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Kommentar Warum die saudi-arabische Ölkrise so gefährlich ist

Das Satellitenbild zeigt Rauch, der über den getroffenen saudi-arabischen Ölanlagen aufsteigt
Das Satellitenbild zeigt Rauch, der über den getroffenen saudi-arabischen Ölanlagen aufsteigt
© Getty Images
Eigentlich haben Saudi-Arabien, Iran und die USA kein Interesse an einer Eskalation des Konflikts nach den Attacken auf die saudische Ölanlagen. Doch leider sind die Protagonisten völlig unberechenbar. Gideon Rachman über das Risiko einer Eskalation der Ölkrise

Seit Jahrzehnten steht auf jeder Liste der globalen und geopolitischen Risiken „Angriffe auf saudische Ölanlagen“ weit oben. Jetzt ist der Ernstfall eingetreten.

Die gute Nachricht ist, dass die Welt weniger anfällig für einen Ölpreisschock ist als in den 1970er-Jahren, als das Ölembargo der Opec die Weltwirtschaft in eine Krise stürzte. Zudem haben alle beteiligten Großmächte – Saudi-Arabien, Iran und die USA – ein starkes Interesse daran, einen umfassenden Konflikt zu vermeiden.

Die schlechte Nachricht ist jedoch, dass die wichtigsten Entscheidungsträger in diesem Drama – US-Präsident Donald Trump, Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman und die Führung des Iran – allesamt eigenwillig und risikobereit sind.

Wahrscheinlich werden die USA, wenn sie an ihrer Behauptung festhalten, der Iran stehe hinter dem Angriff, militärisch reagieren. Falls das geschieht, gibt es keine Garantien dafür, dass der Konflikt nicht weiter eskaliert. Da die Attacken vom Wochenende bereits zu einem Anstieg des Ölpreises um 20 Prozent geführt haben, ist das Potenzial für weiteres Chaos auf den Märkten unübersehbar.

Weniger verwundbar bedeutet nicht unverwundbar

Seit die Opec 1973 ein Embargo verhängte , hat sich die Bedeutung des Öls vom Golf für die Welt ins kollektive Gedächtnis des Westens eingebrannt. Die Organisation hat damals für eine Vervierfachung des Ölpreises gesorgt und den Märkten sowie der Weltwirtschaft damit schweren Schaden zugefügt. Die Lektion daraus – dass die Stabilität der Ölversorgung aus dem Golf für die Weltwirtschaft von entscheidender Bedeutung ist – hat die heftige Reaktion des Westens auf die Invasion des Irak in Kuwait im Jahr 1990 befördert.

Fast 30 Jahre nach dem ersten Golfkrieg sind die westlichen Volkswirtschaften deutlich weniger anfällig für eine Unterbrechung der Ölversorgung aus der Region als früher. Durch den Anstieg der Schieferölproduktion in den USA betragen die amerikanischen Ölimporte aus Saudi-Arabien nur noch ein Drittel des Volumens wie 2003.

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Aber weniger verwundbar bedeutet nicht unverwundbar. Es gibt immer noch einen globalen Ölpreis, und Saudi-Arabien ist nach wie vor der weltweit führende Ölexporteur. Wenn also die saudische Versorgung unterbrochen wird, werden Verbraucher und Industrien auf der ganzen Welt die Auswirkungen schnell spüren.

Saudi-Arabien kann kein Interesse an einem Krieg haben

Kronprinz Mohammed bin Salman
Kronprinz Mohammed bin Salman (Foto: Getty Images)
© Getty Images

Auch die Anfälligkeit saudischer Ölanlagen für Angriffe wurde am Wochenende demonstriert. Sollte sich bestätigen, dass die Attacken wie berichtet mit Drohnen erfolgten, ist das ein schockierender Beweis für die Tatsache, wie moderne Industrieanlagen mit billigen und weit verbreiteten neuen Technologien angegriffen werden können. Zudem müssen sich die Saudis um die Sicherheit ihrer Wasserversorgung sorgen. Das Königreich bezieht etwa die Hälfte seines Trinkwassers aus Entsalzungsanlagen, von denen eine bei einem Raketenangriff im vergangenen Juni ins Visier genommen wurde.

