Anzeige

Gastronomie Warum ein Wirt aus Hannover in den Mehrwertsteuer-Streik tritt

Die Rückkehr zu 19 Prozent Mehrwertsteuer ist nicht das einzige Problem für die Gastronomen. Wer kein Personal hat, kann auch gleich dicht machen
Die Rückkehr zu 19 Prozent Mehrwertsteuer ist nicht das einzige Problem für die Gastronomen. Wer kein Personal hat, kann auch gleich dicht machen
© imageBROKER/Herbert Berger / IMAGO
Der Gastronom Christoph Elbert schließt aus Protest gegen die Rückkehr zur Mehrwertsteuer auf 19 Prozent für drei Monate sein Lokal in Hannover. Er spricht von einem „Scherbenhaufen“ und erhebt schwere Vorwürfe gegen die eigene Branche
Christoph Elbert
Der Hannoveraner Gastronom Christoph Elbert meint, Essen in Deutschland sei viel zu günstig
© Christoph Elbert

Ihre Branchenvertreter rufen wegen der Rückkehr zur Mehrwertsteuer auf 19 Prozent zum großen Gastro-Streik auf. Sie haben beschlossen, Ihr Szenelokal 11a in Hannover von Januar bis März zu schließen. Inwiefern macht so eine lange Schließzeit, so ein Streik denn Sinn? Was wollen Sie damit erreichen?
CHRISTOPH ELBERT: Ich nenne es lieber Protest als Streik. Wir müssen dringend auf ein paar Zusammenhänge aufmerksam machen. Der Punkt ist, dass die Gastronomie mit mehreren Problemen gleichzeitig kämpft, eins bedingt das andere. Die Branche leidet vor allem unter Personalmangel. Das führt dazu, dass ich mein Restaurant nicht mehr zu den Öffnungszeiten bespielen kann wie vor Corona. Im 11a gibt es seit drei Wochen keinen Mittagstisch mehr. Das bedeutet weniger Umsatz für mich. Gleichzeitig sind aber die Energie- und Lebensmittelpreise gestiegen, und jetzt kommt auch noch die Mehrwertsteuererhöhung ab Januar. Für mich ist es jetzt wirtschaftlich sinnvoller, zu schließen als geöffnet zu haben. Darauf will ich mit meinem Beispiel aufmerksam machen.

Gastronomen wird vorgeworfen, Steuerschmarotzer zu sein. Können Sie das verstehen?
Ich bin kein Steuerschmarotzer. Wenn wir auf 100 Prozent arbeiten könnten, dann wäre die wirtschaftliche Situation eine andere und der höhere Steuersatz nachvollziehbar. Aber es ist nicht der Steuersatz allein.

Es gibt keine andere Option, beispielsweise die Öffnungszeiten weiter anzupassen?
Nein, ich kann die zusätzlichen Kosten von Januar bis März mit der Zahl der Gäste, die wir haben, nicht mehr kompensieren. Im Innenraum habe ich 30 Plätze. Für ein gutes Preis-Leistungsverhältnis müssten alle Plätze dreimal in einer Öffnungszeit belegt sein. Das gelingt uns aber nicht mehr. In der kalten Jahreszeit haben wir wirtschaftlich nie gut dagestanden. Aber im Frühling und Sommer mit einer Terrasse mit 160 Plätzen konnten wir die schwachen Monate immer wettmachen. Mit dem ersten Sonnenstrahl ging die Post ab und wir haben uns zurückgearbeitet. Das war berechenbar ...

Und jetzt nicht mehr?
Nein. Dieses Jahr können wir nicht sicher sein, dass wir alles wieder reinholen. Ich werde mein Restaurant nur aufmachen, wenn es sich lohnt. Zum Beispiel für eine Veranstaltung. Allerdings werde ich das dann allein mit der Familie stemmen. Ansonsten serviere ich Streiksüppchen, lade meine Kollegen und Kolleginnen zum Austausch ein und dazu, sich ebenfalls sichtbar zu machen.

Sie haben laufende Kosten, wie finanzieren Sie diese drei Monate?
Das muss ich sehen. Ich habe erst mal ein Budget zur Seite gelegt.

Sie haben mehrere Lokale. Ist die Situation überall die gleiche?
Insgesamt haben wir mehr und mehr Schließzeiten. An unserem Hauptsitz im 11a hatten wir früher sieben Tage die Woche geöffnet. Heute sind es nur noch fünf. Montags haben wir geschlossen und am Sonntag – einem umsatzstarken Tag – ebenfalls, weil die Mitarbeiter das so wollten. Unsere Weinbar wird künftig nur noch an drei Tagen statt fünf geöffnet sein. Unsere Kneipe wahrscheinlich auch. Ein weiteres Restaurant von uns ist bereits geschlossen, weil wir kein Personal finden. Nur unsere Cocktailbar wird zu den üblichen Zeiten weiterlaufen.

Wie hoch sind die Kosten, wenn Sie Ihr Restaurant nicht bewirtschaften?
Zwischen 8000 und 12.000 Euro im Monat.

