Mit dem Eingreifen der USA hat der Krieg zwischen dem Iran und Israel eine neue Eskalationsstufe erreicht. Ökonomen befürchten massive Folgen für die Weltwirtschaft. „Mit dem Kriegseintritt der USA scheint eine Verhandlungslösung unrealistisch“, sagte Samina Sultan, Senior Economist am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), zu Capital. „Die Lage ist sehr volatil und allein diese Unsicherheit lässt den Ölpreis steigen.“
Nachdem die USA in der Nacht auf Sonntag mit mehreren Bombenangriffen auf iranische Atomanlagen in den Krieg eingegriffen hatten, stieg der Ölpreis für die Nordseesorte Brent kurzzeitig um etwa 5,7 Prozent auf 81,40 Dollar pro Barrel. Die Börsen reagierten vergleichsweise gelassen. „Auf dem Parkett hoffen aktuell alle, dass der US-Militärschlag ein einmaliges Ereignis bleibt und dass die Reaktionen des Iran nicht besonders heftig ausfallen werden“, sagt Thomas Altmann vom Broker QC Partners der Nachrichtenagentur Reuters.
Weltweit gaben die Aktienindizes nur leicht nach. Gold, das Anleger in Krisen besonders gerne kaufen, verbilligte sich am Montag sogar etwas – möglicherweise, weil Marktakteure in den zerstörten iranischen Atomanlagen ein geringeres geopolitisches Risiko sehen. „Es ist wohl auch ein Zeichen der Zeit, in der wir leben, dass ein US-Angriff auf nukleare Einrichtungen nicht sofort zu Ausverkäufen und Panik auf den Finanzmärkten geführt hat“, schrieb Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING-Bank. Selbst der Bitcoin erholte sich nach seinem Kurseinbruch vom Wochenende.
Straße von Hormus: Neuralgischer Punkt des Welthandels
Die Anleger haben allerdings ihre Augen besonders auf die Straße von Hormus und den steigenden Ölpreis gerichtet. „Die Straße von Hormus verkörpert die Verwundbarkeit unserer globalisierten Energieversorgung“, sagte Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Die nur 50 Kilometer breite Meerenge zwischen Iran und Oman gilt als neuralgischer Punkt des Welthandels, täglich passieren 21 Millionen Barrel Öl und ein Drittel des global gehandelten Flüssigerdgases die Stelle. „Die Konzentration dieser Energieströme auf einen einzigen Durchgang macht deutlich, wie fragil die Fundamente unserer Energiesicherheit sind“, sagte Kemfert. Die Lehre müsse sein, die Energiewende in Deutschland voranzutreiben.
Auch Lisandra Flach, Leiterin des Ifo-Zentrums für Außenwirtschaft, sieht erhebliche Folgen einer Blockade der Straße von Hormus oder einer Eskalation des Konflikts für die Weltwirtschaft. Zwar seien die deutschen Importe selbst kaum betroffen, aber die höheren Ölpreise und deren Auswirkungen auf globale Wertschöpfungsketten würden auch die deutsche Wirtschaft treffen: „Höhere Ölpreise führen zu steigenden Produktionskosten, verteuern Importe und treiben die Inflation an.“
Sollte die Straße von Hormus für längere Zeit gesperrt werden, könnte ein Fünftel der globalen Rohölproduktion fehlen, sagt Klaus-Jürgen Gern, Leiter der Abteilung „Global Economic Outlook“ am Institut für Weltwirtschaft Kiel. „Dann würde wohl der Ölpreis drastisch steigen, um Angebot und Nachfrage in Einklang zu bringen und eine Weltrezession die Folge.“ Die bisher moderate Reaktion der Märkte zeuge jedoch davon, dass eine Sperrung für nicht besonders wahrscheinlich gehalten werde.
Wie hoch der Ölpreis genau wird, treibt Anleger und Analysten um. Der Preis für die Nordseesorte Brent könne binnen kurzer Zeit auf 120 Dollar pro Barrel steigen, schreiben die Ökonomen Robin Winkler und Marc Schattenberg von Deutsche Bank Research. Die Folgen wären höhere Einfuhrkosten und eine steigende Inflationsrate. „Die derzeitige Konjunkturerholung würde abbrechen“, schreiben Winkler und Schattenberg.
Auch der Iran braucht die Meerenge
Ähnlich sieht das ING-Volkswirt Brzeski. „Selbst wenn es möglich wäre, einige Ströme umzuleiten, würde eine wirksame Blockade von Hormus zu einer dramatischen Veränderung der Aussichten für Öl führen und den Markt in ein tiefes Defizit stürzen“, so Brzeski. „Die freien Opec-Produktionskapazitäten würden in dieser Situation nicht helfen, da der Großteil davon im Persischen Golf liegt. Also müssten auch diese Ströme durch die Straße von Hormus fließen.“ Bei einer längeren Blockade fürchtet er sogar einen Ölpreis von 150 Dollar pro Barrel für die Sorte Brent.
IW-Ökonomin Sultan hält Rückschlüsse auf die deutsche Konjunkturentwicklung für verfrüht. „Das hängt davon ab, wie lange der Krieg dauert“, sagt Sultan. „Klar ist aber auch: Stimulierend ist es für die Wirtschaft nicht.“ Eine komplette Blockade der Straße von Hormus hält sie für unwahrscheinlich, denn auch der Iran selbst transportiert Öl durch die Meerenge. „Die militärische Präsenz der USA dürfte eine vollkommene Blockade zudem erschweren. Wahrscheinlicher sind gezielte Angriffe auf einige Tanker oder auch die Ölinfrastruktur – und auch das hätte schon Auswirkungen.“
EZB-Zinssenkung im Juli „eindeutig vom Tisch“
Einen kurzfristigen Preisanstieg würde die Weltwirtschaft wohl verkraften und mit moderatem Wachstum fortfahren, sagte Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank. „Hält der Energieschock jedoch ein halbes Jahr oder länger an, ist mit einer globalen Stagflation oder gar Rezession zu rechnen.“
In Europa dürfte die neue Situation die Zentralbanken vor Herausforderungen stellen. De la Rubia rechnet damit, dass die US-Notenbank Fed und die EZB die Zinsen auch bei einer Rezession nur geringfügig senken würden, „aus Furcht davor, dass sie an Glaubwürdigkeit beim Kampf gegen die Inflation verlieren“. Auch ING-Volkswirt Brzeski schrieb: „Eine Zinssenkung im Juli ist nun eindeutig vom Tisch, und selbst die Entscheidung im September könnte sich als umstrittener erweisen, als nach der Entscheidung im Juni erwartet wurde.“