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Gastbeitrag Softwareentwickler sind die neuen Unternehmensberater

Guillaume Princen
Guillaume Princen
© Stripe
Der digitale Wandel erfasst auch die Beraterbranche – sie muss um ihr Beratungsmonopol belangen. Guillaume Princen erklärt, warum der Einfluss von Softwareentwicklern auf strategische Unternehmensentscheidungen wächst

Unternehmensberatung ist heute ein gewinnbringendes Geschäft mit einem jährlichen Umsatz von 31,5 Mrd. Euro allein in Deutschland. Von Change Management und Strategieentwicklung über Coaching der Führungskräfte bis hin zur Prozessverbesserung reichen die Angebote. Wie Harvard Business Review kürzlich berichtet hat, steht die Branche allerdings – wie viele andere auch – vor grundlegenden Umwälzungen. Die Tage monatelanger Beratungseinsätze vor Ort in Unternehmen sind gezählt. In vielerlei Hinsicht demokratisiert das Internet das Beratungsmonopol auf Branchenexpertise und Best Practices.

Unternehmensberatungen werden natürlich nicht von heute auf morgen verschwinden. Firmen werden sie auch in den kommenden Jahren noch nutzen. Aber es gibt eine neue Generation von Experten, auf die sich viele zukunftsorientierte Unternehmen zunehmend verlassen. Wenn Unternehmen Hilfe bei ihren wichtigsten Herausforderungen benötigen, wenden sie sich heute oft an eine ausgewählte Gruppe von Praktikern, die sowohl hocheffektiv als auch hochtechnologisch arbeiten. Die Rede ist von Softwareentwicklern.

Jedes Unternehmen ist ein Technologieunternehmen

Mehr als ein Viertel der CEOs der Fortune 500 hat heute einen technischen Hintergrund. Und auch CIOs und CTOs haben in den letzten zehn Jahren immer mehr Verantwortung übernommen, wie Harvard Business Review weiter feststellt. Ähnliche Veränderungen finden auf allen Ebenen in Unternehmen statt: Software-Ingenieure und Menschen mit technischem Hintergrund aller Ebenen werden zunehmend für die strategische Unternehmensausrichtung herangezogen.

Aber was treibt diesen Wandel an? Eine Studie von Stripe liefert einige Hinweise. Trotz der großen Stichprobe von mehr als 1400 Mitarbeitern in 32 verschiedenen Branchen und fünf Ländern geben heute überwältigende 79 Prozent der Befragten an, für ein „Technologieunternehmen“ zu arbeiten. Diese Aussage machen auch Arbeitnehmer in der Bauindustrie, im verarbeitenden Gewerbe, im Bergbau und in anderen traditionellen Branchen.

„Software is eating the world“, so sagte es Marc Andreessen in seinem berühmten Zitat. Die Wirtschaft wird digital. Und in dieser neuen, technikgetriebenen Wirtschaft erlangen Entwickler nach und nach die Führungsfunktion. Stolze 81 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass interne Entwickler kompetenter als externe Berater sind, wenn es um Unternehmensentscheidungen geht. Und die Mehrheit der Befragten hat in den letzten fünf Jahren einen Anstieg des Inputs von Softwareentwicklern bei strategischen Unternehmensentscheidungen beobachtet.

Zukunft der Unternehmen

Unternehmen, die diese Tatsache ignorieren, werden es in Zukunft schwer haben. Und davon gibt es durchaus noch viele: Mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen (55 Prozent) haben in der Vergangenheit strategische Fehler gemacht, die auf unzureichenden Input von Entwicklern zurückzuführen waren. Dazu gehören eine falsche Produkt-Roadmap (39 Prozent), falsche Entscheidungen bei Einstellungen (37 Prozent), eine ineffektive Arbeitsteilung innerhalb des Unternehmens (36 Prozent), der Einsatz der falschen Lieferanten (33 Prozent) und die Schaffung überflüssiger Stellen (29 Prozent).

Da Technologie die Zukunft einer jeden Branche umfassend prägt, haben Entwickler nun Einfluss über ihre traditionellen Rollen hinaus. Bei Statista, einer Plattform für Daten und Statistiken, sind sie schon jetzt zentral für Geschäftsentscheidungen. Statista nimmt beim Einsatz neuer Technologien seine Entwickler in den Fokus. „Statista hat ein starkes Bewusstsein dafür, dass es entscheidend ist, wie einfach Lösungen zu integrieren sind. Wir sind stark technisch geprägt“, so Bill Bolls, Chief Product Officer bei Statista.

Eine Kultur der Zusammenarbeit und des Experimentierens

Die Gründe für den wachsenden Einfluss der Entwickler und ihre aufkommende Rolle als strategische Berater sind vielfältig. Neben dem Verständnis für wichtige Technologietrends bieten Software-Ingenieure ihren Unternehmen ein hohes Maß an analytischem, datengetriebenen Denken und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit an Projekten in Echtzeit, die bei traditionelleren Managern manchmal fehlen.

