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Sachverständige Veronika Grimm und der Streit im Rat der Weisen

Veronika Grimm
Veronika Grimm ist seit 2020 Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
© Jens Krick/Flashpics / Picture Alliance
Noch nie wurde ein Machtkampf im Wirtschaftsrat so öffentlich ausgetragen: Vier der fünf Wirtschaftsweisen positionieren sich öffentlich gegen ihre Ratskollegin Veronika Grimm – weil diese in den Aufsichtsrat von Siemens Energy will

Darf eine Wirtschaftsweise gleichzeitig im Aufsichtsrat eines Dax-Unternehmens sitzen? Nein, meinen vier der fünf Mitglieder im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – kurz: der Wirtschaftsweisen. Veronika Grimm, VWL-Professorin an der Technischen Universität Nürnberg, soll in den Aufsichtsrat von Siemens Energy rücken – was, so meinen die anderen Wirtschaftsweisen, einen unlösbaren Interessenkonflikt darstelle. 

„Deshalb möchten wir Dich bitten, Dich im Falle einer Wahl in den SEAG-Aufsichtsrat für eines der beiden Mandate zu entscheiden“, schreiben Achim Truger, Monika Schnitzer, Ulrike Malmendier und Martin Werninges in einer E-Mail an Grimm, aus der unter anderem das „Handelsblatt“ zitiert und die auch an Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ging.

Was nach einer normalen Personalie klingt, hat die ganze Ökonomenzukunft in Aufruhr versetzt. Denn Veronika Grimm ist nicht irgendwer, sondern eine der renommiertesten Ökonominnen des Landes. Nur Achim Truger sitzt länger im Rat der Wirtschaftsweisen. Und Grimm machte sich vor allem in der Energiekrise einen Namen, da sie den Energiepreisdeckel mitentwickelte. Entsprechend groß ist das Echo unter Ökonominnen und Ökonomen. Sie äußern sich ganz gemischt zur Doppelrolle Grimms.

Einig sind sich die meisten, dass Grimm rein rechtlich nichts vorzuwerfen ist. Auf die Position stellt sich auch Grimm, wie aus einem Nachrichtenverlauf hervorgeht, aus dem das „Handelsblatt“ zitiert. Auf die Forderung, sich für eine der beiden Rollen zu entscheiden, antwortet Grimm demnach: „Wie Ihr wisst, ist eine Mitgliedschaft in einem Aufsichtsrat in einer deutschen Aktiengesellschaft rechtlich nicht zu beanstanden.“ Das habe es in der Vergangenheit öfter gegeben, argumentiert die Ökonomin. 

Auf Anfrage von Capital wollte sich Grimm nicht äußern. Dem „Spiegel“ sagte sie jedoch, dass sie erstaunt sei über die Kritik und Rücktrittsforderungen ihrer Kollegen. Sie habe im Vorwege im Bundeswirtschaftsministerium und im Kanzleramt prüfen lassen, ob das Aufsichtsratsmandat mit ihrer Rolle im Sachverständigenrat vereinbar sei, so Grimm. Dort habe es keinerlei Bedenken gegeben.

Bisher gab es nur drei ähnliche Fälle

Einen ähnlich gelagerten Fall habe es in der Vergangenheit nur drei Mal gegeben, heißt es aus dem Umfeld der Wirtschaftsweisen: Zum einen 2011 bei Wolfgang Franz, der damals im Aufsichtsrat des Energieversorgers EnBW saß. Wie bei Grimm ging es bei ihm zwar ebenfalls um ein Energiethema. „Aber 2011, als Franz im Rat saß, hat Energie überhaupt nicht die Schlüsselrolle gespielt wie heute. Außerdem war er Experte für den Arbeitsmarkt“, so der Ökonom. 

Bei Beatrice Weder di Mauro (Thyssenkrupp) im Jahr 2012 und bei Jürgen Donges (Mannesmann) 1995 sei es ähnlich gewesen. Beide beschäftigten sich in ihrer täglichen Forschungsarbeit nicht mit den Themen, über die sie womöglich im Aufsichtsrat zu entscheiden hatten. Der verstorbene Donges war Entwicklungsforscher, Weder di Mauro Expertin für Finanzsysteme und Banken. Weder di Mauro gab ihren Posten im Sachverständigenrat auch ab, als sie später Verwaltungsratsmitglied der Schweizer Großbank UBS wurde.

