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Mehrwertsteuer 19 statt 7 Prozent: Ökonomen für Ende der Steuersubvention in der Gastronomie

Essen wird in einem Restaurant serviert
Essen wird in einem Restaurant serviert. Der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga will die Rückkehr zum normalen Mehrwertsteuersatz auf Restaurant-Essen abwenden
© Sina Schuldt/dpa / Picture Alliance
Die Gastronomie wehrt sich vehement gegen die Rückkehr zum regulären Mehrwertsteuersatz. Denn das würde die Existenz vieler Betriebe bedrohen. Ökonomen halten die Argumente der Branche allerdings für nicht stichhaltig

Die Gastronomie prognostiziert ein Massensterben von Betrieben sowie einen Preisschock für die Gäste. Der nächste Streit innerhalb der Ampelkoalition ist in vollem Gange. Denn die ermäßigte Mehrwertsteuer in der Branche endet mit dem Jahreswechsel. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig will das mit Verweis auf die hohen Energie- und Lebensmittelpreise, unter denen Gastronomen ächzen, im Bundesrat noch verhindern. Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen das prophezeite Schreckensszenario jedoch nicht. Ökonomen zufolge geht es zumindest Teilen der Gastronomie wieder besser als behauptet. Weitere Subventionen halten sie für ungerecht.

Die Branche zählte zu den größten Verlierern der Coronapandemie, rund 25.000 Unternehmen mussten in den beiden Jahren für immer schließen. Trotz staatlicher Hilfen wie Zuschüsse und Kredite, Kurzarbeitergeld und nicht zuletzt die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Speisen von 19 auf 7 Prozent. Im ersten Halbjahr 2023 lag der Umsatz der Gastronomie laut Statistischem Bundesamt inflationsbereinigt immer noch zwölf Prozent unter dem Vorkrisenniveau von 2019. Allerdings haben sich Restaurants in Großstädten einer Studie des Ifo-Instituts zufolge bereits erholt, ihre Umsätze liegen preisbereinigt über dem Vor-Corona-Niveau. In den untersuchten Städten Berlin, München, Hamburg, Stuttgart und Dresden verlagerte sich zudem ein Teil der Umsätze in die Vororte und aufs Wochenende, was die Forscher auf die Verbreitung von Homeoffice zurückführen.

Gastronomen heben Preise deutlich an

Außerdem erhöhte die Branche ihre Preise insgesamt stärker als die Gesamtwirtschaft - trotz der gesenkten Mehrwertsteuer. Den Betrieben ist es also gelungen, ihre gestiegenen Kosten für Personal, Lebensmittel und Energie teilweise weiterzugeben, ohne dass die Gäste ausbleiben, schreiben die Ifo-Forscher. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts ist das Essen in Gaststätten aktuell rund ein Fünftel teurer als im Januar 2021. Im Vergleich zum vergangenen Februar, als der Ukrainekrieg begann, sind es gut 14 Prozent mehr.

Mehrwertsteuer: 19 statt 7 Prozent: Ökonomen für Ende der Steuersubvention in der Gastronomie

Nach Einschätzung von Forschern des Leibniz-Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung Mannheim (ZEW) dürfte durch die vergleichsweise hohen Preissteigerungen zumindest für einen Teil der Branche ein gewisser Spielraum in den Margen entstanden sein. Dieser Spielraum sollte in ihren Augen einen Teil des Preisdrucks infolge der Mehrwertsteuererhöhung auffangen. Die durchschnittliche Umsatzrendite sank nach Angaben des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) im vergangenen Jahr auf 3,9 Prozent.

Die ZEW-Studienautoren gehen davon aus, dass vorausschauende Gastronomen ihre Preise auch deshalb so stark erhöht haben, weil sie bereits einkalkulierten, dass die Mehrwertsteuer für sie  wie grundsätzlich angekündigt  wieder steigen würde. Daher sei die Erwartung eines Preisschocks mit voller Weitergabe der wieder normalisierten Mehrwertsteuer an die Kunden nicht plausibel, schreiben die Ökonomen. Die Absenkung in der Pandemie war wegen der Energiekrise bis Ende dieses Jahres verlängert worden. Im Wahlkampf 2021 hatte Kanzler Olaf Scholz allerdings noch versprochen: Das schaffen wir nie wieder ab.

1,70 Euro mehr für einen Teller Nudeln?

Würde die Rückkehr zu 19 Prozent Mehrwertsteuer nun voll an Restaurantbesucher weitergegeben, würde beispielsweise ein Nudelgericht für aktuell 15 Euro bald 16,68 Euro kosten. Die jetzigen Preise könnten um 11,2 Prozent steigen. DIW-Ökonom Marcel Fratzscher rechnet mit einem Preisanstieg von rund zehn Prozent: Wahrscheinlich werden von den zwölf Prozentpunkten, die die Mehrwertsteuer jetzt in der Gastronomie steigt, 70 bis 80 Prozent an die Kunden weitergegeben.