Das Bewusstsein der Anfälligkeit für weitere Angriffe sollte die Saudis davor bewahren, den Konflikt eskalieren zu lassen. Auch die soziale und politische Stabilität des Königreichs ist ein Faktor; die Herrscherfamilie hat schon lange Angst vor inneren Unruhen, die von der großen schiitischen Minderheit ausgehen könnte.

Trotz massiver Militärausgaben ist es Saudi-Arabien auch nicht gelungen, sich in einem brutalen Krieg im Jemen durchzusetzen – eigentlich ein viel weniger einschüchterndes Unterfangen als ein Konflikt mit dem Iran. Obwohl die Saudis glühende Verfechter der Trump-Politik des „Maximaldrucks“ auf den Iran sind, haben sie minimales Interesse an einem tatsächlichen Krieg.

Der Iran spielt mit dem Feuer

Auch Teheran hat ein starkes Interesse daran, einen totalen Konflikt zu vermeiden, der das Land der Feuerkraft seiner gut bewaffneten Nachbarn im Golf aussetzen würde – und vor allem amerikanischen Angriffen. In den letzten Monaten haben die Iraner eine Reihe von Provokationen inszeniert, darunter die Beschlagnahmung westlicher Öltanker im Golf und (wahrscheinlich) die Ermutigung ihrer Huthi-Verbündeten im Jemen, weiche Ziele in Saudi-Arabien zu attackieren.

Dieses Spiel mit dem Feuer interpretieren die meisten westlichen Iran-Beobachter als Versuch Teherans zu zeigen, dass man gegenüber Sanktionen nicht machtlos ist. Hinter den iranischen Aktionen könnte das Bemühen stehen, Druckmittel in die Hand zu bekommen, bevor die Gespräche mit den USA möglicherweise wieder aufgenommen werden.

Was Trump betrifft, so zeigen die jüngsten Aktionen des US-Präsidenten trotz seiner kriegerischen Rhetorik, dass er dem Iran einen diplomatischen Durchbruch verschaffen will. Trump hat seinen Sicherheitsberater John Bolton nicht zuletzt deshalb gefeuert, weil er ihm zu kriegslüstern war. Bolton hatte sich gegen Trumps Ansinnen gewandt, die amerikanischen Sanktionen gegen den Iran im Interesse der Aufnahme von Gesprächen zu lockern.

Wie verhält sich Trump in einer Krise?

Alle Seiten haben also wirtschaftliche und strategische Interessen, um es nicht zum Äußersten kommen zu lassen. Leider haben sich auch alle Seiten als unberechenbar, emotional und anfällig für Fehleinschätzungen erwiesen.

Saudi-Arabiens Prinz Mohammed hat mit dem Jemen-Krieg und der offensichtlichen Genehmigung des grausamen Mordes an dem Journalisten Jamal Khashoggi seine Neigung zu verheerenden Fehleinschätzungen bewiesen. Die Iraner sind, wenn sie tatsächlich den Angriff auf saudische Ölanlagen genehmigt haben, ein enormes Risiko eingegangen – mit Folgen, die sie nicht kontrollieren können.

Trumps Sprunghaftigkeit ist ausführlich belegt. Erst zerreißt er das iranische Atomabkommen, dann feuert er den Falken unter seinen Beratern – das weckt nicht gerade das Vertrauen, dass der US-Präsident weiß, was er tut. Boltons Rauswurf bedeutet auch, dass das Weiße Haus in die möglicherweise größte Sicherheitskrise der Trump-Jahre eintritt, ohne dass ein nationaler Sicherheitsberater vorhanden ist.

Seit der Wahl Trumps im Jahr 2016 haben sich Beobachter gefragt, wie sich der Präsident in einer echten außenpolitischen Krise verhalten würde. Wir sind dabei, es herauszufinden.

Copyright The Financial Times Limited 2019

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