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Sanktionen Warum ein Swift-Rauswurf Russlands ein Irrweg wäre

Russlands Präsident Wladimir Putin in einer Videokonferenz mit dem Sicherheitsrat.
Russlands Präsident Wladimir Putin in einer Videokonferenz mit dem Sicherheitsrat.
© IMAGO / ZUMA Wire
Ist der Ausschluss aus dem Swift-Zahlungsverbund die nukleare Option im Arsenal der Wirtschaftssanktionen des Westens gegen Russland? Nein, sagt Jonathan Guthrie. Es gibt andere Wege die Moskau empfindlicher treffen würden

Atomwaffen sind die einzige reale – aber zugleich undenkbare – nukleare Option in einem Krieg. Gleichwohl ziehen einige Politiker und Experten den Ausschluss Russlands aus dem Swift-Zahlungsverbund für Banken als eine solche Option im Waffenarsenal des Westens in Betracht. Es wäre aber ein Irrweg – und das nicht nur aus Gründen der Definition.

Rund 100.000 Soldaten hat Russland an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen. Sie könnten bald die schleichende Invasion fortsetzen, die Moskau 2014 mit der Annexion der Krim begonnen hat. Die USA und die EU zeigen keinerlei Bereitschaft zu einer militärischen Konfrontation. Wirtschaftssanktionen sind eine weniger heikle Strafe.

Den russischen Bären aus Swift zu werfen, ist eine beliebte Drohung. Vergangene Woche lobte der angeschlagene britische Premierminister Boris Johnson diese Form des Freundschaftsentzug als "eine potente Waffe". Einen Tag später forderte die Europäische Zentralbank EU-Kreditinstitute auf, sich auf diese Möglichkeit vorzubereiten. In den USA l wurde ein Gesetzentwurf vorgelegt, der die Umsetzung ermöglichen soll.

Swifts vollständige Bezeichnung lautet "Society for Worldwide Interbank Telecommunication". Schon die begriffliche Spannweite verdeutlicht, wie groß die Ächtung wäre, sollte Russland tatsächlich rausgeworfen werden. Allerdings wird auch die Schwäche der Vorgehensweise deutlich. Erstens ist Swift kein vollwertiges Zahlungsnetz. Auch ist der Verbund nicht, wie manchmal behauptet, ein reines Übermittlungssystem. Wohl besteht sein zentraler Nutzen in rund 42 Millionen verschlüsselten Anweisungen, die 11.500 Nutzer in 200 Ländern täglich austauschen, um Zahlungen zu koordinieren. Aber dieser Austausch verkörpert etwas viel Größeres: nämlich gegenseitiges Vertrauen auf der Grundlage gemeinsamer Standards.

Abschreckende Wirkung

Ein Ausschluss Russlands aus Swift würde Russland nicht finanziell isolieren, wie die Befürworter behaupten. Er wäre aber auch nicht sinnlos, wie die Gegner postulieren. Die Strafe würde nach den Worten von Harley Balzer, emeritierter Professor an der Georgetown University in den USA, "eine abschreckende Wirkung" haben und einige westliche Banken von Russland-Geschäften abhalten. Andere würden nach wie vor Zahlungen mit russischen Geschäftspartnern senden und empfangen.

Russlands eigenes Zahlungssystem ist weitgehend auf das Inland beschränkt. Grenzüberschreitende Geschäfte würden wahrscheinlich über E-Mail oder anachronistische Telexe oder Faxe abgewickelt. Nach Auffassung russischer Geschäftsleute wäre dies zwar umständlich, langsam und nicht besonders sicher, es würde aber in den meisten Fällen funktionieren.

Es gibt einen zweiten Punkt, der durch den vollständigen Name von Swift verdeutlicht wird: Es handelt sich nämlich um eine genossenschaftlich organisierte Gesellschaft mit Sitz in Belgien – und nicht um eine US-Bank oder eine staatliche Einrichtung. Somit ist sie dem EU-Recht und den eigenen Mitgliedern unterstellt, nicht aber US-Präsident Joe Biden oder dem Kongress. Wenn die USA Russland aus Swift werfen wollen, dann müssten sie Druck auf die EU und auf die nicht-russischen Swift-Mitglieder ausüben.

Auf diese Weise wurde 2012 auch der Iran ausgeschlossen. Durch andere Sanktionen war der Staat im Nahen Osten zu diesem Zeitpunkt bereits finanziell isoliert. Das ließ den Schritt weitaus gravierender erscheinen, als er tatsächlich war. Russland dagegen ist weitaus stärker vernetzt.

Die Bereitschaft der Europäer zu einem Swift-Ausschluss wird davon abhängen, wie zielgerichtet und blutig eine erneute russische Invasion verliefe. Deutschland wird kaum daran interessiert sein, die Zahlungen für russisches Importgas zu kappen. Russlands Energieriese Gazprom pumpte im Jahr 2020 Erdgas im Wert von schätzungsweise 18 Mrd. Euro nach Europa.

Sanktionen gegen Banken verschärfen

Wollten die USA diesen Handel drosseln, so könnten sie dies einseitig und direkt durch Sanktionen gegen Banken tun. Fünf große staatliche Banken sind bereits von Sanktionen "geringer Intensität" betroffen, wie Maria Shagina, Gastwissenschaftlerin am Finnish Institute of International Affairs, es beschreibt. Dazu gehören die Sberbank und die VTB mit einem Bilanzvolumen von zusammen über 800 Mrd. Dollar. Personen und Unternehmen mit Geschäftsbeziehungen zu den USA dürfen nicht in diese fünf Geldinstitute investieren, sofern es sich um mehr als Kredite mit 14 Tagen Laufzeit handelt.

Außerdem könnten die USA auch private Banken in die Sanktionen einbeziehen und somit den Geltungsbereich erweitern. Washington könnte weltweit tätigen Banken verbieten, bei ausgewählten russischen Instituten Dollar gegen andere Währungen, einschließlich Rubel, zu tauschen. Russland hat zwar seine Fremdwährungsgeschäfte in Dollar gezielt zurückgefahren, doch machten sie im Jahr 2020 immer noch mehr als die Hälfte des Gesamtvolumens aus, sagt Shagina. Dollars werden am besten in New York gehandelt. Und Banken, die dort versuchen wollen, US-Sanktionen zu umgehen, sollten sich in Acht nehmen.

"Weil so viele grenzüberschreitende Operationen in Dollar abgewickelt werden, würden einseitige US-Sanktionen etwa 75 Prozent der Summe aller US-amerikanisch-europäischen Sanktionen ausmachen", schätzt Brian O'Toole, Senior Fellow beim Atlantic Council, einem Thinktank in Washington.

Wenn also eine Sanktion mit einer atomaren Option vergleichbar ist, dann wäre es die Sperrung von russischen Geldtransaktionen mit dem allmächtigen Dollar über Institute, die mit den USA in Geschäftsbeziehungen stehen. Dies würde ungeachtet der russischen Gold- und Devisenreserven in Höhe von 630 Mrd. Dollar ernsthaften wirtschaftlichen Schaden anrichten. Die einfachen Russen würden sicherlich mehr leiden als Wladimir Putin. Doch leider kann es keinen chirurgischen finanziellen Eingriff gegen ihn und seine Mitstreiter geben. Im Sanktionskrieg gibt es nur schmutzige Finanzbomben.

Copyright The Financial Times Limited 2022

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