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Timo Pache Verbote verboten!

Lebensmittel an der Supermarktkasse
Waren an der Supermarktkasse: Agrarminister Özdemir will Werbung für ungesunde Lebensmittel verbieten
© IMAGO / mix1
Süßigkeiten, Ölheizungen, Verbrennerautos - alles soll untersagt werden. Dabei schürt die Politik mit Kulturkämpfen eher den Widerstand

Kürzlich an der Supermarktkasse in Berlin Mitte, ein Bild, das aussah wie ein stiller Protest: links die Wand mit Schulsachen, Din-A5-Hefte liniert und kariert, mit und ohne Rand, Klebestifte, Zirkel, Filz- und Buntstifte. Rechts ein großer Korb mit Corona-Schnelltests, jetzt besonders günstig. Und mittendrin in diesem Korb: ein Überraschungsei, bunt und grell und einsam. Wahrscheinlich Schmuggelware, von einem Vater oder einer Mutter spät im Einkaufswagen entdeckt und schnell zurückgelegt. In jedem Fall aber eine kleine subversive Erinnerung an alte Zeiten. Als der Weg zur Supermarktkasse links und rechts noch hoch bis zur Schulter vollgestopft war mit den Errungenschaften der Süßwarenindustrie.

Sicher, man vermisst sie nicht, die Schokoriegel, Bonbons, Brausestangen und Gummibärchen – erst recht nicht als Eltern kleiner Kinder. Aber es fällt auf, wenn sich doch noch mal so ein Relikt aus der eigenen Kindheit in die letzten Regalmeter vor der Kasse verirrt. Und ich musste unweigerlich an Verbraucherschutzminister Cem Özdemir denken, der in dieser Woche seine Initiative für ein Werbeverbot vorstellte. Und an Volker Wissing, der kurz vor knapp einen Streit um das längst beschlossene EU-Zulassungsverbot von neuen Autos mit Verbrennermotor ab 2035 losgebrochen hat. Und an Robert Habeck, aus dessen Wirtschafts- und Klimaschutzministerium diese Woche Pläne bekannt wurden, schon ab 2024 den Einbau neuer Gas- und Ölheizungen zu verbieten.

Plötzlich hat das Land ein neues Thema: Verbote, Verbote, Verbote. Fast macht es den Eindruck, als seien die zuständigen Minister der Ampelkoalition den permanenten Ausnahmezustand von Krieg und Krise leid oder angesichts voller Gasspeicher etwas unterausgelastet und jetzt ganz froh, das Land mal mit ein paar neuen Themen und Ideen zu beglücken. Ein bisschen Ablenkung und Selbstbeschäftigung tut ja auch mal ganz gut. Also dann, was bringen eigentlich Verbote?

Verbote können sinnvoll sein

Zunächst einmal: Verbote sind ein reguläres Mittel der Politik, genauso wie Pflichten, Vorschriften, Regulierungen und Steuern. Es hat sie immer wieder gegeben, das berühmteste und erfolgreichste vielleicht: das weltweite Verbot von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) in Sprühdosen und Kühlschränken Ende der 80er-Jahre mit dem Montrealer Protokoll. Es trug und trägt dazu bei, das Loch in der Ozonschicht wieder zu schließen.

Verbote können, auch dafür steht das FCKW-Beispiel, ein Treiber für Innovationen sein. Wenn Unternehmen etwa wissen, dass eine bestimmte Technologie in absehbarer Zeit nicht mehr erlaubt sein wird, werden sie alles daransetzen, Alternativen zu entwickeln. Bei Sprühdosen und Kühlschränken hat das ziemlich gut geklappt – niemand kommt heute auf die Idee, wieder für FCKW im Haarspray zu demonstrieren.

Die Frage ist nur: Gilt dieses Vorbild auch für Verbrennermotoren, Öl- und Gasheizungen oder die Werbung für Süßigkeiten und anderes ungesundes Zeug? Und falls nein, wie wirken die Verbote dann? Der Reihe nach.

Für das Werbeverbot, das die Ampelparteien tatsächlich im Koalitionsvertrag vereinbart haben, gibt es ein anderes Vorbild – das Werbeverbot für Zigaretten. Tatsächlich ist der Zigaretten-Konsum in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zurückgegangen, was sich langfristig hoffentlich auch in den Gesundheitsausgaben niederschlagen wird. Allerdings: Wo etwas verboten wird, entwickeln sich immer Ausweichmöglichkeiten und Gegenströmungen. Die Tabakindustrie hat in den vergangenen Jahren – auch das eine Innovation – zahlreiche neue Produkte entwickelt, um die Nikotinsucht zu befriedigen, mit deutlich geringeren Risiken für die Gesundheit. Und eine Studie der Universität Düsseldorf kam vor einigen Wochen zu dem Ergebnis, dass erstmals seit Jahren der Anteil von Jugendlichen, die regelmäßig Tabak rauchen, wieder stark steigt. Und das trotz eines Werbeverbots, das schon seit Jahren gilt.

