Was genau hat die US-Notenbank Fed in dieser Woche getan? Von einem Wendepunkt ist die Rede, einem Meilenstein. Die „Financial Times“ sprach von einem „der wichtigsten Momente in der Reaktion der US-Zentralbank auf die weltweite Pandemie“.
Ein Meilenstein übrigens, der kaum für Überraschung oder gar ein Beben sorgte, weil alles klar und transparent kommuniziert wurde, ja, weil die Teilnehmer auf den Märkten gut vorbereitet worden waren: Unmittelbar nach der Entscheidung stiegen die Renditen kurzlaufender US-Staatsanleihen, die sonst sehr nervös reagieren, nur geringfügig an, die Aktienindizes stiegen auf neue Höhen. Der Dax kletterte sogar wieder über 16.000 Punkte.
Die Botschaft von US-Notenbankchef Jerome Powell hatte zwei Teile: Erstens, wir beginnen den Weg zurück in die Normalität. Das Programm zum Anleihekaufprogramm wird zurückgefahren, und zwar schon im November, von 120 auf 105 Mrd. Dollar, im Dezember dann wieder 15 Mrd. Dollar weniger. (Wenn es in 15-Milliarden-Schritten weitergeht, wäre das Programm im Juni 2022 beendet.)
Der zweite Teil: Die Zinsen bleiben, wo sie sind, denn die Inflation, nun, die ist zwar hoch, aber nur vorübergehend. Die Notenbank ist sich jedoch nicht mehr ganz so sicher: „Inflation is elevated, largely reflecting factors that are expected to be transitory."
Wie lange geht die Party noch?
Wem diese Nuancen zu kompliziert sind, nun, für den wechseln wir mal in eine beliebte Metapher: die Party. Stellen Sie sich also eine Party vor, und es geht seit einiger Zeit darum, wie lange noch Alkohol ausgeschenkt wird.
Die Fed hat nicht gesagt, dass die Party vorbei ist. Sie hat auch nicht gesagt, dass es keinen Alkohol mehr gibt. Es ist etwa 23 Uhr, und seit 21 Uhr hörte man auf der Tanzfläche, dass man nachdenke, irgendwann nach Mitternacht, ganz vielleicht, weniger auszuschenken. Was passiert mit einer Party? Sie geht weiter. Klar.
Nun also wird es konkreter: Ab sofort gibt es weniger Alkohol. Aber immer noch ist reichlich da, und das Versprechen bleibt: Es bleibt genug Stoff. Und deshalb haben nun alle, so kurz nach 23 Uhr, das Gefühl, dass es weitergeht, obwohl es zu Ende geht. Was den Feiernden auch noch unklar ist: Wie war das nochmal, dieses Gefühl ohne Tanz und Alkohol? Und wie schlimm wird der Kater? In dieser Welt der verschachtelten Konjunktive und vagen Szenarien leben wir ja seit einiger Zeit.
Wenn es tatsächlich so käme (bisher kam auf dem Weg Richtung Normalität immer etwas dazwischen, eine neue Schuldenkrise oder eine Pandemie), würde eine kleine Ära enden – eine Phase, in der seit Ausbruch der Finanzkrise in immer neuen Programmen und Ausnahmezuständen die Schulden der Staaten in die Bilanzen der Notenbanken wanderten. Bei der Fed schwoll die Bilanz auf 8,5 Billionen Dollar, die der EZB auf über 4 Billionen Euro.
Diese Notprogramme sind seit Jahren ein Hintergrundrauschen, das man eben nicht bewusst hört wie Party-Musik, eher wie Fahrstuhl- oder Kaufhausmusik. Immer da, aber nur halb im Bewusstsein.
Vage Erinnerungen an den Normalzustand
Verloren haben wir dafür das Bewusstsein, was eigentlich ein Normalzustand sein könnte, beziehungswiese wie geschmeidig die Mechanismen des Marktes auch ohne Notprogramme laufen, wie Kredite vergeben werden, wie das Kapital fließt, wie sich Preise bilden – weil das Preisgefühl eben in manchen Asset-Klassen abgestumpft oder unscharf geworden ist. Deshalb hat an den Finanzmärkten die Euphorie seit Jahren einen steten Begleiter: die Mulmigkeit. Und jeder Rekord ist zugleich ein nervöser Rekord.
Mit der Renaissance der Fiskalpolitik ist zum Spiel der Notenbanken ein weiteres hinzugekommen, das allerdings eng damit verbunden ist. Das Spiel heißt: Geld ist umsonst – und mit dem Schulden lässt sich sogar etwas verdienen. Auch dieses Spiel ist nicht absurd: In aller Welt finden Notenbanker und Ökonomen triftige Gründe, warum Sonder- und Notprogramme, seien sie geldpolitisch oder fiskalisch, notwendig sind. Mit Billionen stemmte man sich so seit 2009 durch eine Kette, ja eine Kaskade von Krisen. Nur wie alles aufhört, wie es beendet werden kann – das war immer unklar. Die Zeiten, in denen man in Krisen – wie nach 9/11 oder dem Dotcom-Crash – einfach die Zinsen senken konnte, sind lange vorbei.
