eurozone. Hier ist die Wachstumsrate höher, weil Länder wie Frankreich und Italien vergangenes Jahr stärker als wir eingebrochen sind.

Und wann ist die Krise wirtschaftlich vorbei?

In Deutschland wird es Ende des Jahres soweit sein, dann sollten wir beim Bruttoinlandsprodukt das Vorkrisenniveau wieder erreicht haben. Die Eurozone insgesamt hat mehr aufzuholen, da wird es ein halbes bis ein ganzes Jahr länger dauern.

Die DZ Bank hat kürzlich eine Prognose von 15.000 Punkten für den Dax zum Jahresende abgegeben. Was stimmt sie so zuversichtlich?

Wir sind in der Tat insbesondere für den deutschen Aktienmarkt sehr optimistisch. Mit dem Amtsantritt von Biden und dem vollzogenen Brexit sind zwei große Unsicherheitsfaktoren verschwunden und die Geldpolitik wird bis auf weiteres expansiv bleiben. Die Gewinne der Unternehmen sollten sich erholen und den hohen Bewertungen anpassen. Das heißt, die gängigen Bewertungsmaße wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis werden wieder sinken.

Also keine Blase?

Wir sehen keine Überbewertung bei deutschen Aktien. Etwas anders ist es in den USA, gerade Nebenwerte im Technologie-Bereich sind dort teils sehr stark gestiegen. Da kann es schon mal zu deutlichen Rückschlägen kommen. Wir haben keine richtige Blase, aber vor uns liegt der Ausstieg aus der extrem lockeren Geldpolitik, die Aktienkurse und Immobilienpreise hat steigen lassen.

Wird die EZB denn die Zinsen in absehbarer Zeit erhöhen nach dem jüngsten Anstieg der Inflationsrate?

Wir erwarten in diesem Jahr eine Inflationsrate von 2,1 Prozent in Deutschland, vorübergehend kann die Teuerungsrate im zweiten Halbjahr sogar mal in Richtung 3 Prozent gehen. Für das Jahr 2022 erwarten wir 1,4 Prozent, das entspräche dem Durchschnitt der vergangenen Jahre. Der Anstieg der Teuerungsrate im Januar 2021 hatte vor allem technische Gründe wie das Ende der Mehrwertsteuersenkung und die Einführung der CO2-Steuer. Das ist aber nicht der Beginn eines Inflationstrends. Die Leitzinsen der EZB werden nach unserer Prognose in den nächsten drei bis vier Jahren auf dem aktuellen Niveau bleiben.

Wenn das Pandemie-Kaufprogramm PEPP ausläuft, wäre dies ja schon eine gewisse Straffung der Geldpolitik.

Es wird eine große Herausforderung für die EZB, dass dies nicht als geldpolitische Straffung aufgefasst wird. Im Herbst oder spätestens zum Jahresende muss sie die Märkte auf die nächste Phase vorbereiten. Die US-Notenbank Federal Reserve steht etwas früher vor dieser Aufgabe.

Die Zinsen bleiben also niedrig?

Ja, die zehnjährige Bundesanleihe bewegt sich in enger Bandbreite rund um minus 0,5 Prozent und damit nahe am Einlagensatz der EZB. Der bildet eine Art Anker für die Rendite. Auf Sicht von zwölf Monaten erwarten wir einen leichten Renditeanstieg auf minus 0,3 Prozent. Viel mehr sollte nicht drin sein, die EZB wird ansonsten versuchen den Markt zu beruhigen.

Eingangs sprachen Sie von „herausfordernden Zeiten“. Wird das auch noch gelten, wenn wir die Pandemie hinter uns haben?

Auf jeden Fall, die großen längerfristigen Strukturthemen bleiben. Das sind etwa Demographie, Digitalisierung, Klimawandel und der Konflikt zwischen den USA und China. Wie sich das Verhältnis der beiden Mächte entwickelt, ist auch abhängig davon, wie die China-Politik der neuen Biden-Administration aussehen wird. Sie wird wohl grundsätzlich die Richtung nicht ändern, aber den Dialog mit China stärken. Und Europa wird stärker als unter seinem Vorgänger Trump mehr eingebunden sein. Auch die Abgabenquote in Deutschland dürfte ein Thema werden. Es geht um die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes. Auf die neue Bundesregierung warten viele Aufgaben.

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