Wahrscheinlich gilt für Tabak, Alkohol, Süßigkeiten und alle anderen Sünden: Es gibt gesellschaftliche Trends und Vorlieben, die lassen sich bremsen und einhegen, aber letztlich bahnen sie sich ihren Weg wie Wasser. Verbote sind Teil der Regulierung, sie ersetzen aber keine Kommunikation über Gefahren und Schäden.

Ist das Verbot für Gas- und Ölheizungen wirklich das klügste Mittel?  

Beim angestrebten Verbot von Öl- und Gasheizungen ist die Lage komplizierter. Es ist ja weitgehend unbestritten, dass Heizen mit Öl und Gas keine große Zukunft haben kann, wenn man in den kommenden 20 Jahren den CO2-Ausstoß in Deutschland auf praktisch null absenken will. Zudem gibt es mit neuen Technologien wie Solarthermie, Geothermie und Wärmepumpen etliche Alternativen, die auch nicht allein in supergedämmten Neubauten funktionieren.

Hier ist doch eher die Frage: Ist ein plötzliches Installationsverbot wirklich das klügste Mittel der politischen Durchsetzung oder gäbe es nicht bessere Alternativen? Die Antwort lautet wohl: Eher nein, mit so einem Verbot tut sich die Koalition nicht wirklich einen Gefallen. Denn die natürliche Ausweichreaktion wird doch jetzt sein, sich möglichst schnell einen neuen Öl- oder Gasbrenner in den Keller zu bauen, der dann noch 20 Jahre unbehelligt seine wärmenden Dienste tun kann. Das Verbot wird die gute Absicht dahinter zu einem Gutteil wieder aushebeln.

Zumal der Markt in der aktuellen Lage ohnehin boomt und das größte Problem ja derzeit ist, überhaupt eine Wärmepumpe und den dazu passenden Installateur zu finden. Hinzu kommt der wirtschaftliche und soziale Aspekt: Die Preise für neue Geräte und deren Installation gehen so durch die Decke, dass die groß verkündete Wärmewende vor allem ein Projekt für jene werden wird, die es sich leisten können. Zwar hat Habecks Ministerium eilig weitere Zuschüsse für Haushalte mit kleinerem Budget angekündigt – aber das kommunikative Desaster des Verbots ist bereits angerichtet.

Verbote funktionieren dann, wenn der Rahmen stimmt, wenn die Alternativen erkennbar sind und die Umsetzung realistisch ist. Wenn das nicht der Fall ist, führen Verbote zu Ablehnung und Ausweichreaktionen. Genau das werden wir in den kommenden Wochen und Monaten sehen.

Und das gilt auch für die Diskussion um ein Zulassungsverbot für Verbrennerautos ab 2035. Hier ist die Lage sogar besonders absurd, weil die Industrie inzwischen längst verstanden hat, dass sie die alten Motoren aufgeben und neue Elektromodelle entwickeln muss. Das Verbot eröffnet erst die Möglichkeit eines Kulturkampfes, den es ohne Verbot wahrscheinlich so gar nicht gegeben hätte. Weil Preise, Regulierung und das Angebot ohnehin die Richtung vorgegeben hätten.

Beim Verbrennerverbot gibt es auch eine soziale Komponente

Stattdessen provoziert es Unwillen und Widerstand und lenkt die Aufmerksamkeit auf etliche Ungereimtheiten in der schönen neuen Elektromobilitätswelt: Die zweifelhaften Umstände, unter denen die Rohstoffe für die Batterien gefördert und verarbeitet werden; die technischen Unzulänglichkeiten und Widersprüche der neuen Modelle (je größer die Autos, desto mehr Batterien, zugleich aber auch umso schwerer und damit ineffizienter die Gesamtbilanz der Fahrzeuge).

Und auch hier stellt sich die soziale Frage: Gibt es eigentlich ausreichend Angebote für den Massenmarkt, also Elektroautos in der Preisklasse zwischen 20.000 und 40.000 Euro, die sich für mehr als zwei Personen und den Transport einer Kiste Bier eignen? Eher schwierig, erst recht, wenn man sich die Palette deutscher Hersteller anschaut. Das neueste Angebot: Der neue ID.Buzz von VW, die Elektroversion des alten Bullis: für knapp 70.000 Euro in der Basisversion. Das Gefährt ist also eher etwas für die zu 150 Prozent-Überzeugten.

Was aber wäre die Alternative zum Verbot (denn wir haben ja schließlich nicht ewig Zeit mit dem Kampf gegen die Klimakrise)? Anreize, positive wie negative. Positive über Zuschüsse und Subventionen, wie es jetzt die Amerikaner vormachen – ganz viel Geld auf ein Ziel etwa im Inflation Reduction Act. Den Rest lässt man Unternehmen und ihre Kunden unter sich aushandeln. Und negative Anreize durch Regulierung, höhere Preise und höhere Steuern, auch dieses Instrument hat sich bewährt.

Verbote sind eine Kapitulation. Das Eingeständnis des Scheiterns, dass man mit Erklärungen und Kommunikation, mit Anreizen und einer umsichtigen Planung nicht weiterkommt. Genau das aber – Kommunikation, Planung, Anreize – sollte das Kerngeschäft von Politik sein. Insofern fallen Verbote in der Politik immer auf ihre Urheber zurück.

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