Und was macht die EZB? Ihr Pandemie-Programm läuft weiter, wohl bis ins Frühjahr 2022. Die übrigen regulären Kaufprogramme werden sogar wohl bis 2023 laufen. Denn inzwischen hat die EZB einen ganzen Bauchladen von Kaufprogrammen, die unter kaum noch zu unterscheidenden Kürzeln und Akronymen liefen und laufen: Neben PEPP gab und gibt es ABSPP, CSPP, CBPP3 und PSPP. Bei Günther Jauch müsste ich passen, was sich dahinter verbirgt und vor allem, warum sie einmal geschaffen wurden.
Oder wie der scheidende Bundesbankpräsident Jens Weidmann in seinem Abschiedsbrief schrieb : „Die zahlreichen geldpolitischen Notmaßnahmen waren jedoch auch mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden und im andauernden Krisenmodus wurde das Koordinatensystem der Geldpolitik verschoben.“ Weidmann hatte wiederholt gesagt, was die Richtschnur aus der Sicht der Bundesbank ist: Man muss wissen, wie man wieder rauskommt – und vorbereitet sein. Zumindest letzteres scheint der Fed gelungen. In Europa wirken Weidmanns Worte nur noch wie ein Lagerfeuer.
Jetzt auch noch die Finanzierung des Klimaschutzes?
Die EZB verschiebt sogar noch aktiver und kreativer Koordinatensysteme, als die Kollegen in Amerika: Hier in Europa wollen Notenbanker das Klima mit retten, und im EZB-Rat soll bei den Strategiediskussionen sogar die Biodiversität ins Spiel gebracht worden sein. Ein Blumen-und-Bienen-Bio-Programm (BBBP) – das wäre doch was!
Hier verbirgt sich eine reale Gefahr, weil man das ohnehin strapazierte Mandat der Notenbanken überfrachten würde. Denn beim Klimaschutz ließe sich der Ausnahmezustand ja bis 2050 konstruieren. Zumal eine Debatte über die Rolle der Zentralbanken, wie man in der Bundesbank leise lästert, gegenüber dem Weltuntergang keine Chance hat.
Was nicht heißt, dass die Milliarden, ja Billionen für den Klimaschutz nicht notwendig sind, im Gegenteil. Aber dafür muss eben staatliches und vor allem privates Kapital bereitgestellt werden – und es steht bereit, real und zumindest immer öfter rhetorisch. Die Zahlen liegen in immer neuen Dimensionen auf dem Tisch: Vier Billionen bis 2030 hat die Internationale Energieagentur genannt, für Deutschland haben die Berater von BCG und der BDI gerade die Summe von 860 Mrd. Dollar an zusätzlichen Investitionen in den Raum gestellt. 100 Milliarden pro Jahr, das kann kein Robert Habeck und auch kein Christian Lindner allein stemmen.
Mit Blick auf die COP26-Konferenz in Glasgow nannte ein Mann noch eine ganz andere Zahl, die ich bemerkenswert fand: 100 Billionen Dollar in drei Jahrzehnten. „Dies ist der Mindestbetrag an externer Finanzierung, der für einen nachhaltigen Energieschub in den nächsten drei Jahrzehnten erforderlich ist“, schrieb Mark Carney in der „Financial Times“ .
Der ehemalige Gouverneur der Bank of England ist inzwischen Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen für Klimapolitik und -finanzierung, und er hatte eine Botschaft: Your money matters . Auf dem Gipfel stellte er eine neue Allianz aus rund 450 Investoren, Banken und Versicherungen vor, die Glasgow Financial Alliance for Net Zero (GFANZ) – die zusammen über 130 Billionen Dollar gebietet. Und die Mitglieder haben versprochen, den Kampf gegen den Klimawandel in den Mittelpunkt ihrer Arbeit zu stellen.

„Dies ist keine weitere gut gemeinte, aber vage Verpflichtung zur Nachhaltigkeit“, sagte Carney. „So sehr wir es uns auch wünschen mögen, wir können nicht einfach einen grünen Schalter umlegen, um Nullemissionen zu bekommen. Wir müssen unsere gesamte Wirtschaft neu verdrahten.“ Die GFANZ-Mitglieder, hielt Carney fest, „lassen sich von den harten Zahlen der Umstellung auf Netto-Null leiten.“
Es gibt bereits Kritik und große Skepsis, ob GFANZ wirklich so groß und ernst gemeint ist. Man muss hoffen, dass auf eine solch entschlossene Ansage ebenso entschlossene Taten folgen, und das Kapital tatsächlich in diese Richtung, zum Ziel Netto-Null, fließt.

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