Der Angriffskrieg auf die Ukraine belastet die russische Wirtschaft, das Bruttoinlandsprodukt sank im zweiten Quartal um fast fünf Prozent – auf das Niveau von 2018
Der von Präsident Wladimir Putin angeordnete Angriff auf die benachbarte Ukraine hat die russische Wirtschaft im zweiten Quartal – und damit in en Monaten unmittelbar nach Kriegsbeginn – um vier Jahre zurückgeworfen. Das Land steuert damit auf einen der längsten Abschwünge in der Geschichte zu.
Die Bilanz des Krieges fällt für Russland düster aus: Die Wirtschaft, die Anfang 2022 noch in Schwung gekommen war, ist im zweiten Quartal deutlich geschrumpft. Die für heute erwarteten Daten zeigen, dass das Bruttoinlandsprodukt zum ersten Mal seit über einem Jahr rückläufig ist – und zwar um 4,7 Prozent im Jahresvergleich, so die Prognose von zwölf von Bloomberg befragten Analysten.
„Die Wirtschaft wird vier Jahre Wachstum hinter sich lassen und im zweiten Quartal auf den Stand von 2018 zurückkehren“, erwartet Bloombergs Russlandexperte Alexander Isakov. „Wir gehen davon aus, dass sich der Rückgang bis ins vierte Quartal hinein verlangsamen wird, da die lockere Geldpolitik die Nachfrage stützt.“ Trotzdem werde die Wirtschaft 2023 um weitere zweif Prozent schrumpfen, da das europäische Energieverbot den Export dämpfen wird.“
Zentralbank geht von Verschlechterung aus
Die internationalen Sanktionen wegen des Krieges haben den Handel unterbrochen und Industrien wie die Autoproduktion lahmgelegt. Gleichzeitig sind die Verbraucherausgaben eingebrochen. Obwohl sich der Rückgang der Wirtschaft bisher als weniger drastisch erwiesen hat ,als ursprünglich befürchtet, geht die russische Zentralbank davon aus, dass sich der Einbruch in den kommenden Quartalen noch verschlimmern wird, und rechnet erst in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres mit einer Erholung.
„Die Krise bewegt sich in einem sehr ruhigen Fahrwasser“, sagte Evgeny Suvorov, leitender Wirtschaftsexperte für Russland bei der CentroCredit Bank. „Die Wirtschaft wird ihren Tiefpunkt bestenfalls Mitte 2023 erreichen.“
Die russische Zentralbank hatte zuletzt mit Kapitalverkehrskontrollen und drastischen Zinserhöhungen versucht, die Turbulenzen auf den Märkten und beim Rubel einzudämmen. Inzwischen ist genug Ruhe eingekehrt, um viele dieser Maßnahmen wieder zurückzunehmen. Die fiskalischen Anreize und die wiederholten geldpolitischen Lockerungen der vergangenen Monate beginnen langsam zu greifen und schwächen die Auswirkungen der internationalen Sanktionen ab. Die Ölförderung hat sich erholt, und die Ausgaben der privaten Haushalte beginnen, sich zu stabilisieren.
Warum die Sanktionen das BIP nur um 3,5 Prozent schrumpfen lassen
Diese Reaktion hat für eine sanftere Landung der Wirtschaft gesorgt, für die Analysten zwischenzeitlich einen Rückgang von zehn Prozent im zweiten Quartal erwartet hatten. Ökonomen von Banken wie JPMorgan Chase und Citigroup haben ihre Prognosen inzwischen verbessert und gehen nun davon aus, dass die Produktion im Gesamtjahr nur noch um 3,5 Prozent sinken wird.

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Dennoch geht die russische Zentralbank davon aus, dass das BIP in diesem Quartal um sieben Prozent und in den letzten drei Monaten des Jahres möglicherweise noch stärker schrumpfen wird. Sie schätzt, dass die Wirtschaft im zweiten Quartal um 4,3 Prozent geschrumpft ist.
Der Patt bei den Energielieferungen nach Europa birgt neue Risiken für die Wirtschaft. Der monatliche Rückgang der Ölproduktion wird bereits im August einsetzen. Die Internationale Energieagentur sagt einen Rückgang der russischen Rohölproduktion um etwa 20 Prozent bis Anfang nächsten Jahres vorher.
„Der Einbruch im Jahr 2022 wird weniger tief ausfallen als im April erwartet“, erklärte die Zentralbank in einem Bericht zur Geldpolitik in diesem Monat. „Gleichzeitig könnten sich die Auswirkungen von Angebotsschocks über einen längeren Zeitraum erstrecken.“
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