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Wachstumschancengesetz Wie du mir, so ich dir: Die Ampel versemmelt ihren eigenen Restart

Bundesfinanzminister Christian Lindner spricht mit Bundesfamilienministerin Lisa Paus
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) vor der Sommerpause
© AP Photo/Markus Schreiber / Picture Alliance
Das Veto der Familienministerin zum Lieblingsprojekt des Finanzminister zeigt eines: Die Ampelkoalition macht nach der Sommerpause da weiter, wo sie zuvor aufgehört hat. 

Es gibt Begriffe in der politischen Kommunikation, die tauchen so plötzlich auf, wie sie wieder verschwinden. Der „Restart“ war so ein Begriff, eine Pandemie-Schöpfung. Als die Corona-Infektionszahlen abnahmen, als immer mehr Menschen geimpft waren, da sprachen Politiker, Ökonominnen und Leitartikler wochenlang davon, was jetzt notwendig sei: der Restart.

Lang, lang ist‘s her.

Mehr Fortschritt wagen, das wäre doch was!

Mal abgesehen davon, dass man sich nicht des Englischen bedienen muss, um einen Neustart zu beschreiben, wäre diese Woche ein guter Zeitpunkt gewesen, dem Restart ein Comeback zu schenken. Die parlamentarische Sommerpause neigt sich ihrem Ende zu, die meisten Bundesminister sind aus dem Urlaub zurück, frisch erholt vom Regierungsstress, bereit für neue Ampel-Abenteuer. Nach zwei Jahren Chaos-Koalition beginnt nun die zweite Halbzeit. Mehr Fortschritt wagen, jetzt aber wirklich, das wäre doch was! Endlich mehr miteinander als gegeneinander. Endlich Ergebnisse statt Blockade. Endlich Restart.

So hätte ein Neustart aussehen können 

Das Programm für die Kabinettssitzung am Mittwoch war entsprechend ambitioniert gestaltet: Kommunale Wärmeplanung, Solarförderung, Cannabis-Gesetz. Sieht aus wie Fortschritt beim Klimaschutz. Und erfüllt das zentrale Versprechen, an das vor allem junge Deutsche die Ampel immer wieder erinnert haben: endlich Bubatz legal!

So hätte ein gelungener Restart aussehen können. Wenn dann in wenigen Wochen noch das Heizungsgesetz geräuschlos im Bundestag verabschiedet wird, hätte man fast auf den Gedanken kommen können, dass der eine oder die andere im Urlaub das eigene Regierungshandeln reflektiert hat.

Hätte. Denn die Ampel macht keinerlei Anstalten, den Restart als oberste politische Maßgabe zu reaktivieren. Auf der Tagesordnung stand eigentlich auch: Das Wachstumschancengesetz des Bundesfinanzministers, Christian Lindners Herzensprojekt. Nun ja, es stand da so lange, bis Familienministerin Lisa Paus kam – und ihr Veto einlegte.

Da war er wieder, der Ampel-Teamgeist des Frühjahrs: Wie du mir, so ich dir.

Um 6 Mrd. Euro würde FDP-Chef Lindner die deutsche Wirtschaft angesichts der schwierigen Situation gerne entlasten. Ob Familienministerin Paus das grundsätzlich für eine gute Idee hält, ist nicht überliefert. Weil sie aber auf den Milliarden für das grüne Herzensprojekt Kindergrundsicherung beharrt, macht sie nun das, was ihre Partei eigentlich immer den Liberalen vorhält: Sie blockiert. Die FDP reagiert entsprechend emotional und vorwurfsvoll.

Neues Parteiensystem? Eine Farce

Es ist eine Geschichte, wie sie nur die Ampel schreibt. Seit SPD, Grüne und FDP gemeinsam regieren, betonen sie stets, die Deutschen müssten sich nun einmal daran gewöhnen, dass eine Dreier-Konstellation sehr unterschiedlicher Partner eben mehr Reibung erzeuge. Da ist dann die Rede vom „neuen Parteiensystem“. Von schöpferischem Streit, der zu besseren Ergebnissen führt. Diese Regierung, heißt es, trage alle gesellschaftlichen Konflikte des Landes stellvertretend in sich selbst aus.

Man wäre ja vielleicht geneigt, dieser Argumentation zu folgen. Wenn die Ampel sie nicht immer wieder selbst ad absurdum führen würde. Neues Parteiensystem? Ja, aber als Farce.

Der neue Streit wirft eine ganze Reihe von Fragen auf: Kann man das nicht anders regeln? Lohnt es sich wirklich, noch vor Ende der Sommerpause gleich wieder in grüne und gelbe Schützengräben zu springen? Sehen sich bei der FDP jetzt alle jene bestätigt, die den Grünen ohnehin nur böse Absichten unterstellen? Was treibt Lisa Paus zum Alleingang, wo doch Vizekanzler Robert Habeck offenbar Lindners Vorhaben zugestimmt hat? Oder andersrum gefragt: Haben die Liberalen wirklich geglaubt, Paus würde nach der heftigen FDP-Kritik an ihr nun ganz leise klein beigeben?

Was sagt eigentlich der Kanzler dazu?

Und, klar, nicht zu vergessen: Was sagt eigentlich der Kanzler dazu?

Als politischer Beobachter tut man gut daran, nicht immer gleich den ersten Gedanken aufzuschreiben. Wenn etwas passiert – sagen wir: Grünen werfen Liberalen irgendwas Unanständiges vor – empfiehlt es sich, noch einmal kurz innezuhalten. Stimmt das wirklich? Könnte es nicht auch anders sein? Mit etwas mehr Nachdenken gelingt meist die überraschendere Erkenntnis.

Heute ist so ein Tag, da reicht der erste Gedanke: Die Ampel hat den Restart versemmelt. 

Der Kommentar ist zuerst bei stern.de erschienen

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