Es gibt viele strittige Themen rund um Siemens Energy: das Geschäft mit Gas und Wasserstoff, die hohe Abhängigkeit von der Siemens-Mutter – und vor allem die bis zuletzt umstrittene Berufung der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm in den Aufsichtsrat. Doch die Aktionäre auf der Hauptversammlung interessiert am Montag lange nur eines: die Verluste bei Gamesa, der defizitären Windkrafttochter des Konzerns.
Gamesa ist schon länger mit Problemen beim Windturbinengeschäft an Land konfrontiert. Das führte dazu, dass Siemens Energy das Geschäftsjahr 2022/2023 (per 30. September) nun mit einem Verlust von 4,6 Mrd. Euro abschloss. Entsprechend hart gingen die Aktionäre auch mit dem Management ins Gericht, das den Games-Kauf erst im Frühjahr 2023 für 4 Mrd. Euro abschloss. Damals war dafür eine Kapitalerhöhung von 1,3 Mrd. Euro erforderlich. Vom Allzeithöhepunkt im Januar 2021 liegt Siemens Energy noch immer 56 Prozent entfernt.
Hendrik Schmidt von DWS Investment hinterfragte, warum man Gamesa nicht abspalte, und fürchtet – ähnlich wie bei der Monsanto-Übernahme durch Bayer – unbekannte Folgen. „Wann werden wir die genaue und endgültige Höhe der Zusatzbelastungen bei Gamesa verlässlich kennen?“ Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) sprach von einem amateurhaften Agieren. „Sie sind ein Vorstand auf Bewährung.“ Trotzdem wurden am Ende alle Mitglieder des Vorstands und Aufsichtsrats entlastet.
Siemens AG stimmt gegen Grimm
Während Grimms Ambitionen für den Aufsichtsratsposten von Siemens Energy im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) große Wellen schlug, spielte ihre Berufung während der Hauptsversammlung lange keine große Rolle. Doch am Ende wählten die Aktionäre Grimm mit nur 76,43 Prozent der Stimmen in das Gremium. Das bedeutet: 23,57 Prozent stimmten mit Nein und damit gegen ein Aufsichtsratsmandat der Ökonomin. Besonders pikant: Der Anteil ist allein auf die Großaktionärin Siemens AG zurückzuführen. Sie stimmte nach eigenen Angaben nicht für Grimm und begründete das mit einem Interessenskonflikt. Ohne Siemens lag der Anteil der Zustimmung bei 99,57 Prozent.
Dem Ergebnis vorangegangen war ein ungewöhnlich harter und öffentlicher Streit innerhalb der Wirtschaftsweisen: Achim Truger, Ulrike Malmendier, Monika Schnitzer und Martin Werding hatten ihrer Kollegin Grimm mögliche Interessenkonflikte vorgeworfen. Man könne nicht als Energieexpertin den Sachverständigenrat beraten und gleichzeitig im Aufsichtsrat von Siemens Energy sitzen. Im Capital-Interview hatte Grimm ihren Plan jedoch bis zuletzt verteidigt, in das Gremium einzuziehen.
Etwaige Interessenkonflikte kritisierten bei der Hauptversammlung zwar auch einige Anlegerinnen und Anleger. Dennoch hielt sich die Kritik anfangs zunächst in Grenzen – bei vielen stieß die Personalie sogar auf Zustimmung. „Wir können uns keine kompetentere Frau als Frau Grimm wünschen“, sagte etwa Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW).
„Frau Grimm überzeugt uns aus fachlicher Sicht“, erklärte Hendrik Schmidt von DWS Investment. Kritik gab es anfänglich eher an der zweiten neuen Frau im Aufsichtsrat, Simone Menne, die nun fünf Mandate hält. „Sie müssen aufpassen, das Sie nicht overboarden“, warnte Bergdolt mit Blick auf die vielen Mandate. Trotzdessen fuhr Menne am Ende ein deutlich besseres Wahlergebnis ein als Grimm: 96,56 Prozent der Siemens-Energy-Anleger stimmten für Menne, nur 3,44 Prozent gegen sie.
Andere Wirtschaftsweisen äußern sich nicht
Auf der Hauptversammlung stellte sich Grimm per Video noch einmal in einem kurzen Einspieler vor: Seit über 20 Jahren beschäftige sie sich mit Energiesystemen und Marktdesign. Der Anruf vom Siemens-Energy-Aufsichtsratschef Joe Kaeser habe sie „außerordentlich gefreut“. Auf die Differenzen im Sachverständigenrat ging Grimm nicht ein.
Was Grimms Berufung derweil für die weitere Arbeit im Sachverständigenrat bedeutet und wie ihre vier Kollegen reagieren, ist unklar. Auf Nachfrage von Capital wollten sich die anderen Mitglieder nicht äußern. Eine Sprecherin des Sachverständigenrats teilte lediglich mit, dass keine weitere Kommunikation geplant sei. „Die Position der vier Mitglieder ist bekannt und sie werden aktuell keine weiteren Statements dazu abgeben.“
Ob einzelne Mitglieder wegen des Streits zurücktreten könnten, wollte die Sprecherin ebenfalls nicht kommentieren. „Bitte haben Sie auch Verständnis, dass weder ich noch die vier Ratsmitglieder sich zu Spekulationen rund um mögliche Konsequenzen äußern können.“