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Gastkommentar Vergesst Facebook!

Seitdem Facebook seinen Newsfeed geändert hat, gelten von heute auf morgen neue Spielregeln – auch für Unternehmen, die die Plattform für ihr Marketing nutzen
Seitdem Facebook seinen Newsfeed geändert hat, gelten von heute auf morgen neue Spielregeln – auch für Unternehmen, die die Plattform für ihr Marketing nutzen
© dpa
Social Media dominiert unseren Alltag. Nirgendwo lässt sich schneller ein direkter Kontakt zwischen Unternehmen und Kunden herstellen. Trotzdem sollten Unternehmen die Relevanz und den Grund für ihre Aktivitäten auf den Plattformen hinterfragen

Am Anfang war alles gut. 2010 steckte Social Media noch in den Kinderschuhen und der Facebook Hype ging bei Unternehmen gerade los. Um Fans und Follower zu bekommen, konnten sie eine „Reach Block“ buchen, eine Anzeige direkt auf der Startseite von Facebook. So gewannen Unternehmen für ein paar Tausend Euro innerhalb eines Tages einen Haufen Fans. Facebook hat gut verdient, und die Unternehmen hatten ein großes Publikum, das jeden ihrer Posts gesehen hat. Ein super Kanal für nahe und direkte Kundenbeziehung.

Aber dann hat Facebook seinen Newsfeed mit dem berühmten Algorithmus eingeführt und von heute auf morgen die Spielregeln verändert. Ein Posting erreicht seitdem organisch nur noch einen sehr kleinen Teil der Fans. Es sei denn, es erzeugt hohes Engagement und animiert zu Likes und Kommentaren oder es fließt Geld.

Eine Beispielrechnung: Ein Unternehmen mit 50 Mio. Euro Jahresumsatz möchte auf Facebook und Instagram aktiv werden. Das Ziel: Kundenbindung und Neukundenakquise und natürlich Employer Branding – Mitarbeiter und Talents sind schließlich auch auf diesen Kanälen. Die Marketingabteilung wünscht sich viele Reaktionen auf die Beiträge. Bei Instagram ist wichtig, dass es neben Likes und Kommentaren viele Follower gibt. Dafür will das Unternehmen regelmäßig News aus dem Haus, über seine Produkte und über produktnahe Themen bringen.

Zahlen für jedes Posting

Um die Kanäle zu betreuen und auf Kommentare und Fragen von Nutzern zu reagieren, wird eine extra Position geschaffen. Insgesamt investiert unser Beispielunternehmen fünf Prozent des Jahresumsatzes für Marketing (2,5 Mio. Euro). Zehn Prozent davon fließen in Social Media (250 000 Euro). Ein durchschnittlicher Schlüssel für die Verteilung des Budgets sieht folgemdermaßen aus:

  • 12 Prozent Social-Media-Manager (30 000 Euro)
  • 8 Prozent Strategie und Beratung (20 000 Euro)
  • 20 Prozent Contentproduktion (50 000 Euro)
  • 55 Prozent Anzeigen / Paid Media (137 500 Euro)
  • 5 Prozent Auswertung und Reportings (12 500 Euro)

Über die Hälfte des Budgets muss investiert werden, damit der Content überhaupt gesehen wird. Wer dieselben Menschen ein zweites Mal erreichen möchte, muss auch ein zweites Mal Geld in die Hand nehmen. Und damit ist noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht, denn es braucht zudem seine Zeit, bis die richtige Tonalität gefunden wird, die Nutzern und dem Algorithmus „gefallen“.

Unternehmen zahlen also für jedes einzelne Posting und werden verleitet, ihre Sprache und Inhalte so anzupassen, dass sie bei Facebook möglichst viel Reaktionen hervorrufen. Für Lifestyle-Marken mag das passen. Für Unternehmen, die eher sachliche Inhalte transportieren ist es eine schwierige Situation. Passt eine emotionsgeladene Kommunikation zu jedem Unternehmen? Und erreicht es so überhaupt noch die richtige Zielgruppe?

Erfolg in sozialen Netzwerken wird gemeinhin an der Anzahl von Likes bewertet. Im Hinblick auf geschönte Reichweiten von Video Ads und die zahlreichen Möglichkeiten, unechte Fanzahlen und Likes zu kaufen, muss man sich fragen: Sind Likes ihr Geld wirklich wert? Ich beobachte, dass viele Unternehmen vergessen haben, wieso sie eigentlich einmal angefangen haben, Social Media zu nutzen: nicht wegen der Likes, sondern zum Aufbau und Pflege einer engeren Kundenbeziehung.

Eigene Apps statt Geld für „Likes“

Eine Gegenrechnung: Das Unternehmen beschließt, sein Social-Media-Budget in Höhe von 250 000 Euro stattdessen in eine App zur Stärkung der Kundenbindung zu investieren. Neukunden werden über Produkte und das Unternehmen informiert. Für Bestandskunden gibt es digitalisierte Kundenservices, die Lösungen für die häufigsten Fragen und Probleme bieten. Personalisierte Push-Benachrichtigungen informieren über Angebote und Neuheiten. In diesem Fall sieht die Kalkulation so aus:

  • 70 Prozent Kreation und Programmierung (175 000 Euro)
  • 15 Prozent Contentproduktion (37 500 Euro)
  • 10 Prozent Anzeigen / Paid Media (25 000 Euro)
  • 5 Prozent Auswertung und Reportings (12 500 Euro)

Der größte Teil des Budgets wird für die Entwicklung und den Betrieb der App aufgewendet. Mit 175 000 Euro liegen diese Kosten im unteren Bereich. Je nach Funktionsumpfang reicht es aber für ein MVP (Minimum Viable Product). In den Folgejahren kann man mit so einem Budget eine solide Weiterentwicklung und Optimierung finanzieren. Um Nutzer zu gewinnen, wird die App mit zehn Prozent des Marketingbudgets gezielt beworben. Hier bieten sich „App Install Ads“ auf Facebook, Instagram und Google an. Die Klickpreise lassen sich so optimieren, dass sie ein regelmäßiges Grundrauschen in einer definierten Zielgruppe erzeugen. Wenn der Service der App gut ist, bleiben die Nutzer und können fortan beispielsweise über Push-Nachrichten jederzeit akiviert werden.

Ich rate Unternehmen, eigene digitale Plattformen, Tools und digitale Services zu entwickeln. Schaffen Sie relevante Kanäle und machen Sie Ihre Kunden zu aktiven Nutzern. Generieren Sie Registrierungen und Newsletter-Anmeldungen. Bringen Sie Ihre Zielgruppe dazu, sich Ihre App herunterzuladen. Sammeln Sie nicht einfach Likes, Follower oder Fans. Nutzen Sie soziale Medien als strategischen Werbekanal. Schalten Sie dort Ads und führen Sie die Nutzer auf direktem Weg in Ihre eigenen Kanäle. Denn diese Kanäle gehören Ihnen.

Niemand kann Ihnen hier die Nutzer wieder wegnehmen und niemand außer Ihnen entscheidet, welche Inhalte und Ansprache die „relevanteste“ ist. Die Nutzer haben sich nicht grundlos entschieden, mit Ihnen zu interagieren. Vielleicht ja gerade, weil Sie nicht reißerisch, sondern einfach interessant sind. Lassen Sie sich nicht von Likes, Followern und einem Algorithmus blenden. Seien Sie smart und besinnen Sie sich auf Ihr eigentliches Ziel: eine direkte, nahe Beziehung mit Ihren Kunden.

Burkhard Müller ist Head of Digital bei der Designagentur Mutabor in Hamburg.

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