Befürchten Sie nicht, auch noch die letzten Mitarbeiter zu verlieren?
Meine Mitarbeiter kommen in den drei Monaten zum allergrößten Teil in meinen anderen Lokalen unter. Zwei von insgesamt neun lassen ihre Verträge auslaufen, weil sie sich verändern wollen. Aber sieben können am 1. April wieder voll bei uns einsteigen.

Wie viel mehr müssen Sie denn in Zeiten aktuellen Personalmangels zahlen, damit jemand bei Ihnen arbeitet?
Ich würde sagen, mindestens 30 Prozent mehr als vor Corona. Das verstehe ich aber auch. Unsere Mitarbeiter haben ja auch höhere Kosten, können selbst weniger ins Restaurant gehen. Das gehört alles zu dieser komplexen Krise dazu.

Letztlich geht es dennoch nur um eine Erhöhung von 7 auf 19 Prozent – zwölf Prozentpunkte – mehr auf Speisen vor Ort. Getränke waren nicht ermäßigt, hier ändert sich nichts. Das ist der Teil, mit dem die Gastronomie das meiste Geld verdient. Essen außer Haus ist auch nicht betroffen. So gesehen wirkt der Protest gegen die Mehrwertsteuererhöhung für viele wie ein Sturm im Wasserglas. Was antworten Sie diesen Kritikern?
Das Problem ist, dass wir die Extrakosten in der Vergangenheit nicht voll weitergegeben haben, weil wir befürchtet haben, Kunden an die günstigere Konkurrenz zu verlieren. Wirtschaftlich gesehen war das ein Fehler, wir hätten die Preise radikal anpassen müssen. Stattdessen haben viele gesagt, wir können sie nicht gleich um 20 Prozent erhöhen, wir erhöhen vielleicht erst mal nur um ein paar wenige Prozent. Zwölf Prozentpunkte durch die höhere Mehrwertsteuer ab Januar ergeben für unser Restaurant wahrscheinlich jetzt zusammengerechnet 30 Prozent, die wir seit vor Corona hätten draufsatteln müssen, damit es sich heute für uns rechnet. Wir Gastronomen waren dazu aber leider die ganze Zeit zu ängstlich und zu feige.

Also wäre auch nicht alles gut mit einer Mehrwertsteuer bei sieben Prozent.
Nein. Die preislichen Anpassungen nach oben sind überfällig, sie wären mit Verzögerung genauso gekommen. Wie gesagt, wir waren einfach zu zögerlich. Jetzt haben wir diese rechnerische Altlast. Essen zu gehen in einem Restaurant, wo es vernünftiges Essen und eine vernünftige Qualität gibt, muss einfach viel teurer sein, als es jetzt ist.

Die Rede ist immer von großen Umsatzeinbußen. Ökonomen kommen da aber zu einem ganz anderen Schluss: Die Auswertung von Mastercard-Zahlungen hat ergeben, dass die Umsätze in Großstädten preisbereinigt sogar über dem Vor-Corona-Niveau liegen. Das heißt doch, in der Breite sieht es gar nicht so schlimm aus.
Wichtig ist zu schauen, wie sich die Umsätze in den verschiedenen Bereichen der Gastronomie entwickeln. Welches Konzept jeweils verfolgt, was produziert und zu welchem Preis verkauft wird. Sicherlich gibt es viele gut funktionierende Restaurants. Aber ich weiß auch, dass Restaurants, die sich qualitativ ausrichten, den Gürtel enger schnallen. Ich spreche nicht von einem Hamburger-Restaurant, einer Gastrokette oder Restaurants, die industriell gefertigte Speisen aufwärmen. Ich rede von Restaurants mit fähigen und motivierten Mitarbeitern, wo das Produkt eine Rolle spielt und Mitarbeiter korrekt bezahlt werden. Genau da sehe ich in der Breite nicht so eine positive Stimmung.

Hat dieser Teil der Gastronomie nicht auch einen dringend notwendigen Strukturwandel schlicht verschlafen?
Absolut. Wir Gastronomen haben den Menschen ein Märchen aufgetischt. Wir haben unsere Mitarbeiter und uns selbst nicht gut behandelt, nicht gut bezahlt. Wir haben dem Gast das Gefühl gegeben, dass es ganz toll ist, wenn er für 10 Euro irgendwas essen kann. Der Besuch in einem Restaurant in Deutschland war immer zu günstig. Jetzt stehen wir vor einem Scherbenhaufen, den wir aufräumen müssen. Mir ist das recht. Die Krise muss für einen Unternehmer auch eine Herausforderung sein, sich neu aufzustellen, sich neu zu positionieren, und vielleicht eine andere Form seines Unternehmens zu entwickeln.

Spielen Sie mit dem Gedanken, aufzugeben und Lokale zu schließen?
Ich mache mir seit langer Zeit Gedanken, wie wir dieses Unternehmen gesund halten können. Drei Monate zu schließen aufgrund der komplexen Krise ist unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten erst einmal die für uns weniger schlechte Lösung. Ich will in der Zeit herausfinden, was noch möglich ist.

Das Interview ist zuerst bei ntv.de erschienen

Mehr zum Thema

Neueste Artikel

VG-Wort Pixel