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Bernd Ziesemer Russlands Kehrtwende zur Sowjetwirtschaft

Bernd Ziesemer
Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Der Krieg verändert alles. Die Spielräume für private Unternehmen verengen sich im Reich Putins immer weiter

Außerhalb des Erdöl- und Gassektors mit seiner einmaligen russischen Mischung aus korrupter Staats- und kleptokratischer Oligarchenwirtschaft fand man im Reich Wladimir Putins bis vor kurzem erhebliche Freiräume für privates Unternehmertum. Aus konsumnahen Branchen hielt sich das Regime weitgehend heraus – von gierigen lokalen Beamten einmal abgesehen, die überall die Hand aufhalten in Russland. Je länger der Krieg gegen die Ukraine dauert, umso mehr verengen sich jedoch die Spielräume. Putin regiert per Ukas immer tiefer und immer hektischer in die gesamte Volkswirtschaft hinein. Offiziell gilt jetzt der „Vorrang“ der Kriegsindustrie, was daraus jedoch genau folgt bleibt für betroffene Unternehmen unklar.

Was die Staatsausgaben betrifft, so gehen im nächsten Jahr über ein Drittel in die Finanzierung des Kriegs und der Rüstung. Unternehmen außerhalb dieses Sektors, die auf staatliche Aufträge angewiesen sind, gehen zunehmend leer aus. Schon das allein führt zu erheblichen Brüchen und Verwerfungen. Putin zwingt außerdem immer mehr Unternehmen, ihre Produktion umzustellen. Als nächsten Schritt rechnen russische Ökonomen mit der generellen Einführung eines Instruments aus alten Sowjetzeiten: dem „Versorgungsplan“. Die betroffenen Privatfirmen müssen künftig festgelegte Produktionsquoten erfüllen, um die Bedürfnisse der Rüstungsindustrie und strategischer Branchen zu erfüllen

Der Staat reguliert seit einigen Monaten auch große Teile des Importsektors. Eine regierungsamtliche Liste legt zum Beispiel fest, welche westlichen Markenprodukte russische Importeure über Schwarzmärkte in anderen Ländern einführen dürfen und welche nicht. Offiziell spricht man dabei von „Parallelimporten“, in Wahrheit geht es jedoch um eine Schieberwirtschaft mit Zwischenstationen im Iran, in der Türkei oder den Golf-Emiraten.

Kaum Widerstand

Die westlichen Unternehmen, die sich noch nicht aus Russland zurückgezogen haben, verlieren Schritt für Schritt ihre bisherige Autonomie. Putin greift mit seinen Präsidialerlassen beliebig in die Verträge ausländischer Investoren ein, wie das Beispiel des deutschen Konzerns Wintershall DEA zeigt. Und weil es in Russland noch nie ein unabhängiges Rechtswesen gab, bleibt nur der Weg über ausländische Schiedsgerichte mit all seinen langen Verfahrenszeiten und all seinen Unberechenbarkeiten.

Es gibt so gut wie niemanden, der sich der Kehrtwende zurück zur Sowjetwirtschaft ernsthaft entgegenstellen kann. Zwar warnen einigen russische Ökonomen vor den Folgen der wachsenden Staatsquote, auch aus der russischen Zentralbank hört man ab und zu das eine oder andere kritische Raunen. Aber wirklichen Widerstand beobachtet man nicht. Die sogenannten Unternehmerverbände des Landes waren nie etwas anderes als Abteilungen des Staatsapparats, auch wenn sie im Westen oft als Stimme des „russischen Unternehmertums“ hofiert wurden.

Kurzfristig spürt man die Folgen der neuen Sowjetwirtschaft erst in Ansätzen. Aber mittel- und langfristig dürften die vielen Staatseingriffe zu schweren Schäden in der Volkswirtschaft führen. Russland verliert das, was nach dem Überfall auf die Ukraine zunächst einige Folgen der schweren Sanktionen recht gut abfedern konnte: seine wirtschaftliche Flexibilität.

Bernd Ziesemer

ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.

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