In China mehren sich die Anzeichen, dass die Regierung ihre harten Corona-Maßnahmen lockern und die Wirtschaft wieder in Schwung kommen könnte. Gleichzeitig haben die Opec und Russland beschlossen, die Öl-Fördermenge und damit das Angebot auf dem globalen Ölmarkt auf niedrigem Niveau zu halten. Die erwartbare Folge dieser Entwicklungen: Die Weltmarktpreise für Rohöl ziehen zu Wochenbeginn deutlich an. Ein Förderland profitiert von dem Preissprung von zeitweise rund drei Prozent heute allerdings nicht: Der Preis für russisches Rohöl der Sorte Urals sank sogar minimal auf 60,60 US-Dollar.
Das ist fast genau die Obergrenze, auf die EU, die G7 und Australien den Preis des wichtigsten russischen Exportguts mit ihrem kürzlich beschlossenen Preisdeckel drücken. Der Deckel soll verhindern, dass der Kreml letztlich von Sanktionen wie dem nun in Kraft getretenen teilweisen Ölembargo der EU profitiert, die dem Aggressor im Ukraine-Krieg eigentlich schaden sollen. Zudem wollen die westlichen Wirtschaftsmächte verhindern, dass die ohnehin schwächelnde globale Konjunktur noch tiefer in die Krise gerissen wird.
Laut dem bereits im Juni beschlossenen und nun in Kraft getretenen Embargo darf russisches Rohöl nicht mehr per Schiff in die EU eingeführt werden. Ausnahmen gelten dagegen für per Pipeline importiertes Öl. Vor allem Ungarn, Tschechien und die Slowakei, die stark abhängig sind von russischem Pipeline-Öl, wollen diese Ausnahmeregelung nutzen. Dass die anderen westlichen Industrienationen nun aber die teils erheblichen bislang aus Russland importierten Mengen Öl durch andere Lieferanten ersetzen müssen, könnte den Weltmarkt erschüttern und die Preise in die Höhe treiben. Darunter würden ärmere Länder besonders leiden. Russland dagegen könnte zwar wahrscheinlich weniger Öl verkaufen, höhere Preise könnten den Verlust aber eventuell ausgleichen.
G7 dominieren die Weltmeere
Darum wollen die westlichen Staaten nicht versuchen, den russischen Ölexport möglichst vollständig zu verhindern. Mit der Kombination aus Einfuhrverbot in die eigenen Staaten und dem Preisdeckel für den globalen Handel mit russischen Öl soll Russland weiterhin Anreiz gegeben werden, Öl auf dem Weltmarkt zu verkaufen, ohne dass der Kreml von der durch den eigenen Angriffskrieg ausgelösten Krise profitiert.
Um den Preisdeckel weltweit durchzusetzen, wollen die G7 auf ihre Marktmacht beim Öltransport auf den Weltmärkten setzen. Allein Unternehmen aus den G7-Staaten versichern derzeit rund 90 Prozent des weltweiten Seehandels. Die größten Reedereien der Welt kommen zudem aus EU-Staaten. Diese dürfen auch weiterhin russisches Öl transportieren, versichern und andere Dienstleistungen für den Export erbringen, aber nur, wenn für das transportierte Öl nicht mehr als 60 Dollar pro Fass bezahlt wurde.
„Wir haben klare Signale, dass eine Reihe von Schwellenländern, vor allem in Asien, die Grundsätze der Deckelung beachten werden“, sagte der EU-Vertreter der AFP. Russland werde bereits von seinen Kunden „unter Druck“ gesetzt, ihnen Rabatte zu gewähren. Dafür, dass er Recht behält, spricht, dass der Urals-Preis schon in den Tagen vor Inkrafttreten des EU-Embargos und des Preisdeckels in Richtung 60-Dollar gefallen war und den aktuellen Preissprung nicht mitmachte.
Unbekannte kaufen mehr als 100 Tanker
Russland hat allerdings mehrfach betont, sich diesem Preisdiktat keinesfalls zu unterwerfen. Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge bereitet die russische Regierung ein Dekret vor, das heimischen Unternehmen und Händlern geschäftliche Kontakte mit Ländern und Firmen verbieten soll, die sich an der Obergrenze orientieren.
Zudem baut Russland einem Bericht der „Financial Times“ zufolge eine gigantische Tankerflotte auf, um beim Ölexport nicht länger auf westliche Firmen angewiesen zu sein. Die Zeitung meldet unter Berufung auf den Schiffsmakler Braemar, dass Russland in diesem Jahr wohl mehr als hundert gebrauchte Tanker aufgekauft habe, darunter allein neunundzwanzig Supertanker, die jeweils mehr als zwei Mio. Fass Öl transportieren könnten. Als Käufer der Schiffe träten in der Branche unbekannte oder teilweise anonyme Unternehmen auf, heißt es. Es sei offensichtlich, dass diese Schiffe größtenteils für Russland bestimmt seien.
Zwar treten weder der russische Staat noch russische Firmen beim Aufbau dieser laut „FT“ in der Branche als „Schattenflotte“ bezeichneten Flotte in Erscheinung. Unter anderem der russische Vizeregierungschef Alexander Novak hat in der Vergangenheit aber bereits von der Notwendigkeit gesprochen, die Öl-Transportkapazitäten auszubauen. Andrei Kostin, Chef der staatlichen Bank VTB, forderte laut „FT“, Russland müsse „mindestens eine Billion Rubel“ (rund 15 Mrd. Euro) für den Ausbau seiner Tankerflotte ausgeben.
Dieser Artikel ist zuerst auf ntv.de erschienen