Entwickler sind an Umgebungen gewöhnt, in denen Zusammenarbeit und Offenheit einen höheren Stellenwert haben als Hierarchie. Viele bringen ihr Wissen in offene Communitys wie Stack Overflow und Github ein. Ende 2017 umfasste die Github-Community 24 Millionen Entwickler, die in 67 Millionen Repositories zusammenarbeiteten. Diese Ingenieure teilen ihre Erfahrung nicht nur innerhalb ihres Unternehmens, sondern auch mit der ganzen Welt.

Ein Teil dieses wachsenden Einflusses fußt natürlich auf dem Fachwissen selbst. In der Vergangenheit hat es gereicht, Lösungen von der Stange zu nutzen. Heute leben wir in einer Welt, die reich an hochtechnologischen Systemen und daraus gewonnenen Daten ist. Entwickler sind Experten in beiden Bereichen.

Gleichzeitig ist der Wettbewerb für Firmen so hart wie nie zuvor, und die Notwendigkeit, die Produktentwicklung zu beschleunigen und die Aktualisierungszyklen zu verkürzen, ist für Unternehmen von grundlegender Bedeutung. Software-Ingenieure schätzen die Bedeutung von A/B-Tests und kontinuierlichen Experimenten, die sich als enorm wertvoll erweisen können. Die Steigerung der Produktivität von Entwicklern kann dementsprechend einen stark positiven Einfluss auf das Unternehmen haben.

Hunderte Milliarden Euro liegen auf der Straße

Man sollte meinen, dass Unternehmen sicherstellen würden, dass sie ihre Entwickler richtig einsetzen, wenn es sich bei Ihnen um eine solch wertvolle Ressource handelt. Überraschenderweise ist das Gegenteil der Fall: Viele Unternehmen verschwenden immer noch ihr vorhandenes Software-Engineering-Talent für die Wartung überholter technischer Systeme oder die Beseitigung technischer Altlasten (52 Prozent).

Der durchschnittliche Entwickler arbeitet 41,1 Stunden pro Woche, aber fast die Hälfte der Zeit (17,3 Stunden) verbringt er wenig kreativ mit Wartung, Debugging und Refactoring. Und etwa vier Stunden pro Woche überarbeitet er schlechten Code, was fast 75 Mrd. Euro an Opportunitätskosten pro Jahr weltweit entspricht, basierend auf dem durchschnittlichen Entwicklergehalt pro Land. Fast 60 Prozent der Entwickler sind sich einig, dass dies übertrieben ist, und glauben, dass eine klare Priorisierung und Verantwortlichkeiten sowie langfristige Produktziele ihre Produktivität verbessern würden.

Technologie dringt in jeden Winkel unseres Lebens vor, aber viele Ingenieure sind heute noch immer mit einer Form von Wartung beschäftigt, wie sie die IT-Abteilungen vor Jahren in Zeiten der Passwort-Rücksetzung und E-Mail-Server plagte. Wir konnten ausrechnen, dass die verschenkte Produktivität sich auf mehr als 250 Mrd. Euro pro Jahr beziffern lässt. In den kommenden zehn Jahren, im Zeitalter von KI, dem Internet der Dinge und API-Diensten, lassen Unternehmen demnach 2500 Mrd. Euro an Wertschöpfung einfach auf der Straße liegen.

Entwickler werden Berater

Wie also können Unternehmen diese potenziellen Berater aus den eigenen Reihen besser einsetzen? Ein erster Schritt besteht darin, bei der Ausarbeitung der langfristigen Unternehmensstrategie jemanden mit technischem Hintergrund mit ins Boot zu holen. Das trägt dazu bei, dass Input der Entwickler frühzeitig und regelmäßig einfließt und letztendlich zu besseren Unternehmens- und Produktentscheidungen führt.

Zweitens ist es ratsam, Entwickler auf geschäftskritischen Projekten einzusetzen statt sie Server aufsetzen oder Speichersysteme überarbeiten zu lassen. Bei der Fülle an technischen Dienstleistungen, die heute auf dem Markt sind, können viele Technologien einfach ausgelagert werden. Zukunftsorientierte Unternehmen nutzen ihre Entwickler lieber, um völlig neue Geschäftsfelder aufzubauen, neue User Experiences zu schaffen oder Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, die ihre Unternehmen nachhaltig vom Markt differenzieren. Und sie setzen sie als strategische Berater ein.

Unternehmensberatungen werden auch in Zukunft sicher nicht verschwinden - allerdings werden gut geführte Unternehmen mehr und mehr Mitarbeiter einstellen, die einen technischen Hintergrund haben und das Internet in seiner ganzen Tiefe verstehen. Dies werden in erster Linie Softwareentwickler sein, die Systeme, Prozesse und Produkte entwickeln können, die die Entwicklung ihrer Unternehmen grundlegend beschleunigen. Und das ist ein Endergebnis, das wahrscheinlich auch jedem Unternehmensberater gefallen wird.

Guillaume Princen ist Head of Continental Europe beim Online-Bezahldienst Stripe

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