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Bernd Ziesemer Ein neuer Schub von Abspalteritis

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Continental, Thyssenkrupp und Haniel – viele Konzerne wollen sich von großen Teilen ihres Geschäfts trennen. Das dürfte anstecken

Die Continental AG holte in der vergangenen Woche die ganz großen Schlagworte raus: Auf die „Ära des Niedergangs“ und die „Ära der Rekalibrierung“ folge nun die „Ära der Umsetzung“ im Konzern mit dem Ziel „Exzellenz durch Transformation“. Man könnte es auch sehr viel einfacher sagen: Mit zwei komplizierten Abspaltungen will sich Continental in das zurückverwandeln, was das Unternehmen vor vielen Jahren schon einmal war: ein reiner Hersteller von Autoreifen.

Continental ist kein Einzelfall. Durch die deutsche Wirtschaft wälzt sich ein neuer Schub von Abspalteritis. Die Springer SE fegt gerade die letzten Ecken einer großen Abspaltungsaktion aus. Thyssenkrupp verselbständigt die Rüstungssparte und will so schnell wie möglich die Stahltochter loswerden. Haniel möchte einen Großteil seiner Beteiligungen verkaufen und sich auf seine Wurzeln besinnen. Und viele andere Konzerne ventilieren schon einmal öffentlich mögliche Abspaltungen, obwohl bisher noch keine Entscheidungen gefallen sind. 

Nach Continental auch Bayer, VW und Siemens?

Bayer redet seit einiger Zeit über eine mögliche Trennung vom Glyphosatgeschäft, das den Konzern nach der Übernahme von Monsanto in die Katastrophe gestürzt hat. Der VW Konzern spielt die Trennung von einzelnen seiner vielen Töchter durch. Und auch der Vorstand der Siemens AG, die in der Vergangenheit so etwas wie der Weltmeister in Abspaltungen war, rührt wieder die Füße.

Begründungen für Abspaltungen lassen sich in der Regel leicht finden. Man redet über „Konzentration aufs Kerngeschäft“, die „Vorteile der Selbständigkeit“, den „besseren Zugang zum Kapitalmarkt“ und vieles mehr. Das alles ist nicht falsch, oft aber auch nur die halbe Wahrheit. In fast allen Fällen steckt hinter der Trennung von größeren Unternehmensteilen auch ein Stück Managementversagen. Oft schon am Anfang: Continental zum Beispiel verleibte sich in der Phase seiner großen Expansion viele Bereiche ein, die niemals Synergien mit dem Rest des Konzerns ablieferten, darunter der Kamera-Bereich.

Manchmal bleiben Abspaltungen nur als letzte Möglichkeit, nachdem man lange Jahre vergeblich und ohne Plan an den Bereichen herumgedoktert hatte. Das gilt zum Beispiel für Thyssenkrupp und den Versuch des Stahlbereichs, groß in den USA einzusteigen. Und in einigen Fällen offenbart die Trennung von Unternehmensteilen das Scheitern der ganzen Muttergesellschaft, ein profitables Geschäftsmodell zu finden. Man sieht es zum Beispiel bei Haniel, wo man jetzt mit der Idee spielt, sich in eine Art von Family Office zu verwandeln.

Die Abspaltungen können auf lange Sicht Wert schaffen. Kurzfristig aber vernichten sie oft auch Wert. Auf jeden Fall gehen die verselbständigten Einheiten meist durch eine lange Durststrecke. Man konnte es am besten bei Siemens Energy sehen, wo erst Milliardenverluste anfielen, bevor sich das neue Unternehmen jetzt berappelt. Bei Continental könnte sich die Geschichte wiederholen. Das Reifengeschäft, das nun wieder zum Hoffnungsträger hochstilisiert wird, musste seine Umsatzziele zuletzt nach unten korrigieren. Und die Risiken werden nicht weniger – man denke nur an die Zollpolitik der Amerikaner oder den wachsenden Druck in China. „Exzellenz durch Transformation“ – das ist zunächst nicht mehr als ein vages Versprechen.

Bernd Ziesemer ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf X folgen.

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