Jack Welch, der legendäre Chef von General Electric (GE) und wahrscheinlich wichtigste Vordenker des modernen Konzerns, brachte es auf einen einfachen und viel zitierten Begriff: „Fix it, sell it – or close it down“. Ein großes Unternehmen solle nicht wettbewerbsfähige Bereiche entweder schnell und zielstrebig umbauen, verkaufen oder im schlimmsten Fall einfach dichtmachen. Die Wirklichkeit deutscher Konzerne zeigt jedoch, wie schwierig der Ratschlag Welchs in der Praxis oft umzusetzen ist.
Das beste Beispiel: Thyssen-Krupp. Der Essener Konzern verfügt über einige hochprofitable Sparten – vor allem das renditestarke Geschäft mit Aufzügen. Nur zu gern würde Thyssen-Krupp-Chef Heinrich Hiesinger dagegen den kapitalintensiven und wenig profitablen Stahlbereich verkaufen. Doch es findet sich einfach kein Käufer. Und schließen? Das geht gleich gar nicht: Das Loch in der Bilanz zöge den ganzen Konzern ins Verderben. Bleibt also nur die Alternative, ständig Kosten zu drücken und an vielen kleinen Schrauben zu drehen. Eine Art von permanenter Reorganisation ist die Folge – und das nun schon seit sechs Jahren unter Hiesinger selbst und noch viel mehr Jahren unter seinen wenig erfolgreichen Vorgängern.
Permanente Revolution?
Wie lange hält ein Konzern im dauerhaften Krisenmodus durch? Diese Frage muss sich nicht nur Thyssen-Krupp stellen. Ähnlich sieht es bei der Commerzbank aus oder beim Baukonzern Bilfinger, beim früheren Energieriesen RWE oder seinem Konkurrenten Eon. Sie alle retten sich seit mehreren Jahren von einem Sparprogramm ins nächste. Und von einem Konzernumbau in den nächsten.
In der letzten Woche waren von allen fünf Konzernen, allerdings in unterschiedlichen Zusammenhängen, mal wieder ähnliche und zum Teil sogar wortgleiche Hoffnungsparolen zu hören. Thyssen-Krupp sieht bei den Stahlpreisen „Licht am Ende des Tunnels“, Bilfinger versucht es mal wieder mit einem neuen Schwerpunkt, die Commerzbank sieht sich in einigen Teilbereichen bereits auf dem richtigen Weg – und die beiden Energiekonzerne reden natürlich am liebsten nur noch über ihr grünes Geschäft.
Die interessierte Öffentlichkeit aber stellt zu selten eine entscheidende Frage: Was macht es mit einem Konzern und vor allem seinen Mitarbeitern, wenn man über viele Jahre nach immer neuen Notausgängen sucht ohne ein neues Geschäftsmodell nachhaltig etablieren zu können? Noch dazu, wenn die permanente Reorganisation auch noch mit einem ständigen Wechsel des Managements einher geht wie etwa bei Bilfinger? Die Antwort liegt leider auf der Hand: Auch ganze Unternehmen (und ganze Belegschaften) können den Mut verlieren und damit auch die Fähigkeit, sich aus eigener Kraft aus dem Sumpf zu ziehen.
Bei Thyssen-Krupp sieht man, wie selbst ein guter Chef unter solchen Umständen allmählich zur tragischen Figur wird: Heinrich Hiesinger ist ein sehr guter Manager. Vieles, sogar sehr vieles macht der ehemalige Siemens-Manager von Anfang an richtig. Und trotzdem bekommt man mittlerweile den Eindruck: Es reicht einfach nicht.
Mit der permanenten Reorganisation im Unternehmen ist es ein bisschen so wie mit der permanenten Revolution im Kommunismus: Karl Marx, Leo Trotzki und Mao wollten die Massen mit ständigen revolutionären Kämpfen zum finalen Sieg führen, verloren am Schluss aber auch noch den allerletzten Anhänger.
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Bernd Ziesemer ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint jeden Montag auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.