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Gastkommentar Thyssenkrupps riskante Rolle rückwärts

Thyssenkrupp-Zentrale in Essen: Konzernchef Guido Kerkhoff hat die geplante Aufspaltung des Industrieriesen abgeblasen – und setzt nun auf eine dezentralere Holdingstruktur
Thyssenkrupp-Zentrale in Essen: Konzernchef Guido Kerkhoff hat die geplante Aufspaltung des Industrieriesen abgeblasen – und setzt nun auf eine dezentralere Holdingstruktur
© dpa
Nach der gescheiterten Fusion der Stahlsparte mit Tata plant der Konzern den zweiten radikalen Kurswechsel innerhalb weniger Monate – und setzt nun wieder auf das Stahlgeschäft. Einen Weg aus der Dauerkrise weist die Kehrtwende nicht

Simon Mehler ist Direktor und Mitglied der Solution Group Maschinen- und Anlagenbau beim Interim-Management-Dienstleister Atreus.

Überraschend kommt dieser erneute Wendepunkt nicht: Thyssenkrupp muss sich neu erfinden und seine Struktur deutlich verändern. Nun soll die Zukunft des Ruhr-Konzerns in einer Holdingstruktur liegen, 6000 Arbeitsplätze sollen weg fallen, die hoch profitable Aufzugsparte an die Börse gebracht werden. Diese Gesundschrumpfung ist dabei eine der wichtigsten Voraussetzungen, um dem Traditionsunternehmen zu neuer Schlagkraft zu verhelfen.

Damit der Strategieschwenk – der zweite innerhalb weniger Monate – gelingt, müssen auf der Führungsebene alle an einem Strang ziehen. Auch ein in der Vergangenheit schwierig zu führender Aufsichtsrat muss geschlossen in eine Richtung gehen. Das bedeutet nicht, dass alle entscheidenden Akteure von Anfang an einer Meinung sein müssen, sondern dass eine getroffene Entscheidung auch gemeinschaftlich ins Ziel getragen wird. Dies war in der Vergangenheit nicht immer der Fall.

Ein permanentes Moving Target und eine Kultur des Misstrauens haben den Konzern destabilisiert, ein „Weiter so“ würde die aktuelle Situation nur zuspitzen. Positiv zu bewerten ist die neue Konstellation im Aufsichtsrat mit Martina Merz an der Spitze, einer klaren Idee, die den Konzernsparten mehr des Handlungsspielraums einräumt, und dem Mut der unternehmerischen Entscheidung. Konzernchef Guido Kerhoff steht nun vor der großen Aufgabe, den erneuten Strategiewechsel nach innen mit der gebotenen Transparenz zu stärken und die konsequente Umsetzung voranzutreiben. Einfach wird dies nicht. Schließlich hatte Kerkhoff immer wieder betont, wie wichtig ihm die bis zuletzt noch Aufspaltung ist.

Unsichere Wette auf die Zukunft

Prinzipiell ist ein solcher Richtungswechsel vermittelbar, wenn er nachvollziehbar und für die Stakeholder einleuchtend erläutert wird. Im Fall von Thyssenkrupp ist die zentrale Frage, was solch einen Strategiewandel innerhalb von so kurzer Zeit notwendig gemacht hat. Wenn die Zugeständnisse, die Thyssenkrupp gegenüber der EU-Kommission für die eigentlich geplante Fusion der Stahlsparte mit dem Wettbewerber Tata die wirtschaftlichen Vorteile überkompensieren und alle möglichen Synergien des Joint-Ventures mit Tata zu Nichte machen würden – wie es Kerkhoff darstellt –, ist eine Kehrtwende tatsächlich nicht nur wirtschaftlich sinnvoll, sondern ganz einfach unternehmerische Pflicht. Ob allerdings die neu ausgerufene Strategie Thyssenkrupp auch nachhaltig aus der Krise befördert, bleibt mehr als fraglich.

Die Abspaltung und der Börsengang der Aufzugsparte sowie strategische Partnerschaften in weiteren Bereichen wie Stahl, Anlagenbau oder Komponenten können den Weg in die richtige Richtung ebnen. Mit einem Verkauf beziehungsweise Teil-IPO des profitablen Aufzugsgeschäfts lässt sich einiges an Kapital erlösen. So ist die Aufzugssparte die innovative Cash Cow im Thyssenkrupp-Portfolio. Mit dem Verkauf des Tafelsilbers und dem versprochenen Re-Invest in das klassische Thyssenkrupp-Stahlgeschäft lässt sich Zeit überbrücken. Eine Umkehr der faktischen Realitäten lässt sich so allerdings nicht erreichen. Aus nachvollziehbaren Gründen hatte Kerkhoff noch im vergangenen Sommer deshalb ja genau das Gegenteil als strategischen Plan für die Zukunft verkündet: weg vom zyklischen und in bestimmten Zeiträumen toxischen Stahlgeschäft, hin zum werthaltigen und zukunftsorientierten Technologiebusiness.

Der schwedische Großaktionär Cevian, unter dem der Finanzexperte Kerkhoff grundsätzlich Rückendeckung genießt, dringt bekanntermaßen schon länger auf eine Neuausrichtung des Konzerns . Das strategische Kalkül, den Verkauf der Aufzugssparte zu forcieren, ist aus kurzfristiger Renditeorientierung durchaus nachvollziehbar. Eine Wette auf die Zukunft würde man jedoch auf dieser Basis wohl nicht abgeben.

Vorbild Siemens

Blickt man in den Süden des Landes, macht dort mit Siemens gerade ein anderer Traditionskonzern in ähnlicher Lage eine deutlich bessere Figur. Siemens und Thyssenkrupp verbindet beide, dass sie schwerfällige deutsche Industriekonzerne sind. Das Desinvestment von notleidenden Unternehmensteilen hat Siemens aber seit jeher deutlich besser beherrscht. Auch die Übergabe der Verantwortung in die operativen Bereiche und die Verkleinerung des Headquarters kann sich Thyssenkrupp von Siemens abschauen. Eine Veränderung des Portfolios muss dabei nicht mit Pauken und Trompeten erfolgen, sondern kann mit strategischem Weitblick und sorgfältiger Planung auch nahezu geräuschlos erfolgen – wie der Fall Siemens zeigt.

Gescheiterte Fusionen, wie etwa die von der EU-Kommission blockierte Zusammenlegung des Bahngeschäfts von Alstom und Siemens, haben den Konzern nicht im Mark erschüttert, sondern es ging zügig mit einem geordneten Plan B weiter. Auch wenn Siemens nicht das Paradebeispiel für Dynamik, schnelle Entscheidungswege und rasche Umsetzung ist, so hat es das Unternehmen doch geschafft, sich immer wieder neu zu erfinden. Von den ursprünglichen Aktivitäten ist nicht viel übriggeblieben – und Siemens ist für die Zukunft gut gerüstet.

Thyssenkrupp hingegen stand für Stahl – und steht nach dem Strategiewechsel wieder deutlich mehr für Stahl. Neuerfindung sieht anders aus.

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