Weil aber noch unklar ist, welcher Anteil letztlich an die Kunden durchgereicht wird, wollen die ZEW-Forscher nicht bewerten, wie stark in der Folge die Umsätze der Branche und die Zahl der Betriebe sinken könnten. So erklärt es Mitautorin Daniela Steinbrenner im Gespräch mit ntv.de. Der Dehoga hat das Aus von 12.000 Betrieben vorausgesagt. Steinbrenner sagt: Eine genaue Einschätzung der Schließungen ist unter anderem davon abhängig, inwieweit Gastronomen den Anstieg bisher in ihren Preiskalkulationen berücksichtigt haben.

So oder so halten die ZEW-Ökonomen eine dauerhaft niedrigere Mehrwertsteuer nicht für gerechtfertigt. Es handle sich um eine Steuersubvention, mit der jährliche Steuerausfälle von derzeit gut 3 Mrd. Euro verbunden sind, erklären die Experten für Unternehmensbesteuerung. Bei einer Entfristung würden diese Kosten mit dem nominalen Umsatzwachstum der Branche kontinuierlich zunehmen. Für das kommende Jahrzehnt wäre mit Gesamtkosten in Höhe von etwa 38 Mrd. Euro zu rechnen, die durch höhere Steuern an anderer Stelle oder Ausgabenkürzungen gegenfinanziert werden müssten.

Mehrwertsteuersenkung begünstigt Wohlhabende

Im ländlichen Raum steht die Gastronomie teils deutlich schlechter da als in den großen Städten. Da die Branchenumsätze insgesamt noch unter dem Vor-Corona-Niveau liegen, in den kaufkraftstarken Metropolen aber darüber, haben zahlreiche Lokale weiterhin zu kämpfen. Teile des ländlichen Raums außerhalb der Metropolregionen haben sich nicht erholt, stellt Ifo-Studienautorin Carla Krolage gegenüber ntv.de fest.

Doch in den Augen von Ökonomen, wie auch der Wirtschaftsweisen Monika Schnitzer oder Fratzscher, ist die Begründung für eine niedrigere Mehrwertsteuer mit dem Ende der Pandemie entfallen. Der Strukturwandel der Branche dürfe nicht von Dauersubventionen begleitet werden. Die Kampagne der Lobbys aus Gastronomie und Großhandel nennt ZEW-Bereichsleiter Friedrich Heinemann laut und aggressiv. Die sehr teure Vergünstigung sei "sozial problematisch, weil sie besonders den Wohlhabenden zugutekommt".

Denn der Dehoga verweist zwar auf Normalverdiener, doch die durchschnittlichen Ausgaben für Restaurantbesuche steigen mit dem Haushaltseinkommen. Das heißt, die niedrigere Mehrwertsteuer begünstigt wohlhabende Haushalte stärker als ärmere. Eine faire Entlastung sehen die Forscher nur bei der Verpflegung in Schulen und Kindergärten. Dort werden ärmere Eltern durch eine niedrigere Mehrwertsteuer genauso unterstützt wie reichere.

„Verschwinden der Dorfkneipen ist langfristiger Trend“

In den meisten EU-Mitgliedstaaten gilt ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie. Die ZEW-Ökonomen sehen die deutschen Betriebe aber nicht benachteiligt, weil sie ihre Dienstleistungen lokal anbieten. Weitere Argumente für eine Absenkung wie Inflation, Fachkräftemangel und Restaurants als Kulturgut lassen die Wissenschaftler ebenfalls nicht gelten.

So betreffe der Arbeitskräftemangel die gesamte deutsche Wirtschaft. Die Subventionierung ausgewählter Branchen würde die Probleme nur zwischen den Sektoren verschieben. Darüber hinaus würden Steuerausfälle bei der Mehrwertsteuer den Druck auf eine Erhöhung anderer Steuern wie der Einkommensteuer erhöhen und durch die dann weiter sinkenden Leistungsanreize den Arbeitskräftemangel sogar weiter verschärfen.

Die Forscher überzeugt auch nicht, dass eine niedrigere Mehrwertsteuer nicht mehr gut besuchte Gaststätten in Innenstädten und Dörfern retten könnte. Das Verschwinden der Dorfkneipen ist ein langfristiger Trend, der letztlich sich verändernde Präferenzen und Lebensgewohnheiten widerspiegelt, schreiben die Autoren. Steuersubventionen sollten mit substanziellen inhaltlichen Argumenten begründet werden, für die es noch dazu empirische Belege gibt.

Der Vorwurf, die Erhöhung der Mehrwertsteuer heize die Inflation an, wie etwa auch CSU-Chef Markus Söder schimpft, ist den Ökonomen zufolge falsch. Chefvolkswirte von Banken gehen von einem Effekt von 0,1 bis 0,2 Prozentpunkten auf die Teuerungsrate aus. Doch steigende Preise durch Subventionen zu bekämpfen, halten die ZEW-Forscher gesamtwirtschaftlich für wenig sinnvoll. Denn die Subventionierung von Gastronomie-Dienstleistungen fördert den privaten Konsum. Während die Europäische Zentralbank durch Zinserhöhungen versuche, die Nachfrage und damit den Inflationsdruck zu dämpfen, sollte die Fiskalpolitik nicht das Gegenteil tun, erläutern die Wissenschaftler. Kostspielige Krisenmaßnahmen trotz des Endes der Pandemie wären letztlich kontraproduktiv für eine dauerhafte Preisstabilität.

Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen

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