Die Bundesregierung hat am 14. Oktober 2020 einen Entwurf für ein „Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts“ beschlossen. Dessen Kern sieht in Umsetzung einer EU-Richtlinie die Einführung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens vor. Damit soll eine Lücke im deutschen Sanierungsrecht geschlossen werden. Der Entwurf kommt angesichts seiner tiefgreifenden Änderungen einer Revolution gleich.
Anders als einige ausländische Rechtsordnungen kennt das deutsche Recht bislang kein allgemeines Sanierungsverfahren außerhalb eines förmlichen Insolvenzverfahrens. Sanierungsvorhaben sind bislang auf freiwillige Beiträge eines jeden relevanten Gläubigers angewiesen. Dies hat zur Folge, dass einzelne Gläubiger ein Sanierungsvorhaben blockieren können.
Unternehmen in Schieflage bleibt damit für eine operative oder finanzwirtschaftliche Restrukturierung oft nur der Gang zum Insolvenzgericht oder die „Flucht“ in ein Sanierungsverfahren unter ausländischen Rechtsordnungen – jeweils häufig verbunden mit erheblichen Kosten und sonstigen Nachteilen. Der Gesetzentwurf will hier mit einem Paradigmenwechsel Abhilfe schaffen.
Hohes Maß an Gestaltungsfreiheit und Flexibilität
Erklärtes Ziel des Entwurfs ist es, Schuldnern einen flexiblen, rechtssicheren und effizienten Rahmen für aussichtsreiche Sanierungsvorhaben zur Verfügung zu stellen. Die Schuldner sollen weitgehend frei darin sein, wann sie das Verfahren einleiten und welche Gläubigergruppen (Finanzgläubiger, Anleihegläubiger, Lieferanten, Kunden etc.) sie einbeziehen. Auch die Einbeziehung der Anteilseigner ist möglich.
Zentrale Zugangsvoraussetzung ist das Vorliegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Dieses Krisenstadium soll ausreichen, um Einschnitte in Gläubiger- und Anteilseignerrechte notfalls auch gegen deren Willen zu rechtfertigen. Bei der Verfahrenseinleitung ist keine gerichtliche Zugangskontrolle vorgesehen: Eine Anzeige des Schuldners beim zuständigen Gericht mit einem Restrukturierungskonzept genügt.
In der Regel wird es jedoch zu nachgelagerten gerichtlichen Prüfungen kommen, wenn der Schuldner konkrete Sanierungsinstrumente in Anspruch nehmen möchte. Ein Restrukturierungsberater mit u. a. überwachenden und prüfenden Aufgaben wird nicht automatisch bestellt, sondern obligatorisch nur in bestimmten Situationen.
Kontrollmechanismen und Mindeststandards
Als Gegenpole zu der weitgehenden Verfahrensautonomie der Schuldner sind verfahrensrechtliche Kontrollmechanismen und inhaltliche Mindeststandards im Interesse des Gläubigerschutzes vorgesehen. Entsprechend dem angelsächsischen Vorbild soll die Geschäftsleitung während eines Sanierungsverfahrens primär den Interessen der Gläubiger verpflichtet und diesen gegenüber bei Pflichtverletzungen direkt haftbar sein.
Forderungen aus Arbeitsverhältnissen sind aus dem Anwendungsbereich des neuen Verfahrens ausgenommen, müssen also weiter voll bedient werden. Ein Sanierungsverfahren wird in der Regel bei Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung oder bei Wegfall der Erfolgsaussichten des Sanierungsvorhabens vom Gericht aufgehoben.
Ein neuer Werkzeugkasten für Sanierungen
Gemeinsames Ziel der neuen Sanierungsinstrumente ist die nachhaltige Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Der Werkzeuge soll sich der Schuldner einzeln oder kumulativ bedienen können. Zentrales Instrument ist ein durch die Planbetroffenen anzunehmender Restrukturierungsplan. Forderungen und Rechte können auf diesem Wege inhaltlich umgestaltet, also insbesondere gekürzt werden. Stimmen die Gläubigergruppen jeweils mit einer qualifizierten Mehrheit von mindestens 75 Prozent der Forderungssummen zu, kann das Sanierungsvorhaben nach gerichtlicher Bestätigung verbindliche Wirkung auch für sich verweigernde Gläubiger entfalten.
Weitere Sanierungsinstrumente sind u. a. die Gewährung von Vollstreckungsschutz während der Sanierungsverhandlungen und die Möglichkeit der Beendigung bestimmter laufender Verträge. Die Sanierungsverfahren sollen nichtöffentlich ablaufen. Unerwünschte Beeinträchtigungen des operativen Geschäftsbetriebs können so vermieden werden.
Ein erstes Fazit
Die geplante Einführung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens ist zweifellos ein großer Wurf. Der Entwurf erscheint geeignet, seine ambitionierten Ziele zu erreichen und eine maßgebliche Weiterentwicklung der deutschen Sanierungskultur zu bewirken. Angesichts seines Umfangs und seiner Komplexität ist es nicht überraschend, dass hinsichtlich einiger Detailaspekte Diskussions- und Verbesserungsbedarf angemeldet wurde. Teilweise wird auch grundsätzliche Kritik, etwa von Spitzenverbänden der Kreditwirtschaft, geltend gemacht.
Wenngleich die Fachdiskussionen weiter auf Hochtouren laufen, so ist mit weitreichenden Änderungen im Gesetzgebungsverfahren nicht zu rechnen, da das Gesetz bereits zum 1. Januar 2021 in Kraft treten soll. Offenkundig ist es das politische Ziel, unmittelbar nach dem Auslaufen der noch bis zum Jahresende teilweise ausgesetzten Insolvenzantragspflicht das neue rechtliche Instrumentarium bereitzustellen, um die dann befürchtete Welle an Unternehmenskrisen bewältigen zu können.
Daniel Weiß und Markus Reps sind Rechtsanwälte und Sanierungsexperten im Frankfurter Büro der international tätigen Sozietät Hengeler Mueller.