Siemens-Chef Roland Busch konnte am vergangenen Donnerstag eine glänzende Quartalsabrechnung für seinen Konzern präsentieren. Nur zwei hässliche Flecken verunzieren seine erfreuliche Bilanz: die schlechten Zahlen bei Siemens Energy, die eine hohe Abschreibung auslösen, und die hohen Kosten des Ausstiegs aus dem Russland-Geschäft. Allein 442 Millionen Euro setzt Busch im abgelaufenen Quartal für diesen Posten an. Insgesamt steigen die Kosten für den Abschied aus Russland damit auf weit über eine Milliarde Euro – selbst für einen so profitablen Konzern wie Siemens viel Geld. Die Belastung trägt dazu bei, das deutsche Unternehmen zum ersten Mal seit zwölf Jahren in die rote Verlustzone zu drücken.
Die russischen Staatsmedien berichten über die Siemens-Zahlen mit Häme. Für sie unterstreicht die Milliarden-Belastung wieder einmal, dass sich die Deutschen mit ihrem Rückzug selbst mehr schaden als Russland. Man werde die Produkte von Siemens durch Erzeugnisse aus den „vaterländischen“ Fabriken und Importe aus Ländern wie China oder der Türkei ersetzen. Mit der ökonomischen Wahrheit haben diese Behauptungen nichts zu tun: Für Unternehmen wie Siemens geht es um eine einmalige Belastung. Bis zum Ende dieses Jahres wird Busch das Kapitel Russland erledigen. Mittelfristig bleibt nicht mehr als ein kleiner Kratzer, der schnell vergessen ist. Genau umgekehrt im Reich Putins: Dort wird sich der Abschied von Siemens über viele Jahre immer stärker bemerkbar machen. Russlands Industrie und Verkehrssysteme fallen ohne einen Modernisierungsschub weiter hinter die westlichen Nationen zurück. Siemens sollte eine zentrale Rolle dabei spielen, die russischen Fabriken und die Eisenbahn auf ein höheres technisches Niveau zu hieven. Daraus wird nun nichts. Und die westlichen Sanktionen sorgen dafür, dass auch die direkten Siemens-Wettbewerber aus den USA und Japan nicht einspringen können. China kann auch nur bedingt helfen – mangels Expertise und aus Angst, selbst unter Sekundärsanktionen zu fallen.
In Deutschland neigen wir dazu, die russische Stärke zu überschätzen. Das gilt sowohl für das russische Militär als auch besonders für die russische Wirtschaft. Russlands einziges Plus aber sind seine hohen Einnahmen aus dem Erdöl- und Gassektor, die in den nächsten Monaten jedoch immer weiter sinken werden. Darüber hinaus hat Russlands nichts zu bieten. Die hohe Importabhängigkeit der russischen Wirtschaft schlägt umgekehrt immer stärker durch.
Russland produziert so gut wie keine Medikamente, keine Laborausrüstungen, keine Halbleiter, keine elektronischen Steuerungen, keine Industrieroboter, keine leistungsfähigen Batterien, nicht einmal elektronische Einspritzsysteme für Autos. Man könnte diese Liste seitenweise fortsetzen. Ohne Zulieferungen aus dem Westen kommt die russische Wirtschaft nicht über die Runden. Und jedes deutsche Unternehmen, dass sich aus dem Reich Putins zurückzieht, vergrößert die Misere. Die größte Fehleinschätzung des Diktators war keine militärische, sondern eine wirtschaftliche: Ein Land mit einer so hohen Importabhängigkeit wie Russland sollte sich nicht mit der halben Welt anlegen.