Diese Integrität und das Gespür fehlen Grimm, argumentieren die vier anderen Mitglieder des Sachverständigenrats. Auch wenn es keinen Grund gebe, die Berufung rechtlich zu beanstanden: „In der öffentlichen Wahrnehmung hat die Sensibilisierung von Compliance-Themen allerdings zugenommen“, lassen sie sich in einer Pressemitteilung gemeinsam zitieren.

Als persönliche Attacke will das keiner der Mitglieder verstanden wissen – auch wenn es mehr oder weniger ein offenes Geheimnis ist, dass Grimm mitunter als kompliziert in der Zusammenarbeit gilt. Dass der Streit überhaupt nach außen dringt, wirft Fragen auf. Nicht nur das Handelsblatt vermutet daher eine willkommene Gelegenheit für die Mitglieder, ein unliebsam gewordenes Gremiumsmitglied abzuservieren. Vor allem Grimm und Schnitzer sollen überkreuz liegen.

Truger: Geht nicht um persönliche Rivalitäten

„Es ist Schwachsinn, dass jetzt behauptet wird, es gehe um persönliche Rivalitäten oder darum, eine missliebige Kritikerin der rot-grün geprägten Regierungspolitik loszuwerden“, sagt der Wirtschaftsweise Truger zu Capital. Man habe 2022 zum ersten Mal seit über 20 Jahren ein Ratsgutachten ohne Minderheitenvotum veröffentlicht. „Es geht um den Interessenkonflikt, den wir intern mehrfach besprochen haben. Es ist uns wirklich ernst damit, dass wir hier ein Problem sehen.“

Dem schließt sich auch sein Kollege Martin Werding in der „Wirtschaftswoche“ an. „Es ist keine Attacke. Ich schätze Veronika Grimm fachlich und menschlich. Ich kann gut verstehen, warum Siemens Energy sie haben will, und es gibt meiner Ansicht nach eher zu wenig als zu viele Wissenschaftler in den Aufsichtsräten der Unternehmen. Aber in diesem Fall sind die möglichen Interessenkonflikte gravierend und unübersehbar“, so Werding.

Deutlicher wird seine Kollegin Monika Schnitzer, Professorin in München. „Nicht alles, was legal ist, ist legitim. Sie muss sich für ein Mandat entscheiden“, sagte Schnitzer gegenüber dem Portal TableMedia. Rechtlich sei das möglich, aber die Interessenkonflikte seien bei einem Unternehmen wie Siemens Energy „schon sehr groß“, betonte Schnitzer. „Siemens Energy ist das relevante Unternehmen für die Energietransformation.“

Diese Kritik teilen auch unabhängige Ökonomen wie der in den USA lehrende VWL-Professor Rüdiger Bachmann. „Es würde das wichtige Reputationskapital des Sachverständigenrats beschädigen. Und es wäre auch unpraktisch, denn Frau Grimm müsste sich gerade bei ihren Spezialgebieten vom Gutachten zurückziehen“, erklärt Bachmann gegenüber Capital. Eine Rolle bei einem kleinen Betrieb sei möglicherweise noch vereinbar. „Ich frage mich eher: woher nehmen diese Leute eigentlich die Zeit für Doppel- und Dreifachrollen. Etwas müssen sie dabei vernachlässigen“, so Bachmann.

Anders sieht es beispielsweise Bert Rürup, ehemaliger Wirtschaftsweise und Namensgeber der Rürup-Rente. „Das Verfahren überrascht mich sehr. So eine Vorgehensweise kenne ich aus meiner Zeit als Vorsitzender des Sachverständigenrats nicht“, sagte er dem Handelsblatt, für das er als Chefökonom tätig ist. Bei allen inhaltlichen Differenzen habe man sich im Rat bislang immer noch persönlich zusammengerafft.

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