Als es im Sommer dieses Jahres immer schlechter für Wladimir Putin an der Front in der Ukraine lief, blieb dem Diktator nur noch sein Plan B: Durch die Verknappung von Erdgas und Erdöl die Energiemärkte ins Chaos zu stürzen, die Westeuropäer damit zur Kapitulation zu zwingen und zur Einstellung der Waffenlieferungen an die Ukraine. Am 30. August stellte Putin alle Erdgaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 ein, im Oktober setzte der Russe gemeinsam mit Saudi-Arabien die Kürzung der Ölproduktion durch.
Doch heute kann man sagen: Beide Manöver kamen viel zu spät. Der Erdölpreis liegt inzwischen auf dem Vorkriegsniveau. Und Westeuropa hat sich in rasender Geschwindigkeit vom russischen Erdgas abgekoppelt, auch wenn Wirtschaft und Verbraucher leiden. Selbst die größten Pessimisten in Deutschland rechnen nicht mehr damit, dass die EU-Länder ihre Hilfen für die Ukraine einstellen müssen, um sich damit russische Energierohstoffe zu erbetteln.
Im Gegenteil: Inzwischen kommen aus Moskau wieder kleinlaute Angebote an die Europäer. Die russische Regierung redet von der Möglichkeit, wieder mehr Öl und Gas durch die Pipelines zu schicken. Man prüft angeblich sogar die Möglichkeit, die zerstörten Röhren von Nord Stream 2 zu reparieren. Und selbst auf den Preisdeckel der EU und der G7-Staaten auf russisches Erdöl reagiert der Kreml merkwürdig defensiv. Zwar verkündete Putin nach wochenlangem Zögern ein offizielles Verbot, Verträge mit Preisobergrenzen abzuschließen. Doch durch die Hintertür ließ der Kremlherrscher die Möglichkeit offen, sie im Zweifel eben doch zu unterschreiben.
Putins Erpressung funktioniert nur bedingt
Natürlich muss man sich darauf gefasst machen, dass Putin erneut versuchen wird, die internationalen Energiemärkte zu chaotisieren. Vielleicht kann Russland die Opec-Staaten zu weiteren Kürzungen der Produktion überreden. Vielleicht stoppt das Land kurzfristig die Verschiffung von Erdöl, um Panik zu erzeugen. Vielleicht greift Putin sogar westliche Gaspipelines an. Sehr vieles ist denkbar. Denn Putin bleibt nur noch eine einzige Möglichkeit, um seinen Krieg weiter zu finanzieren: die Preise von Erdöl und Erdgas wieder in die Höhe vom Frühjahr zu treiben.
Was die Liefermengen betrifft, gibt es für Russland kein Zurück zum Status quo Ante. Was nicht mehr nach Europa fließt, können die Russen nur zum Teil nach China und Indien oder in andere asiatische Staaten umlenken. Unter dem Strich sinken sowohl die russische Förderung als auch der russische Export. Nur wenn erhöhte Preise die niedrigeren Mengen kompensieren, kommt Putin mit seinem Staatshaushalt über die Runden.
Doch es sieht nicht so aus, als ob dieses Kalkül aufgeht. Das schwache weltweite Wirtschaftswachstum senkt die Nachfrage nach Erdöl, Erpressung funktioniert nur bedingt. Beim Erdgas sparen die EU-Länder mehr als ursprünglich erwartet. Die milde Witterung hilft auch, den Verbrauch zu reduzieren. Und die Preisobergrenzen setzen Russland zusätzlich unter Druck. Die Inder und Chinesen kaufen zwar gern – aber nur mit sehr hohen Abschlägen. Die offiziellen Angebote für die russische Sorte Urals liegen über 30 Prozent unter dem Preis für Brent-Rohöl. Und für größere Mengen muss Russland in Asien noch einen viel höheren Rabatt hinnehmen.
Zunächst sah es so aus, als ob Putin sich zwar militärisch verkalkuliert habe, aber ökonomisch als Sieger vom Platz gehen könnte. Wer erinnert sich noch an die vielen Artikel, in denen die Aufhebung aller westlichen Sanktionen gefordert wurde, weil die Europäer den Winter ohne Gas und Öl aus Russland nicht überstehen könnten? Inzwischen sind diese Stimmen weitgehend verstummt. Und das zu Recht.