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Steuerrechtsexperte Kube Warum eine Übergewinnsteuer ein falsches Signal wäre

Die Türme und Rohre einer Raffinerie ragen in einen bewölkten Abendhimmel
Mineralölkonzerne profitieren von der Ukraine-Krise
© IMAGO / imagebroker
In anderen europäischen Ländern wurden bereits Übergewinnsteuern eingeführt – in Deutschland noch nicht. Laut dem Juristen Hanno Kube ist der Grund dafür das deutsche Steuerrecht. Im Interview erklärt er, warum er darin einen langfristigen Vorteil sieht

Herr Kube, die Energiepreise sind eine extrem hohe Belastung für viele, aber einige Unternehmen wie die Mineralölkonzerne profitieren stark davon. Die solidarisch zur Kasse zu bitten mit einer temporären Steuer auf ihre Übergewinne, das wäre doch logisch und gerecht, oder?

HANNO KUBE: Die Situation ist sehr ärgerlich, auch für mich selbst an der Tankstelle. Dass einige, in diesem Fall die Mineralölkonzerne, in der Krise extrem hohe Profite einstreichen, ist ein ökonomisches und politisches Problem. Das Steuerrecht ist aber nicht geeignet, dieses Problem zu lösen. Das ist eher eine Aufgabe des Kartellrechts. Denn das Steuerrecht ist grundsätzlich dazu da, einen angemessenen Teil aller Gewinne, die angefallen sind, in den Staatshaushalt zu überführen, damit die staatlichen Aufgaben finanziert werden können. Das Kartellrecht dagegen hat die Funktion, für Wettbewerb zu sorgen, damit ungerechtfertigte Übergewinne möglichst nicht anfallen. Der Weg über das Kartellrecht ist deshalb aus meiner Sicht der richtige Weg, den die Bundesregierung ja mit der Kartellrechtsreform auch einschlagen will. 

Kartellrechtliche Verstöße oder Wettbewerbsverzerrungen sind aber schwer zu belegen. Was spricht denn dagegen, stattdessen das Steuerrecht hier in Stellung zu bringen und diese Gewinne abzuschöpfen?

Dagegen spricht der verfassungsrechtliche Rahmen für die Steuergesetzgebung in Deutschland. Steuern müssen dem allgemeinen Gleichheitssatz entsprechen. Dieses Grundrecht wird im Steuerrecht durch das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit konkretisiert. Jeder wird deshalb nach dem Maß seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, nach seinem Gewinn, belastet. Ein niedriger Gewinn führt also zu einer niedrigen Steuer, ein hoher Gewinn zu einer hohen Steuer. Die Politik hat zudem weitgehende Entscheidungsfreiheit, wie hoch der Steuersatz anzusetzen ist. Eine zusätzliche Steuer auf die Gewinne einer einzelnen Branche wäre aber eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung, ein Verstoß gegen das steuerliche Leistungsfähigkeitsprinzip. Das ist das verfassungsrechtliche Kernproblem einer Übergewinnsteuer. Schwierig wäre es darüber hinaus, Übergewinne zu definieren und rechtlich abzugrenzen.

Es gibt doch aber viele Steuern, die auf einzelne Branchen oder sogar einzelne Produkte zielen...

Hier sind die Ertragsteuern von den Verbrauchsteuern zu unterscheiden. Der Steuergesetzgeber belastet den Verbrauch allgemein durch die Umsatzsteuer und den Verbrauch bestimmter Güter wie etwa von Energieträgern, Bier oder Kaffee zusätzlich, um die Leistungsfähigkeit der Verbraucher zu belasten. Diese Steuern sollen auf die Konsumenten übergewälzt werden und verteuern die Produkte. Das will man ja beim Sprit gerade nicht. Da wurde im Gegenteil die Energiesteuer extra gesenkt. Eine Übergewinnsteuer wäre eine Ertragsteuer auf den Gewinn, und eine solche Steuer muss für alle Unternehmen gleich sein. 

Zwar kann der Gesetzgeber zum Zweck der politischen Lenkung in Grenzen auch bei den Ertragsteuern vom Gleichheitsgrundsatz abweichen. Er kann Steuererleichterungen bei der Einkommensteuer vorsehen, etwa um die energetische Sanierung von Häusern zu fördern. Das reine Abschöpfen von Gewinnen ist aber kein derartiger Lenkungszweck.

Lässt das Grundgesetz da keinerlei Spielraum zu?

Der Versuch, Gewinne einer Branche gezielt abzuschöpfen, ist vor dem Bundesverfassungsgericht schon einmal gescheitert: im Fall der Kernbrennstoffsteuer. Diese Steuer, die als Verbrauchsteuer konzipiert war, sollte in der Sache ebenfalls zusätzliche Gewinne von Energiekonzernen abschöpfen, die damals infolge der Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke entstanden. Das Bundesverfassungsgericht hat aber entschieden, dass es nicht zulässig ist, eine Verbrauchsteuer entgegen ihrem eigentlichen Zweck dazu zu nutzen, Unternehmensgewinne abzuschöpfen. 

Sollte die Verfassungsgerichtsentscheidung zur Brennelementesteuer eine Warnung davor sein, steuerrechtliche Umwege für das Abschöpfen von Übergewinnen in der aktuellen Situation zu suchen?

Der Fall sollte auf jeden Fall eine Warnung davor sein, Verbrauchsteuern zu erheben, um das Gleichheitserfordernis bei der Gewinnbesteuerung zu umgehen.

In vielen anderen Ländern von Italien bis Großbritannien wurden inzwischen Übergewinnsteuern für die Öl- und Gasbranche eingeführt. Warum geht bei denen, was bei uns verfassungsrechtlich unmöglich sein soll?

In der Tat hat die Politik in anderen Ländern größere Freiheit bei der Steuergesetzgebung. Das deutsche Steuerrecht ist viel stärker verfassungsrechtlich begrenzt.

Ist das nicht ein Nachteil, wenn der Gesetzgeber so stark festgelegt ist und auf Situationen wie derzeit nicht aktuell reagieren kann?

Im Gegenteil! Wir können stolz auf unsere steuerrechtlichen Freiheits- und Gleichheitsgrundsätze sein. Sie sind ein wirtschaftlicher Standortvorteil für Deutschland. Sie sichern, dass jeder und jede nach dem jährlichen Gewinn ertragsbesteuert wird, nicht aber nach unklaren, eventuell auch moralischen Kriterien zusätzlich belastet werden kann. Diese Grundsätze jetzt, aufgrund einer aktuellen Problemlage über Bord zu werfen, wäre extrem kurzsichtig. Das wäre ein verheerendes wirtschaftspolitisches Signal. Der langfristige Schaden wäre viel größer als der kurzfristige – und verfassungsrechtlich sehr unsichere – Gewinn.

Dieser Beitrag ist zuerst auf ntv.de erschienen.

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