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Lobbyismus Die Steuer-Steuerer: Diese Menschen lenken Deutschlands Steuerpolitik

Bundesfinanzministerium in Berlin
Bundesfinanzministerium in Berlin
© IMAGO / Jürgen Ritter
Ein verschwiegener Kreis von Steuerexperten lenkt seit vielen Jahren die deutsche Steuerpolitik. Capital hat die wichtigsten Strippenzieher getroffen und erklärt, was sie antreibt

Eine Spitzenbeamtin im Finanzministerium soll auf einer Veranstaltung für Steuerberater Tipps zur Steuervermeidung für Hochvermögende gegeben haben. Die Beamtin, Gerda Hofmann, leitet die Abteilung IV D 4 im BMF und ist dort etwa zuständig für die Vermögensteuer, die Grundsteuer sowie die Erbschaft- und Schenkungsteuer. Auch sie gehört zu dem elitären Zirkel von Experten, die seit Jahren Deutschlands Steuerpolitik bestimmen. Im März 2023 porträtierte Capital die wichtigsten Köpfe dieser Community.

Das diskrete Treffen ist einige Jahre her, aber es illustriert noch immer, welche Macht einige Menschen haben können, wenn sie sich in einer komplexen Materie nur gut genug auskennen – so gut wie etwa Matthias Lefarth.

Als CDU/CSU und SPD Anfang 2016 die Reform der Erbschaftsteuer verhandeln, ist der Jurist und Diplom-Finanzwirt Lefarth, zu dieser Zeit Cheflobbyist der Stiftung Familienunternehmen, einer der kundigsten Steuerexperten des Landes. Wie kaum jemand sonst kennt er sich aus mit Bemessungsgrundlagen, Schonvermögen und Investitionsrücklagen. Lefarth weiß, an welchen Schrauben er drehen muss, wenn er die Steuerlast reduzieren will, vor allem für die Erben großer Unternehmen. Aber weil er das selbst nicht kann, weiß er auch, mit wem er reden muss, damit die dann an den Schrauben drehen.

Am 21. Februar 2016 ist Lefarth dort, wo er hin muss: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hat in die Staatskanzlei geladen, und Lefarth hat acht Korrekturwünsche im Gepäck. Darunter: Bei vererbten Betriebsvermögen müsse die Schongrenze deutlich steigen – von 26 Mio. Euro auf 100 Mio. Euro. Das betrifft zwar nur ein Prozent der Erbschafts- und Schenkungsfälle pro Jahr, aber dieses eine Prozent ist eben besonders wichtig: oftmals Familienunternehmen mit Hunderten, ja, Tausenden Mitarbeitern, deren Existenz nach Überzeugung der Stiftungsmitglieder bedroht ist, wenn der Fiskus im Fall von Tod und Erbschaft mitkassieren will.

Drei Tage später lässt Seehofer den Kompromiss der Koalition platzen, in den nächsten Wochen boxt er unter anderem eine weitreichende Verschonung von Vermögen bis zu einer Höhe von 90 Mio. Euro durch und obendrein weitere großzügige Nachlässe für Familienunternehmen.

Was Lefarth als riesigen Erfolg verbuchen kann, ist ein Beispiel dafür, wie ein kleines, aber mächtiges Netzwerk an Juristen seit Jahren die deutsche Steuerpolitik mitbestimmt. Diese Steuernetzwerker sind die absolute Elite ihrer Zunft, kommen hauptsächlich aus der Wissenschaft und von Verbänden und pflegen beste Kontakte in Ministerien sowie zu Abgeordneten des Bundestages. Sie selbst nennen sich die „Steuercommunity“, und als solche beeinflussen sie die deutsche Steuerpolitik seit Jahren. Nur kennt sie außerhalb ihrer Fachzirkel kaum jemand. „Die Community hält Kontakte im 360-Grad-Winkel“, erzählt einer, der sich selbst seit Jahren darin bewegt. Die Mitglieder bilden keinen eingetragenen Verein, trotzdem arbeiten sie sehr konstant zusammen. Wer einmal drin ist, bleibt das meist für viele Jahre.

Alle sind Pragmatiker, die der Wunsch eint, Steuergesetze möglichst einfach zu machen. Zu vielen Fragen haben sie ähnliche Positionen, heute sogar erneut bei der Erbschaftsteuer: Auch wenn keiner offen darüber reden will, ist vielen klar, dass der Kompromiss von 2016 ein Fehler war. Statt große Vermögen zu verschonen, sollten Erbschaften künftig breiter besteuert werden, finden sie.

Insgesamt gibt es um die 50 Steuerexpertinnen und -experten in Deutschland. Doch in den Berliner Zirkel schaffen es nur diejenigen, die über ihre Verbände großes Gewicht haben oder die sich als Universitätsprofessoren einen Namen machen konnten – am Ende sind es zehn bis 15 Personen. Capital ist in dieses verschwiegene Netzwerk eingetaucht.

Reiner Holznagel & Daniela Karbe-Geßler

Präsident & Leiterin der Abteilung Steuern des Bundes der Steuerzahler (BdSt)

Reiner Holznagel
Reiner Holznagel
© PR
Daniela Karbe-Geßler
Daniela Karbe-Geßler
© BdSt

Reiner Holznagel kennen viele aus Talkshows, wo er gern die großen Linien zieht. Die Juristin Daniela Karbe-Geßler, Leiterin der Abteilung Steuern in seinem Lobbyverband, bleibt dagegen im Hintergrund. Zuletzt warben beide unter Bundestagsabgeordneten sehr für den Abbau der kalten Progression – mit Erfolg. „Wir rufen den einen oder anderen an, um Beweggründe zu erfragen, Erklärungen zu erbitten oder unsere Positionen darzulegen“, sagt Holznagel, „bis hin dazu, dass wir uns die Berichterstatter und die Mitglieder des Finanzausschusses und deren Mitarbeiter vorknöpfen.“ 15 BdSt-Landesverbände pflegen Kontakte in die Landesministerien und zu Ministerpräsidenten. Der BdSt ist im Lobbyregister des Bundestages eingetragen, zählt nach eigenen Angaben etwa 200.000 Mitglieder und reklamiert für sich, „die Interessenvertretung für alle Steuerzahler“ zu sein. Eine ältere Analyse der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2008 schätzte jedoch, dass rund 60 Prozent der Mitglieder Unternehmen und Mittelständler waren und nur zehn Prozent Arbeitnehmer. Den Soli für Gutverdienende lehnt der BdSt als „eine Art Reichensteuer“ ab, scheiterte zuletzt aber mit einer Klage vor dem Bundesfinanzhof.

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